Politica | Wahlen/elezioni 23

„Nichts wurde in 10 Jahren umgesetzt“

Thomas Widmann will mit seiner neuen Liste nicht nur in den Landtag einziehen, er will auch mitbestimmen. Mit welcher Strategie seine Rechnung aufgehen könnte.
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Foto: Salto.bz
Salto.bz: Herr Widmann, Sie bewirtschaften auf einem der schönsten Flecken Südtirols einen Bauernhof. Wieso in Gottes Namen wollen Sie noch einmal in die Landespolitik?
 
Thomas Widmann (lacht): Ich empfinde es als einen Auftrag.
 
Auch durch die Familiengeschichte bedingt? Ihr Vater gehörte zu den Gründungsmitgliedern der SVP …
 
Ich bin natürlich durch mein Elternhaus stark geprägt, war politisch sehr interessiert, wodurch es sich ergeben hat, dass ich beim Bauernbund tätig geworden bin. Siegfried Brugger hat mich 2003 gebeten zu kandidieren, das habe ich gemacht und ich habe auch gleich den Einzug in den Landtag geschafft. Mein Plan war es nie, Politiker zu werden, sondern ich wollte mir einen Hof kaufen und Wein anbauen. Als Politiker habe mich jedoch mit Freude und Begeisterung in meine Arbeit gestürzt und versucht, die Dinge von innen heraus zu ändern.
 
Man kann sich vorstellen, dass es in den Diskussionen heftig gekracht hat, aber nach außen hin wurde Zusammenhalt demonstriert.
 
Jetzt werden Sie doch nicht nostalgisch?
 
Schauen Sie: Hubert Frasnelli war ein Ultra-Linker, Franz Pahl dagegen rechts, Oskar Peterlini war links, Siegfried Brugger Mitte-links, Karl Zeller Mitte-rechts. Man kann sich vorstellen, dass es in den Diskussionen heftig gekracht hat, aber nach außen hin wurde Zusammenhalt demonstriert. Meine Aufgabe als Politiker bestand unter anderem darin, Gruppen wie die Arbeitnehmer wieder zurückzuholen, wenn sie ausscheren wollten. Frasnelli beispielsweise trug sich mit dem Gedanken, eine eigene Partei zu gründen, wurde aber wieder zurückgeholt. Das war unsere Stärke. Ich bin in die Politik gegangen, weil ich etwas Gutes für die Bevölkerung tun wollte. Wenn ich jedoch sehe, dass wir ein Urbanistik-Gesetz haben, bei dem sich kein Mensch mehr auskennt …
 
… das Urbanistik-Gesetz wurde noch unter Landesrat Richard Theiner auf den Weg gebracht und Sie hätten seinerzeit durchaus die Möglichkeit gehabt, ein gewichtiges Wort mitzureden.
 
Natürlich, aber jeder, der mir zumindest neutral gesinnt ist, wird zugeben müssen, dass ich damals vehement dagegen war. Ich war überzeugt, dass dieses Gesetz kein gutes Gesetz ist. Man war jedoch der Meinung, dass es sich als Wahlkampfthema eignet und wir damit die Wahlen gewinnen könnten. Ich habe dagegen behauptet, dass es sich um einen Rohrkrepierer handelt. Wir haben intern heftig darüber gestritten, manche Sachen habe ich durchgebracht, was jedoch nicht bei allen gut angekommen ist. Damit will ich sagen, dass die Partei in eine Richtung geht, die ich nicht mehr gutheiße – zumindest nicht in allen Bereichen.
 
 
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Thomas Widmann, Gründer der Liste „Für Südtirol mit Widmann“: „Die Verwaltung muss richtig geführt werden. Ziele Vorgeben, Visionen zeichnen und dafür sorgen, dass alle in die gleiche Richtung arbeiten.“ (Foto: Salto.bz)
 
 
 
Sind die Änderungen am Landesgesetz „Raum und Landschaft, die im Mai verabschiedet worden sind und in welchen beispielsweise der Passus zum Wohnen mit Preisbindung genau definiert worden ist, ebenfalls „Rohrkrepierer“?
 
