Cultura | Neuerscheinung

"Etwas bleibt immer"

Der Schriftsteller Horst Moser, geboren in Meran und wohnhaft in Bruneck, ist eine neue Stimme in der Südtiroler Literaturlandschaft; soeben erschien sein zweiter Roman.

Horst Moser, 1975 in Meran geboren und in Bruneck aufgewachsen, hat auf Umwegen zum Schreiben gefunden. Nach einer Ausbildung im Handelsbereich, einem abgebrochenen Psychologiestudium in Innsbruck und der Übernahme des Familienbetriebs in der Baubranche, schien ihm das Schreiben wie ein Aufbruch in ein Stückchen Freiheit, jenseits von Sicherheitsdenken und Leben in der Kleinstadt. 2012 erschien im Weger Verlag sein erster Roman "Am Ende der Liebe", eine Abrechnung mit der Sinnsuche im Leben.

Nun hat Horst Moser seinen zweiten Roman vorgelegt, bei Edition Raetia ist soeben erschienen: Etwas bleibt immer, eine Geschichte vom Scheitern und vom Standhalten. Wir stellen hier einen kurzen Auszug aus dem Roman vor:

 

"Draußen zog Morgennebel auf, wie ein Vorhang legte er sich über die ersten Sonnenstrahlen, so als würde es wieder dunkel. Stefan schaute aus dem Fenster, der Zug nahm eine lang gezogene Rechtskurve, es kam ihm vor, als bewegten sich die Waggons schleichend und unbemerkt durch die Landschaft. Das Handy vibrierte in seiner Tasche, er schaltete es aus und dachte an den Abend zuvor, wie es auf dem Tisch zu tanzen begonnen hatte, nachdem er das Läuten des Festnetzes ignoriert hatte, weil er früh ins Bett gegangen war, viel früher als sonst, da er müde war und sich krank fühlte. Was? Johannes hat was getan?, hörte er sich mit schlafrauer Stimme fragen. Die erneute Erklärung erreichte ihn nur langsam, sein Verstand ging behutsam mit den Sätzen um, die seine Mutter in den Hörer sprach, sie sickerten nur bruchstückhaft und wie gefiltert durch. Und wie geht es dem Jungen?, hatte er gefragt, dann wieder zugehört, unfähig, das Gehörte einzuordnen, später dann hatte er sich unter die Bettdecke verkrochen, wie ein kleiner Bub, der schlecht geträumt hat und sich nicht traut, nach seinen Eltern zu rufen. 

Auf dem Weg zum Hauptbahnhof war er noch ins Büro gefahren, auf seinem Schreibtisch hatte er die Unterlagen vergessen, die er für den Termin in Innsbruck brauchte. Er war in den ersten Stock gelaufen, hatte die Papiere genommen und in seiner Tasche verstaut, in der auch die für die Übernachtung notwendigen Dinge gepackt waren, war die Stiegen nach unten gerannt und dabei irgendwie ins Stolpern geraten, vornübergefallen und mit dem Kopf auf dem harten Boden aufgeschlagen. Wie benommen war er aufgestanden, hatte sich an die Stirn gegriffen und sich gewundert, nichts zu spüren, keine Wunde und auch keinen Schmerz, nur ein eigenartiges Gefühl der Benommenheit. Verdammt, auch das noch, hatte er gemurmelt und dann laut geflucht, war nach draußen getaumelt und vor der Tür stehen geblieben, das goldene Schild an der Hauswand betrachtend. Dr. Stefan Leitner, Internationales Vertragsrecht, lautete die Gravur auf der Tafel. In diesem Augenblick war ihm, als hätte er gar nichts damit zu tun, als wäre seine Identität bloß eine Konstruktion, eine fiktive Darstellung seiner selbst. Jetzt, während er darüber nachdachte, kam ihm das absonderlich und befremdend vor. 

