Politica | Jugendgewalt

„Wahlkampf auf dem Rücken der Jugend“

Demnächst soll es eine grüne Nummer gegen Baby-Gangs und Sanktionen für deren Eltern geben. Der Südtiroler Jugendring stuft diese Maßnahmen als kontraproduktiv ein.

Jugendgewalt
Foto: upi

Muss man den Menschen die Menschlichkeit erst lehren?

Dem Philosophen Immanuel Kant zufolge ist der Mensch vervollkommnungsfähig und kann nur durch strenge Erziehung und Disziplin zur Vernunft gelangen. Vor diesem gedanklichen Hintergrund taucht die Frage auf, inwiefern der autoritäre Umgang mit Jugendlichen zu deren Entwicklungsprozess beitragen kann, vor allem, wenn es sich um Minderjährige handelt, welche in die Gewaltszene gerutscht sind.

Die Landtagspräsidentin der Lega Rita Mattei scheint Kants Überzeugung zuzustimmen, zumal sie bereits im Juni in einem Beschlussantrag neue und vor allen Dingen konsequentere Maßnahmen forderte, um die Jugendgewalt in Südtirol einzudämmen und gegen die Aktionen der Baby-Gangs anzukämpfen. Dabei nahm Mattei Bezug auf einen Bericht des Forschungszentrums Transcrime, das sich in Zusammenarbeit mit der katholischen Universität Sacro Cuore in Mailand, dem Innenministerium und dem Justizministerium mit dem Thema Kriminalität beschäftigt.

 

Rita Mattei
Landtagspräsidentin Rita Mattei (Foto: facebook/Rita Mattei)

 

Aus der Darlegung des Forschungszentrums geht unter anderem hervor, was man sich konkret unter den Ausdrücken Jugend- und Baby-Gangs vorstellen kann. Nachweislich bezeichnen diese immer öfter im Diskurs stehenden Begriffe Gruppen, die aus mindestens drei Jugendlichen unter 24 Jahren bestehen und in kriminelle Aktionen verwickelt sind, welche nicht zwangsläufig strafrechtlich geahndet werden. Zu den am häufigsten verübten Straftaten zählen dabei Schlägereien, Körperverletzung, Mobbing, Diebstahl, Vandalismus und allgemeine Ruhestörung.

Weiterhin bietet Transcrime eine genauere Charakterisierung der Baby-Gangs gemäß den Informationen, welche von Italiens Ordnungskräften zur Verfügung gestellt wurden.

Demnach bestehen die meisten Baby-Gangs aus weniger als 10 Jugendlichen, wobei sich vorwiegend Jungen im Alter von inklusive 15 bis 17 Jahren zu solchen Gruppen vereinigen. Die Mitglieder der Gangs sind überdies hauptsächlich von italienischer Nationalität und haben häufig mit Problemen sozialer und finanzieller Natur oder Ausgrenzung zu kämpfen. In Bozen ist etwa die Jugendgang „Banda Casanova“ bekannt, deren Besonderheit das besorgniserregend junge Alter der Mitglieder darstellt. Es handelt sich nämlich um einen Zusammenschluss aus Minderjährigen unter 14 Jahren, die sich im Bozner Stadtviertel Casanova wiederholter Diebstähle und Tiermisshandlungen strafbar gemacht haben.

Um diesen und ähnlichen Gewaltakten entgegenzuwirken, hat der Landtag nun die von Rita Mattei vorgeschlagenen Maßnahmen genehmigt, welche in erster Linie eine grüne Nummer umfassen, die allen Bürger*innen zur Verfügung steht, um Jugendgewalt und Ausschreitungen der Baby-Gangs zu melden. Auf diese Weise soll die Möglichkeit geboten werden, Minderjährige, die an Gewaltakten und Vandalismus beteiligt sind, umgehend anzuzeigen. Außerdem dürfte es die grüne Nummer als vom Südtiroler Landtag gewährleisteter Dienst auch der öffentlichen Verwaltung erleichtern, die Situation mit konkreten Gegenmaßnahmen unter Kontrolle zu bringen.

 

Telefono
Eine grüne Nummer soll die Jugendgewalt eindämmen (Bild: upi)

 

Mattei schlägt überdies vor, den Eltern von gewalttätigen Jugendlichen einige „nicht essenzielle“ Landesbeiträge und Förderungen zu streichen, um das Phänomen der Jugendgewalt auf diese Weise mit einem weiteren Druckmittel zu versehen und es idealerweise einzuschränken. Außerdem zieht das Land Südtirol in Erwägung, bei Fällen von Vandalismus im Strafprozess als Nebenkläger gegen die Täter*innen aufzutreten.

