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Adorno, Sterna und die Kunst

Der Künstler Thomas Sterna hat zum 50. Todestag des Philosophen Theodor W. Adorno einige Schriften erneut gelesen. Ein Gespräch über Kunst und Kapital. Und Politik.
dazwischen
Foto: Thomas Sterna

Salto.bz: Sie kommen aus der Nähe von Frankfurt. Wie hat Sie die „Frankfurter Schule“ geprägt? Wie interpretieren Sie, 50 Jahre nach Adornos Tod, dessen Denkansätze?

Thomas Sterna: „Es gibt kein wahres Leben im Falschen“, lautet ein berühmtes Zitat Adornos. Der Satz hat mich schon sehr früh beschäftigt, auch in Hinblick auf das Gegenteil: die Utopie einer besseren Welt mit weniger Entfremdung!
Ich bin in der Nähe von Frankfurt aufgewachsen. Als Adorno starb, war ich erst 11 Jahre  und ich interessierte mich noch nicht für Politik. Aber mit der Pubertät wurde das schlagartig anders. Das Leben kritisch zu hinterfragen war damals in gewisser Weise ganz selbstverständlich, sich mit Politik zu beschäftigen auch.

Sie waren ein skeptischer Zeitgenosse. Gegen wen oder was?

Mein Misstrauen richtete sich zunächst und vor allem gegen die Schule, also jene Institution, die meinen Alltag am meisten bestimmte. Dazu muss man wissen, dass 10 km westlich von Aschaffenburg, meiner Heimatstadt, die Grenze zwischen den Bundesländern Hessen und Bayern verläuft. Hessen war bis in die 1990iger Jahre traditionell ein von der SPD regiertes Land, Bayern natürlich CSU dominiert. Da die Bundesländer in Deutschland Kulturhoheit besitzen, unterschieden sich hessische und bayerische Gymnasien in ihrer Ausrichtung massiv voneinander. Ich habe diese Unterschiede dank des Austausches mit Freunden, die auf hessische Schule wechselten, deutlich gesehen. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte des 20 Jahrhunderts zum Beispiel fand bei uns in Bayern so gut wie nicht statt. Auch ansonsten herrschte eher ein repressives Klima mit hohem Leistungsdruck und einem weitgehend auf die so genannten Kernfächer reduzierten Lehrplan. Dagegen habe ich opponiert.

 

Gab es keine aufgeschlossenen Lehrkräfte?

Natürlich gab es aber auch bei uns junge Lehrer, die sich gegen die einseitige Ausrichtung des Unterrichts stemmten. Unser Klassenlehrer in der Oberstufe zum Beispiel unterrichtete Deutsch und katholische Religion. Wir baten ihn Anfang der 11. Klasse – das war 1975 – mit uns die „Dialektik der Aufklärung“ zu lesen. Er hielt das für zu schwer. Gut möglich, dass die Lektüre derart „aufwieglerischer Literatur“ auch seitens der Schulleitung nicht gern gesehen wurde. Jedenfalls schlug uns der Deutschlehrer statt Adorno das Buch „Krank an der Gesellschaft“ von Rudolf Affemann, einem evangelischen Sozialkritiker vor. Wir haben uns erst gewehrt, uns dann aber doch über mehrere Wochen sehr intensiv mit dessen Analysen auseinandergesetzt – und später auch einen so genannten Besinnungsaufsatz geschrieben. Die kritische Theorie war uns natürlich nur in Bruchstücken bekannt, aber sie bestimmte damals, denke ich, trotzdem bereits unsere Haltung mit: Wir waren sehr kritisch und waren nicht bereit Behauptungen oder Glaubenssätze einfach ungefragt zu schlucken.

Adornos Einsichten zur Struktur des autoritären Charakters entsprechen den aktuellen Entwicklungen. Was sagt uns das?

