„Sprache muss gelebt und geliebt sein“

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Im Bozner Stadtteil Don Bosco wächst seit Jahrzehnten ein vielfältiges, mehrsprachiges Umfeld. Doch wie schafft man inmitten dieser Vielfalt eine Schule, die nicht trennt, sondern verbindet? Genau diese Frage stellt sich derzeit beim Bau der neuen Schule in der Bari-Straße, die dort bis September 2027 entstehen soll.
Heidi Niederkofler, die ehemalige Schuldirektorin der Grundschule „J.H. Pestalozzi“, war 26 Jahre lang Schulführungskraft und erzählt SALTO von zukunftsweisenden Ansätzen, die fruchtbar für das pädagogische Konzept der neuen Schule in der Bari-Straße sein könnten. Da sie im Ruhestand ist, feilt sie jedoch nicht mehr an Konzepten, sondern spricht als Bürgerin Wünsche für ihre Stadt aus.
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SALTO: Wie blicken Sie nun im Ruhestand auf das Gebäude vor Ihnen?
Heidi Niederkofler: Um die Geschichte der Schule zu verstehen, muss man die Geschichte des Viertels Don Bosco verstehen. In den 1980er-Jahren begann sich dieser Stadtteil stark zu entwickeln. Auf den Abriss der Semirurali-Siedlungen hin, wurden Wohnhäuser mit höherer Siedlungsdichte errichtet. Immer mehr Familien siedelten sich an – auch deutschsprachige. Für diese gab es aber noch keine deutschsprachige Schule. Viele deutschsprachige Kinder gingen damals in die Grundschule „Alessandro Manzoni“ und waren praktisch Gäste in einer italienischen Schule. Der Rest ging in die italienischsprachige Martin-Luther-King-Schule. Dann, nach dem Bau der Pestalozzi-Grundschule in der Europallee, fand die Übersiedlung der deutschsprachigen Schülerinnen und Schüler aus der Martin-Luther-King dorthin statt. Nicht nur aufgrund der längeren Schulwege gefiel das jedoch vielen nicht. Kinder und Lehrkräfte der verschiedenen Sprachgruppen fühlten sich in ihrer alten Schule integriert und beheimatet.
Man spaltete eine Schulgemeinschaft?
Genau, und schuf nebenbei längere Schulwege. Bereits in den späten 1980ern versprach man den Bewohnern des Stadtviertels in der Bari-Straße, eine Schule zu bauen, die logistisch und konzeptionell den Bedürfnissen des Viertels gerecht wurde. Als ich 1994 als Schuldirektorin in der Grundschule Pestalozzi begann, hatte ich in einer Schublade bereits Pläne für eine Grundschule, einen Kindergarten und eine Kletterhalle liegen – andere als die heutigen. Die Schule ist heute sicher eine andere, aber die Weichen dafür wurden damals gestellt. In meinen letzten Dienstjahren, im Jahr 2017, konnte die Gemeinde schließlich nach langen Verhandlungen mit IPEA - dem Wohnbauinstitut - das ewige Vorhaben einer Schule in der Bari-Straße angehen. Und so sind die Gemeinde und die Schulämter an meine Kollegin, Direktorin Laura Cocciardi, und mich mit der Frage herangetreten, wie man diese neue Schule gestalten könnte.
Den Vorschlag, die Bari-Straße als rein deutsche Schule aufzubauen, empfand ich stets als Rückschritt.
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Ein Konzept, das ähnlich ist, wie das der Grundschule „Alexander Langer“?
Das kann man sagen. Den Vorschlag, die Bari-Straße als rein deutsche Schule aufzubauen, empfand ich stets als Rückschritt, in Anbetracht der Entwicklungen in unserem Viertel. Wir entwickelten also, auf unseren Erfahrungen und Kenntnissen beruhend, in enger Zusammenarbeit mit zehn italienischen und deutschen Lehrkräften, für den heterogenen Kontext Don Boscos ein Projekt, das auf verschiedenen Faktoren beruhte: enge Partnerschaft mit den italienischen Klassen; gemeinsame Stundenpläne, Projekte, Räumlichkeiten, ein gemeinsamer Eingang; zweimal im Jahr ein gemeinsames Lehrerkollegium; gemeinsame Fortbildungen – kein Nebeneinander, sondern ein Miteinander! Dabei war immer der Fokus entscheidend, dass die Kinder gut Deutsch oder gut Italienisch lernen und erfolgreich zweisprachig werden.
