Cultura | Kurzfilm

„wie Menschen miteinander kommunizieren“

„una notte“ ist ein Kurzfilm um Sexualität und lässt den jungen Giulio alles hinterfragen, was er zu wissen glaubt. Wir haben vorab mit dem Bozner Regisseur gesprochen.
Una notte, Giulio e Gemma
Foto: Alessio Vasarin/FRABIATOFILM
  • „una notte“, das sind gut 15 Minuten Zeit für wichtige Fragen einer jungen Generation, die immer queerer wird. Regisseur Alessio Vasarin lässt für seinen Film, der Unterstützung von Land und IDM erhalten hat, seine jungen Protagonisten Giulio (Lorenzo Cingolani), Lara (Alessia Perillo) und Gemma (Artemisia Meinero) in den nächtlichen Straßen Bolognas aufeinandertreffen. Die Begegnung wird zur filmisch schicken, nicht immer untereinander, sondern auch innerlich geführten Auseinandersetzung mit der eigenen sexuellen Orientierung. Unserem 25-jährigen Protagonisten ist die innere Zerrissenheit anzusehen, mit der er sich fragt: Bin ich noch - oder war ich je heterosexuell? Der Regisseur setzt dabei auf eine Sprache, die auf Zuschreibungen größtenteils verzichtet und ohne Labels oder Etiketten auskommen will. Zwischen einem inneren (gegenüber einem selbst) und äußeren Coming-Out (gegenüber anderen), zwischen denen oft Jahre liegen, macht sich hier der Abgrund einer Nacht auf.

  • Der Regisseur: Von Vasarin - Jahrgang 1988 - sind bereits der Science-Fiction Spielfilm Strings (2015), sowie die Kurzfilme La tana (2017), Détour (2020) und Agosto (2022) erschienen. Foto: Alessio Vasarin

    Herr Vasarin, wie kam Ihnen die Idee „una notte“ zu drehen?

     

    Alessio Vasarin: Die Idee "una notte" zu drehen, kam mir aus zwei Gründen. Der erste Hauptgrund ist jener, der uns zu den Themen führt, die im Kurzfilm behandelt werden. Ich habe lange über die Frage nachgedacht, wie Menschen miteinander kommunizieren. Wenn man versucht, über sein Privatleben zu sprechen, ist das nicht immer einfach. In dem Moment, in dem man mit anderen Menschen kommunizieren muss, tauchen eine Reihe von Problemen und Fragen auf und man denkt, man wird kritisiert oder anders gesehen. Der wichtigste Punkt für mich war die Frage der Kommunikation. Vielleicht denkt man, man kommuniziert, aber in Wirklichkeit klappt es nicht und das ist immer interessant, wenn es inszeniert wird, weil daraus Konflikte entstehen.

    Der andere, eher visuelle Anhaltspunkt war die Stadt Bologna. 2022, als ich mit dem Schreiben dieses Kurzfilms begann, war ich oft in Bologna, um Freunde zu besuchen und dort, in den Straßen von Bologna unter den Arkaden, begann ich mir diese Figuren vorzustellen und sie zu sehen. Sagen wir also, dass sich diese beiden Dinge gegenseitig befruchtet haben.

     

    War es also auch eine praktische Entscheidung dort zu drehen? Nachtleben und Arkaden gibt es in vielen Städten Italiens. Musste es Bologna sein? 

     

    Sagen wir es mal so: Eine Stadt wie Bozen hätte es sicher nicht sein können, in dem Sinne, dass es genau diese Art von Erzählung und Dynamik dort nicht hätte geben könnte. Ich habe Bologna vorgeschlagen, meine Produzentin hat sofort zugestimmt, so dass wir nie wirklich über Alternativen nachgedacht haben. Diese erste Wahl hat immer gut funktioniert.

  • una notte: Die drei Hauptpersonen des Kurzfilms finden sich in den (fast) menschenleeren Straßen Bolognas in einer ganz besonderen Atmosphäre wieder. Während Giulio und Lara eine Verabredung haben, stößt Gemma (rechts im Bild) eher zufällig dazu. Foto: Alessio Vasarin/FRABIATOFILM

    Aus welchen Gründen glauben Sie wäre der Dreh in Bozen unmöglich gewesen?
     

    Ich habe auch versucht, eine Geschichte zu erzählen, die nachts mitten in der Nacht spielt und es Sinn machen kann, dass jemand trivialerweise um drei Uhr früh mit der Arbeit fertig ist. Ich hätte das sicherlich für Bozen adaptieren können aber ich dachte auch, dass ich gerne einmal aus Bozen herausgekommen bin und einen anderen Schauplatz suchte auch weil die uns zur Verfügung stehenden Mittel dies erlaubten.

     

    In dem Film geht es auch darum, dass Heterosexualität die gesellschaftliche Norm ist.  Sind junge Menschenbei bei dem Thema offener, weniger furchtlos im Umgang mit anderen Orientierungen?

     

    Sicherlich wird mehr darüber gesprochen und einige Dinge werden leichter in Frage gestellt. Für einige Themen bedeutet das auch, dass es vielleicht auf der Gegenseite einen übermäßigen Gebrauch von Etiketten gibt, von Mikro-Kategorien, die bei diesem oder jenem Anwendung finden, in diesem Fall bei der sexuellen Orientierung. Ich glaube, dass das wichtig und notwendig ist, denn jeder muss sich selbst wiedererkennen können, mit seinen Gefühlen und seinem Wesen in Einklang kommen. Das ist sicherlich nicht einfach. Es ist nicht einfach, damit klarzukommen, vor allem wenn man mit anderen zu tun hat, aber ich denke, es ist wichtig, auch diese Geschichten, diese Figuren und diese Arten von Überbeanspruchung von Labels zu erzählen.