Adorno ist davon überzeugt, dass der Kapitalismus die Psyche des Menschen prägt, dass also die Art wie wir arbeiten und konsumieren, uns von uns selbst entfremdet. Das aus dieser Entfremdung resultierende individuelle Unbehagen wird, so Adorno weiter, von autoritären Politikern aufgegriffen beziehungsweise umgeleitet. Sie bieten Entlastung für Gefolgschaft. Alles was ihrer autoritären Weltsicht widerspricht, wird denunziert oder schlicht geleugnet – beispielsweise als Fake News bezeichnet. Das Ziel der starken Männer ist es, die eigene Gesellschaft, das eigene Land so zuzurichten, dass nichts mehr stört. Das einzige Mittel gegen diese potentielle Art der Vereinnahmung besteht für Adorno in Bildung. Bildung, die zur kritischen Selbstbesinnung und intellektuellen Autonomie ermutigt und sich von Nestbeschmutzer-Vorwürfen nicht verunsichern lässt.   

 

Die gegenwärtige Politik agiert großmäulerisch polternd oder mit absurder Scheinheiligkeit. Wie kann man kulturell dagegen handeln?

Ich bin natürlich, wie jeder kritisch denkende Zeitgenosse, entsetzt darüber, dass mittlerweile rund um den Globus sogenannte „Starke Männer“ an die Macht gelangen, die offensichtlich wenig übrig haben für differenziertes, „dialektisches“ Denken. Sie propagieren simple Lösungen und bedienen hemmungslos rassistische Klischees. Ich bin davon überzeugt, dass man gegenüber diesen „Brandstiftern“ klare Kante zeigen sollte. Das Minimum sollte sein, dass man sie im Sinne des Theaterstücks von Max Frisch „Biedermann und die Brandstifter“ nicht auch noch ins eigene Haus einlädt – oder gar mit ihnen koaliert. Meine Beobachtungen in den sozialen Medien zeigen mir zugleich, dass die Anhänger von Populisten gegen Kritik weitgehend immun sind. Es steht, so gesehen, zu vermuten, dass die Hoffnung mit künstlerischen Statements z.B. rechte Wähler aufrütteln zu können illusionär ist. In den meisten Fällen erreichst du wahrscheinlich nur den Teil des Publikums, der deine Ansichten ohnehin teilt. Das ist ein Problem.    

Wenn Sie die politischen Machenschaften einer populistischen Lega sowie die politische Lage Südtirols vergegenwärtigen. Wo bleibt der Kulturgedanke?

Wenn, wie im Falle der SVP eine Mehrheit meint, dass man bezogen auf das große Ganze –also Italien – zu klein und zu schwach sei, um einem Salvini und seiner Lega etwas entgegen zu setzen – so etwa in einer jüngsten Einschätzung Karl Zellers in der Südtiroler Tageszeitung – und deshalb besser mit ihm koaliert, dann macht mich das fassungslos. Spätestens mit „Ibiza Gate“ sollte deutlich geworden sein, dass für rechte Politiker auch heute die Demokratie nur ein Mittel zum Zweck des Machterwerbs darstellt. Sind sie erst einmal an der Regierung, versuchen sie sofort, wo möglich, demokratische Errungenschaften – auch Pressefreiheit – zurückzudrängen oder ganz abzuschaffen. Daran hat sich seit 1933 nichts geändert. Jan Böhmermann hat es in einem Post gerade auf den Punkt gebracht: „Wer immer schon mal wissen wollte, wie „das mit den Nazis“ in Deutschland „damals einfach so passieren konnte“, lebt in der richtigen Zeit.“
Die Kunstschaffenden, aber auch die Vermittler in den öffentlichen Institutionen oder diejenigen, die die Kultur verwalten, sollten, auch auf die Gefahr hin sich unbeliebt zu machen, aktuell den Mut haben sich einzumischen und für eine Kunst einzusetzen, die kritisch Stellung bezieht.   

Was beeindruckt Sie bei Adorno? Und inwieweit hat die Frankfurter Schule ihr Kunstschaffen beeinflusst?