Was ich damit sagen will, ist, dass ich nicht Einblick in sämtliche Details sämtlicher Ressorts habe, sondern ein Ziel vor Augen. Als ich für Mobilität zuständig war, habe ich die besten Modelle studiert, mir die besten Berater gesucht und die Situation analysiert, die darin bestanden hatte, dass es vor der einheitlichen Südtirol Mobil-Karte eine Vielzahl unterschiedlicher Systeme gab. Das war alles eine Zugangshürde. Wir haben gemeinsam einen Südtirol-Takt entwickelt, in dem beispielsweise vorgeschrieben war, dass jede 500-Seelengemeinde eine Verbindung im Stunden-Takt erhält. Mit solchen Vorgaben haben wir den Rahmen und ein klares Ziel abgesteckt. Leistbares Wohnen ist definitiv ein Problem. Wenn 19 Monate ins Land ziehen, bis man die Zusage für einen finanziellen Beitrag erhält, darüber hinaus eine Bankgarantie geben muss – viele junge Menschen tun sich heute schwer damit – und weitere Hürden geschaffen werden, dann frage ich mich, wer das bezahlen soll. Will man leistbares Wohnen ermöglichen oder mit Auflagen zusätzlich verteuern?
 
Wie würde Ihre Lösung aussehen?
 
Bürokratie abbauen, klare Regeln, die Bearbeitung von Anträgen beschleunigen, mit weniger Zwängen und Auflagen. Ich habe nicht für alle Baustellen die Lösung parat, wenn ich aber in der Sanität vor dem Problem von zu langen Wartezeiten gestanden bin, dann bin ich dem Problem auf den Grund gegangen, habe mir sämtliche Kenndaten geben lassen und die entsprechenden Verwaltungsstellen damit konfrontiert, die dann nicht anders konnten, als darauf zu reagieren.
 
Die Verwaltung muss unter Druck gesetzt werden, damit sie die entsprechenden Ergebnisse produziert?
 
Die Verwaltung muss richtig geführt werden. Ziele vorgeben, Visionen zeichnen und dafür sorgen, dass alle in die gleiche Richtung arbeiten.
 
Ziele Vorgeben, Visionen zeichnen und dafür sorgen, dass alle in die gleiche Richtung arbeiten.
 
Wird die Verwaltung schlecht geführt?
 
Sie wird überhaupt nicht geführt. Ich bin überzeugt, dass der Großteil der Beamten ihre Arbeit sehr gut macht – absolut. Aber wir haben uns verzettelt und sehen das große Ganze nicht mehr. Wir haben viele wichtige Räder, die nicht mehr ineinander greifen, sondern die sich nur mehr um sich selbst drehen. Das geschieht nicht aus Böswilligkeit, sondern jeder versucht an seiner Stelle, die Arbeit noch akribischer und noch gerechter zu gestalten, bis wir vor einem Regelwerk stehen, durch das niemand mehr durchblickt und das die Bevölkerung auch nicht mehr ertragen will.
 
 
 
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Thomas Widmann: „Ich teile die Werte der SVP zu hundert Prozent, meiner Meinung nach befindet sich unser Land jedoch in einer Schieflage, weil das, was angekündigt wird, nicht mehr umgesetzt wird.“ (Foto: Seehauserfoto)
 
 
Was ist Ihre Motivation? Veränderung?
 