Die Bildungsforschung spricht eine klare Sprache: Vielfalt braucht angemessene Ressourcen und ein zielführendes pädagogisches Konzept. Wie sähe ein solches aus?
Ich schlug vor, hier ein Modell aufzubauen, das einerseits eine Öffnung der Altersgruppen beinhaltet, also Klassen von der ersten Grundschulklasse bis zur dritten Mittelschulklasse im selben Haus vereint. Zum anderen würden die Sprachgruppen Deutsch, Italienisch und die Neu-Südtiroler unter einem Dach vereint – und zwar mit einem angemessenen pädagogischen Konzept. Zu Beginn sollte es einen italienischen und einen deutschen Sprachzug geben, sodass die Kinder in der Muttersprache gefestigt werden und um ein sprachliches Ungleichgewicht zu verhindern, also dass nach wenigen Wochen alle nur Italienisch – was im Viertel Don Bosco wahrscheinlicher wäre – oder Deutsch sprechen. Die Schule würde sich dann im Prozess strukturieren. Von der ersten Volksschule bis zur dritten Mittelschule gäbe es Parallelklassen eines deutschen und eines italienischen Zuges. Diese würden, wie Partnerklassen agieren, die in engem Austausch stehen und in der Mittelschule je nach sprachlicher Orientierung stärkere Deutsch- oder Italienisch-Schwerpunkte setzen können, wobei es in späteren Stufen, etwa in den Mittelschulklassen, auch Wechseloptionen geben sollte.
„Für ein pädagogisch fruchtbares Miteinander bedarf es auch eines gemeinsamen ‚Koffers‘ an zusammen ausgearbeiteten Instrumenten.“
Die Architektur sieht sonderbar aus, hat sie eine Funktion?
Ein Kubus im Grünen, das so wenig Platzverlust erleiden sollte, wie nur möglich. Architektonisch orientierte man sich am ‚Miteinander‘ unseres Konzepts: gemeinsam nutzbare Mehrzweckräume, Orte für kleine und größere Lerngruppen, eine sprachenübergreifende Bibliothek, ruhige Orte für das individuelle Lernen sowie die gemeinsame Turnhalle und Mensa. Die Gänge, Nischen, Ecken, Sitzkreise und die anpassbaren und lärmgeschützten Orte außerhalb der Klasse bezeichneten wir im erarbeiteten Konzept als „Lernstraßen“ – Orte, die Anlässe für gelebte Mehrsprachigkeit im Schulalltag ermöglichen sollten. Die Architekten haben sich damals in der Pestalozzi-Schule umgesehen, um diese Ansätze im neuen Bau umsetzen zu können. Dort hatten wir durch das Montessori-Konzept bereits Lernstraßen und Verbindungstüren, damit Kinder nicht immer vor der Lehrperson arbeiten müssen, sondern dies auch frei, selbstverwaltet, außerhalb der Klasse mit anderen tun konnten. Gibt man Kindern das Vertrauen, selbstständig zu arbeiten, ist das sehr förderlich für die Lernmotivation. Wer das ausnutzt, bleibt näher bei der Lehrperson.
Bildungslandesrat Philipp Achammer und der SVP-Arbeitstisch „Deutsche Schule“ verfolgen die Linie, mehr Verantwortung bei den Eltern zu verorten. Teilen Sie diese Linie?
Unerlässlich für einen vernünftigen Lernprozess ist auch die Einbindung der Familie. Dafür sollten auch in unserem Konzept die Eltern stärker in Bezug auf die Sprachorientierung ihrer Kinder geschult und in deren Lernprozess miteinbezogen werden. Das ist ein Prozess, der auch innerhalb der Familie gefördert werden muss, nicht nur in der Schule. Wichtig wäre auch, bereits im Kindergarten festzustellen, wie ein Kind sprachlich gefestigt ist, um es angemessen fördern zu können.
Wie sehen Sie die Ambition der italienischen Bildungsdirektion, auf eine akkreditierte Europäische Schule hinzuarbeiten?
