Sinner im Fokus der Identitätsdebatte

-
Der Artikel „Bolzano tra Sinner e il voto“ des bekannten Journalisten und Autors Corrado Augias, der gestern (16. Mai) in der La Repubblica erschienen ist, hat eine landesweite Debatte ausgelöst – nicht nur über Jannik Sinner, die aktuelle Nummer eins der Tenniswelt, sondern auch über die Frage, was „Italienischsein“ heute bedeutet. Im Zentrum der Diskussion stehen dabei die Südtiroler Identität, die sprachliche und kulturelle Vielfalt des Landes und die nationale Zugehörigkeit. In der Folge meldeten sich italienweit nicht nur weitere Journalisten zu Wort, die Partei für Sinner ergriffen haben, sondern auch Landeshauptmann Arno Kompatscher, dessen Replik auf Augias Artikel in der heutigen Ausgabe der Repubblica erschienen ist.
-
Zur Person
Corrado Augias (*1935 in Rom) ist ein italienischer Journalist, Autor und TV-Moderator. Er arbeitete u.a. als Auslandskorrespondent in Paris und New York für La Repubblica, L’Espresso und Panorama. Heute betreut er die Leserbrief-Rubrik bei La Repubblica.
-
Augias hat in seinem Kommentar nicht mit Kritik am Tennisspieler Jannik Sinner gespart. Im Fokus: dessen „Andersartigkeit“, die so gar nicht italienisch sei, und sein vermeintlicher Unwille, sich mit dem Staat und dessen Symbolen zu identifizieren. Sinner sei ein „Zufalls-Italiener“, ein „Italiano per caso“, ja sogar ein „italiano riluttante“ – ein widerwilliger Italiener, dessen Vater die Landessprache nur holprig spreche (… che parla „un italiano stentato conoscendone solo poche parole“). Für den 90-jährigen Augias jedenfalls scheint Sinners Identität Ausdruck einer Distanz zu Italien zu sein, die durch seine Herkunft, Sprache und kulturelle Prägung sichtbar werde. Die Kritik geht aber noch weiter: Augias warf Sinner Desinteresse gegenüber den staatlichen Institutionen vor – etwa, weil dieser eine Einladung von Präsident Sergio Mattarella in den Quirinalspalast ausgeschlagen hatte, aber am folgenden Tag beim Skifahren fotografiert wurde. Die Einladung des neu gewählten Papstes Leo XIV. habe er hingegen sehr wohl angenommen. Zum Schluss kam Augias auch auf Sinners Wohnsitz in Monte Carlo zu sprechen – aus steuerlichen Gründen bei Spitzensportlern sehr beliebt. „Ho lasciato per ultima la maggiore ragione di perplessità: il giovane prodigio non paga le tasse, ha la residenza a Montecarlo dove gode di una fiscalità irrisoria“, so Augias.
-
Die Antwort aus Südtirol: Kompatscher reagiert
Der Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher ließ diese Vorwürfe nicht unkommentiert. In einem offenen Brief, ebenfalls in La Repubblica veröffentlicht, ging er auf Augias’ Aussagen ein und verteidigte nicht nur Sinner, sondern auch die Südtiroler Autonomie und Identität.
„Die Autonomie“, so Kompatscher, „war eine Erfolgsgeschichte, die der Staat, dessen Bürger wir beide sind – trotz unserer unterschiedlichen Nachnamen –, mit Stolz vertreten sollte.“ Er erinnerte an die komplexe Geschichte Südtirols: von der Annexion 1919 über die Italianisierung während des Faschismus bis hin zur Befriedung nach dem Zweiten Weltkrieg durch weitsichtige Politiker wie Aldo Moro, Bruno Kreisky und Silvius Magnago. Das heutige Autonomiemodell garantiere das Recht aller Bürger, ihre Sprache und Kultur zu bewahren und zu leben. Kompatscher betonte, dass er wie viele andere Südtiroler im Alltag Deutsch spricht und Italienisch erst im Lauf seines Lebens gelernt habe – in der Schule, durch die Schule sowie durch den beruflichen und persönlichen Werdegang. Dennoch leiste er als Landeshauptmann der Autonomen Provinz Bozen einen aktiven Beitrag zum Funktionieren des Staatswesens. Auch die Provinz selbst sei längst vom Empfänger staatlicher Mittel zum Nettozahler geworden – mit ihrem Steuerüberschuss trage sie nun zum Staatshaushalt bei.