Jeder spricht über Veränderung, aber niemand packt es an. Das ist der Unterschied zwischen der SVP, die ich zu Beginn meiner Karriere kennengelernt habe und ihrem heutigen Zustand. Was ist in den letzten zehn Jahren wirklich umgesetzt worden? Nichts! Hört man sich die Sprache der derzeitigen Regierung an, so erfährt man, dass „sie sich des Problems des Pflegemangels annehmen wollen“. Das reicht nicht. Wie bei der Facharztausbildung, wo wir in manchen Bereichen die Ausbildung finanziert und das Problem damit in den Griff bekommen haben, wollte ich auch für die Pflegeausbildung ein Abkommen mit der Tiroler Fachhochschule für Gesundheitsberufe aushandeln. Geplant war, drei Außenstellen in Südtirol – Schlanders, Bruneck und Brixen – zu errichten und zwar sollten diese bis Herbst 2022 stehen. Nachdem mir mein Amt entzogen wurde, wurde jedoch nichts daraus und nach zwei Jahren sprechen wir immer noch von Pflegemangel und dass wir uns des Problems annehmen müssen. Ich teile die Werte der SVP zu hundert Prozent, meiner Meinung nach befindet sich unser Land jedoch in einer Schieflage, weil das, was angekündigt wird, nicht mehr umgesetzt wird. Ich fühle mich noch jung und voller Energie und möchte mich dafür einsetzen, dass wieder das Tun im Mittelpunkt steht.
 
Meine Ursprungspartei, die Südtiroler Volkspartei, ist enger geworden, ausgrenzender, lässt keinen Pluralismus mehr zu.
 
Gegen Landeshauptmann Arno Kompatscher und seine Regierung?
 
Das geht nicht gegen etwas oder gegen jemanden, sondern ich will eine andere Art der Politik, eine Politik des Tuns und Machens, welche jedoch die Werte der SVP teilt. Meine Ursprungspartei, die Südtiroler Volkspartei, ist enger geworden, ausgrenzender, lässt keinen Pluralismus mehr zu, sondern setzt auf eine einseitige Richtung und ist, kurz gesagt, nicht mehr so offen, wie sie es früher war. Es darf nicht mehr jeder alles sagen – Pluralismus muss in der Politik jedoch möglich sein. Deshalb setze ich mich mit meiner Liste dafür ein, dass motivierte und junge Leute die Möglichkeit erhalten, etwas zu bewegen. Sieht man sich meine Kandidatenliste an, dann sind das alles Persönlichkeiten, die in ihrem Leben bereits etwas geleistet und bewegt haben. Ewald Moroder, Marina Rubatscher Crazzolara und Laura Nogler Nicolussi sind Macher und Macherinnen, gewillt Projekte umzusetzen und verfügen dazu über ein enormes Fachwissen. Ich bin noch mit einigen weiteren im Gespräch, die ebenfalls diese Voraussetzungen mitbringen.
 
Es kursieren haufenweise Gerüchte –  wer wird noch für Sie kandidieren?
 
Dazu kann ich noch nichts sagen, die Gespräche laufen noch. In einigen Tagen werden wir weitere Kandidaten präsentieren.
 
Ihr Projekt „Für Südtirol mit Widmann“ ist langfristig ausgelegt?
 
Absolut. Ich möchte Leute mit ins Boot holen, die eine Gesamtvision haben und die nicht nur ankündigen, sondern auch an die Umsetzung gehen und mitbestimmen wollen.
 
Wenn wir mehrere Mandate erreichen, sind wir auf jeden Fall mitbestimmend.
 
Apropos mitbestimmen, Sie haben als Ziel eindeutig die Mitbestimmung definiert. In der Opposition ist das nur eingeschränkt möglich, was bedeutet, dass Sie die SVP-Abgeordneten überzeugen werden müssen.
 
Laut aktueller Umfragen wird die SVP wahrscheinlich 13, bestenfalls 14 Mandate erreichen. Das heißt, dass sie nicht mehr alleine entscheiden wird, sondern mehrere Positionen im Spiel sind. Wenn wir mehrere Mandate erreichen, sind wir auf jeden Fall mitbestimmend. Wenn man mit uns eine Koalition eingeht, dann ist das keine Opposition.
 