Im baulichen Projekt, aber auch im benannten Schulprofil steckt jahrelange Planungsarbeit. Dabei ist jedoch der wichtigste Aspekt, dass es für ein pädagogisch fruchtbares Miteinander auch eines gemeinsamen „Koffers“ an zusammen ausgearbeiteten Instrumenten bedarf. Nun steht die Ambition im Raum, eine internationale Schule oder besser gesagt: eine Europäische Schule auf die Beine zu stellen. Wenn man einige der geschilderten Ansätze mit der Idee der internationalen Schule oder einer Europaschule zusammenführt, kann man mit Sicherheit das Beste daraus machen.
Sprache muss gelebt und geliebt sein, kein Stolperstein.
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Was sagt eine Verfechterin der Mehrsprachigkeit zu den Kritikerinnen und Kritikern, die sich um den Schutz der Muttersprache bemühen?
Seit geraumer Zeit hört man in den Medien, dass die deutsche Sprache zu kurzkommt. Deshalb muss man jetzt einfach einmal diese Stimmen hören und das Thema angemessen behandeln, und zwar mit guter Pädagogik, mit gezielter Schulung in Sachen Sprachvielfalt und ein auf Vertrauen basierender Austausch mit den Familien. In Anbetracht der neuen Schule, erachte ich es für sinnvoll nicht strikt Direktionen und Schulen zu trennen. So könnte etwas Neues entstehen, das europaweit prägend sein kann. Und das geschieht mit Sicherheit nicht auf Kosten einer Kultur- oder Sprachgruppe. Ich bin auch eine Verfechterin des gehobenen Sprachniveaus. Wichtig beim Erlernen eines solchen ist, dass deutschsprachige Kinder in der deutschen, italienischsprachige in der italienischen Sprache erst sattelfest sind, damit sie Erfolgserlebnisse beim Vertiefen ihrer Muttersprache und beim Erlernen ihrer Zweitsprache haben. Sprache muss gelebt und geliebt sein, kein Stolperstein. Das Ziel ist, dass die Kinder mit Ende der dritten Mittelschule mit Deutsch, Italienisch und Englisch gut dreisprachig sind. Dafür sollten nicht nur Kinder, Eltern und Lehrkräfte, sondern auch Bildungsdirektionen und Politik, sowie Universität oder EURAC gut zusammenarbeiten; ein Miteinander gelingt nur auf allen Ebenen.
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Ein sehr gutes Beispiel für…
Ein sehr gutes Beispiel für eine vernünftigen Lösung + gleichzeitig eine dringende Einladung, die Dreifaltigkeit der Schulämter zu verräumen!
"Die Sprache ist das erste + wichtigste Verständigungs-Mittel der Menschen." Leider haben es "die ??? Experten" der deutschen Rechtschreib-Reform mit 2 Anläufen nicht geschafft, die Schreibweise zu vereinfachen.
"Die Folge ist - eine FEHLER - frei geschriebene Seite ist kaum mehr zu finden!"
Dort wo es is jetzt nur…
Dort wo es is jetzt nur Italienischen Schulen gibt, eine mehrsprachige Schule zu etablieren finde ich eine gute Idee. Da, denke ich, wird niemand etwas dagegen haben.
Das Problem stellt sich nur dann, wenn statt einer bestehenden deutschen Schule - eine mehrsprachige geplant wird.
Zu Beginn sollte es einen italienischen und einen deutschen Sprachzug geben, sodass die Kinder in der Muttersprache gefestigt werden und um ein sprachliches Ungleichgewicht zu verhindern, also dass nach wenigen Wochen alle nur Italienisch sprechen – was im Viertel Don Bosco wahrscheinlicher wäre
Genau das ist der Punkt. Sie sprechen über eine zweisprachige Schule, aber in der Wirklichkeit wird es eine italienischsprachige (mit Italienischem als Verkehrssprache) Schule sein, mit einigen zusätzlichen Möglichkeiten die deutsche Sprache zu erlernen.
Ob das als Standard für ganz Südtirol werden soll, finde ich fragwürdig.
Bevor das Modell an allen deutschen Schulen ausgeweitet werden kann, sollte man diese neue Schule in Don Bosco mindestens 10-20 Jahre funktionieren lassen und dann erst Schlussfolgerungen ziehen.