Giuseppe Conte
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Politica | Giuseppe Conte

Kämpfer im Massanzug

Vor zwei Jahren trat Giuseppe Conte erstmals an die Öffentlichkeit. Heute wächst seine Popularität von Tag zu Tag.
Vor fast genau zwei Jahren lud die Fünf-Sterne-Bewegung im grossräumigen Salone delle fontane in Rom zur Vorstellung ihrer Wunschliste für ein zukünftiges Kabinett. "Non è un governo ombra, ma fatto alla luce del sole", präzisierte Luigi Di Maio. Etliche Namen wie jene von Riccardo Fraccaro oder Lorenzo Fioramonti waren bereits als prominente M5S-Mitglieder bekannt. Die meisten wie die als Innenministerin vorgesehene Paola Giannekatis oder der für das Wirtschaftsressort ausgewählte Andrea Roventini waren unbekannte Neulinge. Ein in der ersten Reihe sitzender Kandidat fiel durch besondere Eleganz auf: Es war der für das Ressort öffentliche Verwaltung prädestinierte Universitätsprofessor Giuseppe Conte, der sich über seine Wahl erstaunt zeigte: "Non vi ho votato, non ero nemmeno vostro simpatizzante. Ma mi avete detto: Non fa niente. Vogliamo un indipendente."
 
Damit begann eine der ungewöhnlichsten und erstaunlichsten politischen Karrieren der jüngeren italienischen Geschichte. Nach Jahrzehnten notorischer  Parteibuch-Wirtschaft stieg plötzlich ein unbekannter Neuling zum Regierungschef auf. Kurz vor dem Zieleinlauf drohte Conte noch zu scheitern. Der Staatspräsident lehnte den von der Lega vorgeschlagenen Wirtschaftsminister Paolo Savona ab. Als die Lega darauf beharrte, beauftragte Mattarella den parteilosen Ökonomen Carlo Cottarelli mit der Bildung eines governo tecnico. Erst dann lenkte die Lega ein. Savona wechselte ins Europa-Ressort und der Weg für Conte war frei.
 
In den römischen Chigi-Palast  übersiedelte ein den Italienern unbekannter Hochschullehrer – ein Mann der leisen Töne ohne Parteibuch und persönliche Anhängerschaft, ein unbekannter Professor für Zivilrecht an der Universität Florenz, den seine Gegner schon bald als Mann ohne Eigenschaften verspotteten.
 
Der aus dem apulischen Ort Volturara Appula unweit der Padre Pio-Geburtsstätte stammende Conte war in den 80er-Jahren Student des katholischen Elite-Kollegs Villa Nazareth und pflegt seither gute Kontakte zur katholischen Kirche. Im unorthodoxen Bündnis zwischen Fünf-Sterne-Bewegung und Lega wurde der 55-jährige immer mehr zum Gegenspieler seines Innenministers Matteo Salvini, dessen law and order-Kurs Di Maios Fünf-Sterne-Bewegung immer weniger teilte. Höhepunkt des Duells war das denkwürdige, von Salvini verlorene Vertrauensvotum im Senat. Im Gegenzug vollbrachte Conte sein politisches Meisterwerk: Er überredete den bis dahin oppositionellen PD-Parteichef Nicola Zingaretti zu einem fliegenden Frontwechsel und verbannte Salvinis Lega auf die Oppositionsbänke.
 
Aussenpolitisch konnte der freundliche Professor mit dem blütenweissen Einstecktuch in der Brusttasche schon bald punkten – bei Bundeskanzlerin Merkel, dem russischen Präsidenten Putin und auch bei US-Präsident Trump. Conte: "Er hat mich gefragt, wo ich meine Anzüge kaufe. Ich empfahl ihm meinen neapolitanischen Schneider Paolo di Fabio. Seither pflegen wir gute Beziehungen."
In der Coronavirus-Epidemie konnte Giuseppe Conte seine Popularität weiter steigern. Rund um die Uhr schwor er die Italiener auf die Verhaltensregeln ein – die Übermüdung war ihm häufig anzusehen.  
Millionen Italiener verfolgten am Samstag den von allen TV-Sendern der Halbinsel übertragenen, eindringlichen Appell zur Selbstdisziplin bei der Bekämpfung des Virus. 
 
"Oggi non ci abbracciamo per abbracciarci più forte domani. So che non è facile, ma le vostre rinunce danno un grande contributo al paese, L'Italia sta dando prova di essere una grande
comunità unita e responsabile."
 
Weitere sieben Millionen klickten die Botschaft im Internet an. In der Liste der beliebtesten Politiker des Landes liegt der  Premier nach dem uneinholbaren Staatschef Sergio Mattarella mit 52 % an zweiter Stelle. Nach Überzeugung politischer Beobachter hat der Regierungschef im Fall vorgezogener Neuwahlen einen Trumpf in der Hand – eine eigene Bürgerliste mit seinem Namen könnte seine Widersacher das Fürchten lehren.