Adornos Plädoyer für „kritische Selbstbesinnung“ und „DenkEhrlichkeit“ hat mich ermutigt, meiner eigenen Wahrnehmung zu vertrauen und mich zugleich, wie er in der Minima Moralia schreibt,  im Zweifelsfall von Gefühlen „der eigenen Ohnmacht nicht dumm machen“ zu lassen. Künstlerisch tätig zu werden erschien mir, mit Blick auf die von Adorno diagnostizierte „Entfremdung“ als Möglichkeit mein individuelles Unbehagen „auszudrücken“, mich „im Falschen“ dem „Wahren“ anzunähern. Die Tatsache, dass es in den Diktaturen dieser Welt oft die Künstler sind, die als erste den Mut aufbringen, trotz der Gefahr von Repressalien, aufzustehen und kritisch Stellung zu beziehen, zeigt, dass die autonome Künstlerpersönlichkeit weiter dringend gebraucht wird. Trotzdem stellt sich aktuell die Frage, ob es angesichts der desaströsen Weltlage ausreicht, sich als engagierter Künstler auf die Umsetzung künstlerischer Projekte zu beschränken. Anders ausgedrückt: Reicht es noch Kunst zu machen, während die sogenannten „praktischen Geister“ den „Sachzwängen folgend“ diesen Globus gegen die Wand fahren. Sollten wir Künstler uns nicht noch viel stärker politisch einmischen und offensiv für eine Kehrtwende im Sinne einer nachhaltigeren Politik eintreten?


Weshalb bringen sich so wenige Künstler in politische Debatten ein? 

Es scheint, als würde auch auf der kulturellen Ebene eine zunehmende Polarisierung stattfinden zwischen jenen Künstlern*innen, die sich in erster Linie am Markt orientieren und jenen, die genau das nicht tun wollen, sondern auf ihre Autonomie pochen und auf eine avantgardistische Tradition. Wolfgang Ullrich hat vor einiger Zeit im Rahmen eines Vortrags über die Zukunft der Akademien einen spannenden Gedanken geäußert. Er geht davon aus, dass wir gerade auf eine Art Kunstschisma zusteuern mit der sogenannten Siegerkunst auf der einen Seite und einer politischen, im weitesten Sinne gesellschaftskritischen Kunst auf der anderen und dass diese Polarisierung in Zukunft auch die Ausrichtung der Akademien prägen wird. Er rechnet damit, dass sich die Ausbildung spalten wird in einen vielleicht privatwirtschaftlich finanzierten Zweig, der sich vor allem zum Ziel setzt, den Luxuskunstmarkt zu bedienen und den anderen, wahrscheinlich eher staatlich geförderten, der weiter auf „kritische“ Kunst setzt. Mir erscheint dieser Gedanke durchaus plausibel. Man denke nur an die Geschichte rund um das Bild "der Anbräuner" von Neo Rauch.

Und die wäre?

Es geht mir dabei weniger um den Konflikt zwischen Ullrich und Rauch, obwohl die Implikationen dieser Auseinandersetzung auch durchaus spannend sind, sondern um die Rolle, die das Geld dabei spielt. Das Bild, dessen kunstgeschichtliche Bedeutung ja noch zu ermitteln wäre, wurde in Leipzig Ende Juli im Rahmen einer Spendengala für 750 000 Euro versteigert. Der Käufer Christoph Gröner, ein deutschlandweit agierender Immobilienmakler, plant im Herbst dieses Jahres einen Verein zu gründen mit dem sinnigen Namen: "Verein für den gesunden Menschenverstand".  Das Bild "der Anbräuner" soll in Zukunft das  Foyer des Vereinsgebäudes schmücken. Er zahlte 750 000 Euro für ein tendenziöses Bild, das man im weitesten Sinne als einen Angriff auf jegliche Form kritischer Auseinandersetzung mit Kunst ansehen muss. Der hohe Geldbetrag suggeriert Bedeutung und zugleich Gefolgschaft bzw. Parteinahme für die Haltung Neo Rauchs, der übrigens in Deutschland zu den Reichsten seiner Zunft gehört und sich scheinbar trotzdem als Opfer – eines linksliberalen Klüngels – fühlt.

