Società | Sterbehilfe

Bis ans Ende gedacht

Die Patientenverfügung ermöglicht schon heute, über lebensverlängernde Maßnahmen zu entscheiden. Sie selbst auszufüllen, bringt ungewohnte Fragen mit sich.
Frau
Foto: Unsplash/Chad Madden
  • Während die Gesetzgebung zur Sterbehilfe in Rom weiterhin auf sich warten lässt, gibt es seit dem Jahr 2017 mit dem Gesetz Nr. 219 die Möglichkeit, eine Patientenverfügung abzugeben – ein bis heute wenig bekanntes Recht. Sie selbst auszufüllen, bringt ungewohnte, aber notwendige Fragen mit sich. 

    Acht Jahre nach Einführung des Gesetzes haben nur 0,5 Prozent der volljährigen Italienerinnen und Italiener eine Patientenverfügung erstellt, das ist aus den Daten der Vereinigung Luca Coscioni ersichtlich. Auch in Südtirol hat mit 2.709 Personen im Jahr 2023 nur ein kleiner Bruchteil der Bevölkerung dieses Recht in Anspruch genommen, nämlich 0,7 Prozent von 370.562 volljährigen Personen und damit etwas mehr als im nationalen Durchschnitt. 

    In der Informationsbroschüre des Landes werden die Vorteile der Patientenverfügung aufgelistet, die jede ansässige Person ausfüllen kann. Bei unter 18-Jährigen erfolgt die Erklärung in enger Abstimmung mit den eigenen Eltern. So soll die persönliche Autonomie am Lebensende gestärkt werden, auch wenn ich meinen eigenen Willen zu diesem Zeitpunkt nicht mehr äußern kann. Für Angehörige, Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegende kann es eine große Erleichterung sein, zu wissen, welche Wünsche die betreffende Person im Hinblick auf schwerwiegende Erkrankungen und das eigene Sterben hat.  

    Teil der Broschüre sind auch persönliche Fragen zum Lebensende, etwa die Frage nach religiösen, spirituellen oder kulturellen Überzeugungen in diesem Zusammenhang – anstatt das eigene Begräbnis zu planen, liegt der Fokus hier auf den letzten Lebensstunden. Im Beispielformular des Landes wird ganz unsentimental nach Situationen gefragt, die wir uns im normalen Alltag niemals vorstellen würden. Wer denkt schon gerne daran, ob die Folgen von fortgeschrittenem Alzheimer, Krebs oder ein Unfall das eigene Leben beenden wird? 

    Im Formular werden drei Situationen aufgelistet, wo lebensverlängernde Maßnahmen notwendig sind: Neben einer unheilbaren Krankheit im Endstadium, werden eine schwere Gehirnschädigung und die Unfähigkeit, selbst Nahrung und Flüssigkeit auch mit ausdauernder Hilfe zu sich zu nehmen, aufgelistet. Zudem können weitere Situationen in der Patientenverfügung genannt werden, wo auf lebenserhaltende Maßnahmen verzichtet werden soll oder eben nicht. 

    Außerdem besteht die Möglichkeit, diese Frage von dem Urteil der eigenen Vertrauensperson abhängig zu machen. Nur wenn man oder frau nach Einschätzung der Vertrauensperson noch überwiegend Freude am Leben empfindet, werden dann Maßnahmen zur Lebensverlängerung durchgeführt. Neben dem Beispielformular kann die Patientenverfügung auch frei formuliert werden. Anschließend wird sie entweder beim Notar oder persönlich im Meldeamt der Wohnsitzgemeinde abgegeben und Teil der persönlichen Gesundheitsakte.

  • Krankheit oder Unfall: Die Patientenverfügung ist für Situationen gedacht, in denen die Person ihren eigenen Willen nicht mehr mitteilen kann. Foto: Othmar Seehauser
  • Die Schritte

    Die Patientenverfügung ist im Unterschied zur Sterbehilfe noch keine aktive Tötung und kann deshalb im Voraus festgelegt werden. Das zweiseitige Formular auszufüllen, dauert nur wenige Minuten – vorausgesetzt die Person weiß, was sie will und das ist in diesem Fall keine leichte Frage. Die Selbsterklärung nimmt deshalb vor allem in der Vorbereitung einige Zeit in Anspruch, um sich über die eigenen Wünsche und Ängste klar zu werden. 

    Als Hilfestellung ist ein Gespräch mit der Hausärztin oder dem Hausarzt und die Ernennung einer Vertrauensperson vorgesehen, die von Beginn an in den Entscheidungsprozess eingebunden wird. Am Ende entscheidet aber die Person selbst. Hilfreich ist dabei auch der Gedanke, dass das Leben in Zeiten der Krankheit und des Sterbens besonders verwundbar und deshalb schützenswert ist. Ebenso herrscht in den meisten Religionen Konsens darüber, dass es auch ein Recht darauf gibt, sterben zu dürfen, wie die Informationsbroschüre des Landes festhält. 

    Kein unwichtiges Detail ist dabei wie erwähnt, dass die Patientenverfügung erst dann greift, wenn der eigene Willen nicht mehr mitgeteilt werden kann. Das Ausfüllen des Formulars wird damit auch zur Vertrauensfrage: Weiß das ärztliche Personal, ob ich wirklich nicht aus dem Wachkoma erwachen werde? Kann ich mich von meinen Angehörigen verabschieden, auch wenn ich nicht mehr bei vollem Bewusstsein bin? Wie kann Lebensqualität kurz vor dem eigenen Tod garantiert werden? 

    Da diese Fragen eben nicht vergleichbar sind mit dem Kauf eines neuen Pullovers oder der Auswahl eines Films, werden sie gerne verdrängt, wie der Leiter der Palliativmedizin des Bozner Krankenhauses, Massimo Bernardo, aus Erfahrung weiß. Besonders bei neurodegenerativen Erkrankungen, wo die Gedächtnisleistung schwindet wie bei der Demenz, sei zu Beginn der Erkrankung das Erstellen einer Patientenverfügung sinnvoll. 

    „Leider kommen heute die meisten Demenzkranken in ein fortgeschrittenes Krankheitsstadium, ohne diese Informationen erhalten und ohne ihre Wünsche geäußert zu haben, obwohl das Gesetz dies vorsieht. Dies geschieht häufig aus Angst vor der Konfrontation mit dem Thema unheilbare Krankheit und Tod, die nach wie vor ein Tabu darstellen“, erklärt Bernardo gegenüber SALTO. Offenbar haben wir uns noch nicht daran gewöhnt, nicht nur Urlaubstage zu organisieren, sondern auch das eigene Lebensende – wann immer es kommen mag.