„Die Autonomie war eine Erfolgsgeschichte, die der Staat, dessen Bürger wir beide sind – trotz unserer unterschiedlichen Nachnamen –, mit Stolz vertreten sollte.“
-
Die zentrale Botschaft Kompatschers lautet dabei, dass Italien kein einheitlicher Block sei, sondern ein reiches Gefüge an Kulturen, Sprachen und Identitäten. „Die Diversität, in all ihren Formen und Ursprüngen, ist ein Mehrwert“, so der Landeshauptmann. Es sei ein gefährliches Missverständnis, nationale Identität an die Sprache oder die Kultur zu knüpfen. Gerade aus derartigen Vorstellungen eines „monolithischen Volkskörpers“ seien im 20. Jahrhundert jene ideologischen Weltanschauungen entstanden, die in die Katastrophe geführt hätten. Er zeigte sich bestürzt darüber, dass die „italianità“ von deutsch- und ladinischsprachigen Südtirolern immer noch angezweifelt werde und sah in der Debatte um Sinner ein Muster: Wer vom traditionellen Narrativ des „typischen Italieners“ abweiche, werde schnell in Frage gestellt. Dabei sei gerade die Fähigkeit Italiens, unterschiedliche Identitäten zu integrieren, eine seiner größten Stärken.
Herr Corrado Augias hat sich…
Herr Corrado Augias hat sich vor vielen Jahren im italienischen Fernsehen mit Kriminalfälle befaßt und versucht sie zu erklären.Ich habe diese Sendung immer gerne angeschaut auch weil Herr Augias es mit sehr ruhiger und angenehmer Stimme vorgetragen hat.Jetzt mit seinem Artikel im Blatt La Repubblica hat sich Herr Augias wohl alle seine Sympathien auch bei vielen italienischen Sinner- Fans vertan. Es könnte auch sein,daß ihm sein Alter (so sei ihm verziehen) einen bösen Streich gespielt hat.
Mehr oder weniger versteckt…
Mehr oder weniger versteckt tragen viele Italiener halt immer noch gerne la camicia nera. Spätestens jetzt weiß ich, was ich von diesen bedruckten Papieren zu halten habe. Welcher Italiener glaubt ernsthaft, dass Tschurtschenthaler ein italienischer Nachname ist?
Diese Kritik ist Unsinn und…
Diese Kritik ist Unsinn und wird am besten ignoriert.
Man sollte Sinner jedoch scharf dafür kritisieren, dass er während seiner Jugend von allen Vorzügen des italienischen Staates profitiert hat (kostenlose Schulen, Ärzte, Nahverkehr usw.), aber jetzt, wo er erfolgreich ist, seinen Steuersitz nach Monaco verlegt.
Es gäbe auch in Italien viele Möglichkeiten, seine Steuerlast niedrig zu halten, viel niedriger als beispielsweise für Angestellte, aber eben nicht auf null. Doch selbst das scheint ihm zu viel zu sein.
Für mich ist Sinner, seit er seinen Steuersitz nach Monaco verlegt hat, weder Südtiroler noch Italiener. Hoffentlich kommt er, nachdem er seine Gewinne steuerfrei in Monaco erhalten hat, nicht wieder nach Südtirol zurück.
In risposta a Diese Kritik ist Unsinn und… di ergo
Ich muss gestehen, dass ich…
Ich muss gestehen, dass ich in seiner Situation wahrscheinlich genauso handeln würde. Dennoch wäre es als Südtiroler und Italiener richtig, Menschen wie ihn an den Pranger zu stellen, anstatt sie zu vergöttern und mit offenen Armen willkommen zu heißen, denn sie haben uns ausgenutzt und verraten.
La Repubblica... wer auch…
La Repubblica... wer auch nur ein bisschen die Geschichte dieser Zeitung in den letzten Jahren verfolgt hat, hält sich von ihr ganz schön entfernt...
Kompatscher: "Dabei sei…
Kompatscher: "Dabei sei gerade die Fähigkeit Italiens, unterschiedliche Identitäten zu integrieren, eine seiner größten Stärken."
Häää?
...solange man sich für…
...solange man sich für seine Identität rechtfertigen muss, müssen gewisse Menschen noch viel an sich arbeiten!
Es sollte keine…
Es sollte keine Steuerparadiese geben. Schon gar nicht innerhalb Europas.
Diese Länder müssten von der EU mit Sanktionen belegt werden.
In risposta a Es sollte keine… di Johannes Engl
Ahh ja..., die europäische…
Ahh ja..., die europäische Sanktionen... kann mich noch gut an Draghis Versprechen erinnern... ;-)
In risposta a Es sollte keine… di Johannes Engl
Abgesehen von Draghis langer…
Abgesehen von Draghis langer Nase bis ich absolut auch der Meinung, dass es keine Steuerparadiese geben sollte!