Solche Vorgänge lassen sich im Grunde überall beobachten…

Vermögende Sammler beeinflussen durch ihr finanzielles Engagement die Wahrnehmung und Bewertung von Kunst. Dabei fließen automatisch ihre weltanschaulichen und (un)politischen Überzeugungen ein. So gesehen ist jeder Kauf nicht nur Ausdruck altruistischer Kunstliebe, sondern auch ein – kunstpolitisches – Statement und zugleich gegebenenfalls auch ein Angriff auf die künstlerische Autonomie. Denn wer als Künstler auf eben diese Autonomie pocht und Kunst produziert, die, vorsichtig formuliert, politische Einmischung bzw. Institutionskritik nicht ausschließt, kann das natürlich weiterhin machen, läuft aber mit Blick auf das, was die Mehrzahl der Sammler präferiert, Gefahr nicht marktgängig zu sein.

Gibt es auch Ausnahmen?

Ausnahmen sind Künstler*innen, die es auch in diesem Bereich geschafft haben Labelstatus zu erlangen, wie etwa Hans Haake oder Hito Steyerl. Es verwundert, so gesehen, auch nicht, dass Parteien wie die AFD oder die FPÖ die staatliche Förderung – durch Stipendien oder Ankäufe – von Kunst abschaffen wollen, denn auf diese Weise kann man gleichfalls, ganz nebenbei, den kritischen, auf Autonomie pochenden Stimmen innerhalb der Künstlerschaft die finanzielle Basis streitig machen. Man erinnere sich nur daran, welche Kunst unter den Nazis als nicht entartet galt: gegenständliche Malereien und figürliche Plastiken, die sich den Sehgewohnheiten der einfachen Leute anpassten, das heißt traditionelle Sujets wie Stilleben, Landschaften, Porträts oder Interieurs bevorzugten oder eben die Nazi-Ideologie verherrlichten. Wenn ich heute eine Kunstmesse besuche, dann muss ich feststellen, dass es jenseits der Labelkunst erneut gegenständliche Malerei und figürliche (Klein)plastik ist, die noch am ehesten Käufer anzieht, zumindest sind die Galerien voll von dieser Art Ware für Mittelklasse-Wohnlandschaften. Mit Kunst, wie ich sie verstehe, hat das nur in den seltensten Fällen etwas zu tun.

Das hätte Adorno ähnlich gesehen…

Wer als Künstler*in heute auf Autonomie pocht und es wagt sich auch politisch einzumischen muss in jeder Hinsicht einen langen Atem haben. Ich schätze, sich in dieser Hinsicht zu exponieren erscheint vielen Kollegen*innen als zu Kräfte raubend und vielleicht auch als zu bedrohlich.

 

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Hans Knapp

„Die Kunstschaffenden, aber auch die Vermittler in den öffentlichen Institutionen oder diejenigen, die die Kultur verwalten, sollten, auch auf die Gefahr hin sich unbeliebt zu machen, aktuell den Mut haben sich einzumischen und für eine Kunst einzusetzen, die kritisch Stellung bezieht.“ Das will ich unterschreiben.
Wir Menschen sind intelligent genug, Kräfte (der Natur und der gesellschaftlichen Organisation) mit großen Wirkungen zu entfesseln, aber dass wir auch fähig und willens sind, uns selbst zu beherrschen und das, was wir können, mit Bedacht zum allgemeinen Wohl einzusetzen, scheint alles andere als sicher.
Kunst kann (neben manch anderem, was man auch von ihr erwartet) dazu beitragen, uns über grundlegende Vorstellungen eines guten Lebens auszutauschen, und Kunst kann eine ‚bewegende‘ Auseinandersetzung mit und Kritik an bestehenden Verhältnissen darstellen. Wenn sie nur recht erfolgreich dabei wäre!
Mut, sich für die gute Sache einzusetzen ist schön; einige haben mehr davon, andere weniger, und es gibt ja auch Menschen, die keinen Mut zu Kritik brauchen, weil sie die Verhältnisse ganz in Ordnung finden. Auch in der Welt der Kunst.

Lun, 08/19/2019 - 23:13 Collegamento permanente
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Die Rede, die Agnes Heller für das diesjährige Forum Alpbach vorbereitet hat, kann in der F.A.Z. nachgelesen werden, auch online. (Ausgabe vom 19.08.2019)
"Kein Weg führt nach Utopia"
Es geht darin um den Gebrauch der Freiheit.
Ein letztes Zeugnis einer großen Persönlichkeit!

Mar, 08/20/2019 - 21:46 Collegamento permanente