Häuserzeilen tauchten auf, dann wieder Wiesen und Wälder. Seine Augen konnten nur die entfernter liegende Umgebung fassen. Mit der Hand fühlte er die geschwollene Stelle auf seinem Kopf, mit jedem Herzschlag ein leichtes Pochen unter der Schädeldecke. Stefan schaute sich um, irgendwoher vernahm er Musik, die das konstante Rausch- und Rollgeräusch des Zuges übertönte. Weiter hinten im Waggon schubsten sich zwei Jugendliche, aus ihren Kopfhörern drangen Technolaute. Die zwei verhalten sich wie Idioten, dachte er, dann starrte er wieder aus dem Fenster. Fieber, vielleicht bekomme ich Fieber, oder es liegt am Sturz, dass mir übel ist, eine leichte Gehirnerschütterung möglicherweise, oder doch irgendeine Infektion, sinnierte er vor sich hin. Die Fensterscheibe spiegelte das beleuchtete Zugabteil. Stefan konnte sehen, wie sich die Jugendlichen in die Mitte des Waggons begaben und dabei andere Fahrgäste absichtlich anrempelten. Die Konfrontation meidend reagierte niemand. In den Gesichtern der Betroffenen aber sah er unterdrückte Wut, unterdrückt aus Angst. Stefan drehte sich vom Fenster weg. Zugleich blickte einer der beiden Burschen, deren Alter er nicht einzuschätzen vermochte, in seine Richtung. Ihre Blicke trafen einander und sie starrten sich an wie zwei Boxer, die sich vor dem Wettkampf gegenüberstehen, während der Schiedsrichter die Regeln erklärt, die sowieso jeder schon kennt, als sei das Ritual nur dazu da, die Spannung und Aggression weiter anzuheizen. Irgendetwas hinderte Stefan daran wegzuschauen, irgendetwas war anders als sonst, eine unsichtbare Spannung lag in der Luft. Plötzlich spürte er wieder die Schmerzen am Kopf, die sich als ein unangenehmes Klopfen bemerkbar machten. Sekunden später, und ohne dass einer den Blick hatte abschweifen lassen, standen sie vor ihm, kaugummikauend mit offenem Mund, wie laienhafte Westernhelden in einem billigen Cowboyfilm. Sie setzten sich ihm gegenüber, beide Plätze waren frei. Stefan empfand die plötzliche Nähe wie ein Eindringen in einen geschützten Bereich, und obwohl noch kein Wort gesprochen worden war, wusste er, dass etwas begonnen hatte, dessen Verlauf er nicht mehr ändern konnte, vielleicht auch nicht ändern wollte. Die Tasche vor seiner Brust umklammernd wie einen Schutzschild, dahinter sein schnell schlagendes Herz. An einem anderen Tag vielleicht wäre er aufgestanden und hätte Abstand gesucht, wäre der Situation ausgewichen. Aber es war kein anderer Tag, an diesem Tag blieb Stefan einfach sitzen. Langsam drehte er sich weg und starrte wieder aus dem Fenster, plötzlich viel ruhiger als zuvor, was er auf den Entschluss zurückführte, sich zu stellen und nicht davonzulaufen. Die Burschen schalteten die Musik lauter und begannen, ihren Kopf im Rhythmus des Basstons mitzuschwingen, wobei ihre fettigen, strähnigen Haare wie kleine Pendel hin- und herflogen. Fast gleichgültig folgte Stefan aus den Augenwinkeln ihren Bewegungen. Er nahm eine gewisse Unruhe bei den Jugendlichen wahr, die sich steigerte, als sei sie eine Art notwendige Vorbereitung für bevorstehende Handlungen. Ein unbekanntes Gefühl absoluter Überlegenheit strömte durch Stefans Körper und entfachte eine unbändige Sicherheit. 

„Verschwindet“, sagte er leise aber bestimmt, „verschwindet“, zweimal hintereinander."

Das Buch wird am 14. April um 20 Uhr in der Stadtbibliothek Bruneck von Horst Moser, Thomas Kager (Edition Raetia) und Sonja Hartner vorgestellt. Die zweite Vorstellung gibt es am 29. April in Völs in Nordtirol, Buchhandlung Steinbauer, um 19 Uhr. In einer ersten Rezension zum Buch schreibt Joachim Leitner von der Tiroler Tageszeitung:

"Ein Krimi? Ja, vielleicht. Schließlich wird ermittelt. Aber kein Konfektionsschmöker von der Stange. In glasklaren Sätzen zerlegt Horst Moser allzu einfache Wahrheiten, allzu naheliegende Schlüsse. Fraglos, ein behutsamer Text, unaufgeregt und doch drängend, ja dramatisch – und, das vielleicht Wichtigste: von zeitloser Aktualität."

Horst Moser, Etwas bleibt immer, Roman, Hardcover mit Schutzumschlag, 168 Seiten, Euro 17,90.- ISBN: 978-88-7283-520-3