Sie bieten sozusagen die beste Option unter den Mitbewerbern an?
 
Wir wären keine Oppositionspartei, weil wir die gleichen Werte teilen, nur dass wir der Meinung sind, dass zuwenig umgesetzt wird.
 
 
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Thomas Widmann: „Wenn die Mehrheit der Meinung ist, dass meine Argumente die besseren sind und dafür stimmt, dann ist das gelebte Demokratie.“ (Foto: Salto.bz)
 
 
Wie soll Landeshauptmann Kompatscher, der ein „Entweder ich oder Widmann“ ausgegeben hat, zu so einer Koalition ja sagen?
 
Über mögliche Koalitionen wird der Partei-Ausschuss entscheiden. Die Mehrheit tendiert nicht zu links-grün, sondern zu einer Partei der Mitte, die auf traditionellen Werten fußt. Das heißt, der Partei-Ausschuss wird entscheiden, mit welcher anderen Partei eine Koalition eingegangen wird, aber nicht welchen Vertreter diese Partei in die Regierungsverantwortung entsenden will. Sicher ist, dass die Südtiroler Volkspartei die Mehrheit verlieren wird, was bedeutet, dass sie möglicherweise mit einer deutschen Oppositionspartei, die nicht die Werte der SVP teilt, und einer italienischen Partei eine Koalition eingehen muss. Wir hätten damit Verhältnisse wie in Trient. Schaffe ich es dagegen, mehrere Mandate zu erringen, dann habe ich die gleichen Ziele und Werte anzubieten. Dazu muss man wissen, dass rein aus ideologischen Gründen bereits von vornherein bestimmte Konstellationen ausgeschlossen sind, was auch bedeutet, dass es nicht sehr viele Möglichkeiten gibt, wie eine Koalition aussehen könnte.
 
Sicher ist, dass die Südtiroler Volkspartei die Mehrheit verlieren wird.
 
Sie pflegen – auch nach der Gründung einer eigenen Liste – immer noch sehr freundschaftliche Beziehungen zu den SVP-Mitgliedern und sind offenbar überzeugt, dass Sie in der Lage sind, sie für Ihre Argumente zu gewinnen bzw. die Oberhand gegen Landeshauptmann Kompatscher gewinnen können.
 
In den Fraktionssitzungen war ich öfters in der Lage, die Mehrheit mit meinen Argumenten zu überzeugen, das war aber, und ich betone das nochmals, nicht gegen jemanden gerichtet. Wenn die Mehrheit der Meinung ist, dass meine Argumente die besseren sind und dafür stimmt, dann ist das gelebte Demokratie. Es stimmt, dass ich mit sehr vielen SVP-Mitgliedern, die immer noch zu meinen Freunden gehören, ein super Verhältnis habe. Warum sollte ich also bei vernünftigen Vorschlägen dagegen stimmen? Vorher habe ich versucht, intern etwas durchzubringen und nun versuche ich mit meiner eigenen Liste, Mehrheiten zu bekommen.
 
Sie gehen davon aus, dass die SVP-Mehrheit zu bestimmten Themen für Sie stimmen wird?
 
Erstens und vor allem entscheiden die Wähler und der Wählerinnen, wer in die Regierungsverantwortung kommt und somit über mögliche Koalitionen. Bevor ich mir also dazu irgendwelche Gedanken machen kann, muss erst die Wahl gewonnen werden.
 
Sie sprachen vorhin von „meiner Partei, die SVP“. Hoffen Sie darauf, dass Sie mit Ihrer Liste irgendwann in den Schoß der Mutterpartei zurückkehren werden?
 
Natürlich ist es in gewisser Weise immer noch meine Partei, aber nun sind wir die Liste „Für Südtirol mit Widmann“ und die SVP ist die SVP. Wir teilen die gleichen Werte, nur lautet unser Credo, dass wir uns für eine Politik des klugen Entscheidens und konkreten Handelns einsetzen wollen.