Erziehung durch Sanktionen – was Kant durchaus gutgeheißen hätte, wirkt sich gemäß dem optimistischeren Menschenbild des Jean-Jacques Rousseau negativ auf das Gedeihen der Erwachsenen von morgen aus, ist der Mensch in seinen Augen doch von Natur aus gut, verfällt aber im Laufe des Lebens den schlechten Einflüssen der Gesellschaft.

Dieser philosophische Blickpunkt ist in sich gewiss bedenklich, regt jedoch zum Nachdenken an, vor allem im Hinblick darauf, wie die politischen Institutionen Südtirols Jugendliche und somit die zukünftigen Wähler*innen stereotypisieren.

Tanja Rainer, die Vorsitzende des Südtiroler Jugendrings (SJR) etwa macht auf die „leichtfertige Kriminalisierung der Jugend“ aufmerksam, der sich sowohl die Medien als auch die Politik bedienen und somit vor der Tatsache die Augen verschließen, dass das Fehlverhalten der Teenager letzten Endes symptomatischer Natur ist und auf tieferliegende gesellschaftliche Probleme hindeutet. Die angedachten Konsequenzen für verhaltensauffällige Jugendliche, die nach dem Plan der Landtagspräsidentin deren Eltern als Empfänger*innen sozialer Hilfeleistungen treffen würden, sind laut Rainer ebenfalls kontraproduktiv: Derartige Sanktionen führen lediglich dazu, dass sozial- und einkommensschwache Familien in eine gesellschaftliche Außenseiterrolle gedrängt werden, was die gewalttätigen Minderjährigen zusätzlich belastet und nicht selten weitere Eskalationen zur Folge haben kann.

 

Tanja Rainer, SJR
Tanja Rainer, SJR (Foto: salto.bz)

 

Die SJR-Vorsitzende ist sich bewusst, dass die Politik vor allem in Wahlkampfzeiten oft auf strengere Maßnahmen zurückgreift, was jedoch nicht als Rechtfertigung für zweckwidrige Bestimmungen herangezogen werden darf. „Ein Wahlkampf sollte nie auf dem Rücken junger Menschen und schwächerer Gruppen ausgetragen werden“, unterstreicht Rainer. Als Obfrau der Dachorganisation der Kinder- und Jugendorganisationen Südtirols ist es ihr ein Anliegen, dass kulturelle Vielfalt, demokratische Prozesse sowie Kinder- und Jugendpartizipation im Land gefördert werden. Mit seinen 16 Mitgliedsorganisationen und den 59.000 Mitgliedern, die sich für die Südtiroler Minderjährigen einsetzen, versteht sich der parteipolitisch unabhängige SJR als eine lernende Organisation, die sich Hand in Hand mit ihren Schützlingen weiterentwickelt und als Brückenbauer zwischen den Generationen fungiert. Darüber hinaus vermittelt der Südtiroler Jugendring auch zwischen verschiedenen Sprachgruppen, Kulturen, Religionen und will öffentliche Institutionen der Gesellschaft näherbringen.

 

Ein Wahlkampf sollte nie auf dem Rücken junger Menschen und schwächerer Gruppen ausgetragen werden"

 

In Bezug auf das Thema der Jugendgewalt fordert die SJR abschließend eine seriöse, verantwortungsvolle und professionelle Auseinandersetzung damit und appelliert an die Verantwortungsträger*innen der Politik sowie der Gesellschaft, dabei auch Personen und Organisationen einzubinden, welche über Kompetenzen und Erfahrung im Umgang mit Jugendlichen verfügen.

Auf diese Weise tut sich die Möglichkeit auf, das verbissene Gegeneinander zwischen Politik und Jugend in ein aktives und produktives Miteinander umschlagen zu lassen.

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Dietmar Nußbaumer Ven, 07/14/2023 - 21:36

D.h., Jugendliche haben ein Recht darauf, eine Gang zu gründen und derart aktiv zu sein? Bei allem Respekt und Verständnis für Klimakleber sowie Alt und Jung for Future, für Gangs und lasche Gesetze habe ich kein Verständnis.

Ven, 07/14/2023 - 21:36 Collegamento permanente