     

    Sie schreiben in ihrer Regie-Notiz, dass Sie nie das Bedürfnis hatten, sich mit der eigenen Heterosexualität zu konfrontieren. Haben Sie für die Arbeit am Film Berater:innen gehabt?

     

    Ich habe das Thema hauptsächlich über die Figuren, die ich in Aktion treten lasse, behandelt, also habe ich erst einmal versucht, dass eine Wahrhaftigkeit beim Schreiben der Figuren entsteht. Für mich war es auch ein persönlicher Prozess, an dieser Sache zu arbeiten, so dass ich mich nicht direkt mit bestimmten Besonderheiten auseinandersetzen musste. Natürlich hat mich das Team, mit dem ich gearbeitet habe, dabei immer unterstützt, so dass sie geholfen haben, eine Kohärenz aufrechtzuerhalten, auch während der Schreibphase.

     

    Andererseits gibt es einen oft etwas stereotypen Ansatz. Meiner Meinung nach erkennt man das, wenn versucht wird, eine zusätzliche LGBT-Figur als Token einzufügen (...).

  • Giulio: Gar einiges im Film bleibt unausgesprochen. Lorenzo Cingolanis Mimik vermittelt vieles davon auch wortlos dem Zuschauer und ist integraler Bestandteil des Films. Foto: Alessio Vasarin/FRABIATOFILM

    Es ist ein relativ langsamer Prozess, aber wir leben in einer Zeit, in der immer mehr LGBTQ-Personen eine - nicht immer gute - Form von Repräsentanz in Filmen und Serien finden. Was macht für Sie eine gute Repräsentation einer Gruppe aus?

     

    Wie gesagt, in erster Linie bin ich daran interessiert, Figuren zu sehen, die echt wirken, die vielleicht sogar mit ihren Widersprüchen, in ihren Gedanken und in ihren Konflikten echt sind, was manchmal bedeutet, dass es eine Darstellung gibt, die nicht zu 100 Prozent sauber und transparent ist. Aber ich glaube, dass das dann auch von Seiten des Publikums honoriert wird. Ich habe natürlich viele Fernsehserien gesehen, vor allem italienische von jungen Autorinnen und Autoren, die sich auf verschiedene Weise mit diesen Themen beschäftigt haben. Ich glaube, wenn wir es mit einem Schreiben zu tun haben, das aufrichtig ist und das funktioniert, dann bedeutet das, dass eine gute Arbeit gemacht wurde.

    Andererseits gibt es einen oft etwas stereotypen Ansatz. Meiner Meinung nach erkennt man das, wenn versucht wird, eine zusätzliche LGBT-Figur als Token einzufügen, nur weil der Algorithmus einer Plattform vielleicht sagt, dass man auf diese Weise mehr Aufrufe erhält.

     

    Welche Überlegungen gab es zur Songauswahl im Film?

     

    Im Film gibt es einen Song, der gemeinsam von Daniele Alessi und Bianca Giacomoni geschrieben wurde. Er ist ein Komponist, mit dem ich schon seit vielen Jahren zusammenarbeite und sie ist eine Sängerin aus Bozen, die dazukam als der Prozess bereits im Gange war und ihn auch gesungen hat, so dass sie den Song vervollständigen konnte. Am Anfang wollten wir gar keine Musik und keinen Soundtrack haben. Dann hatten wir versucht, die Rechte an einem bestehenden Song zu erwerben aber da waren die Kosten zu hoch. So haben wir uns entschlossen, es selbst zu machen, was den Song aber nicht weniger gut macht.

     

    Aber Kurzfilme sind natürlich auch dazu da um zu experimentieren. 

     

    Wie sehr orientieren Sie sich beim Dreh eines Kurzfilms am Skript? Gab es Entdeckungen während der Arbeit, hat sich der Film verändert?

     

    Ich bin zu drei Version des Drehbuchs gelangt, ausgehend von der ursprünglichen Idee. Wir hatten den "Luxus", eine Woche lang mit den drei Hauptdarstellern proben zu können und da habe ich natürlich versucht, so flexibel wie möglich zu sein und die Ideen und Vorschläge, die von den dreien kamen und die meiner Meinung nach sehr gut waren, mit aufzunehmen. 

    Wenn ich ehrlich bin, muss ich sagen, dass eine Sache, die ich aus dieser Arbeit gelernt habe ist, dass ich vielleicht mehr auf das Drehbuch hätte achten sollen. Aber Kurzfilme sind natürlich auch dazu da um zu experimentieren. Das in dem Sinn, dass ich ein leichtes Abdriften vom Drehbuch bemerkt habe, was nicht unbedingt etwas Schlechtes ist. Natürlich kann das Publikum nicht wissen, was im Drehbuch gestanden hat. Für mich ist es wichtig, mich mit den Schauspielern zu konfrontieren und auch die Flexibilität zu haben, vieles in Frage zu stellen. Dann gilt es aber auch, auf ein Drehbuch zurückzugreifen, das funktioniert, was bedeutet, immer im Blick zu haben, was das Ziel des Kurzfilms ist. Aber, wie gesagt, man macht auch Kurzfilme, um zu experimentieren und kurz gesagt, aus seinen Fehlern zu lernen. 

     

    Zum Ziel des Kurzfilms gesprochen: Mit welchem Impuls wollen Sie das Publikum zurücklassen, wenn der Abspann beginnt?

     

    Wenn ich diese Geschichte erzähle, geht es mir nicht unbedingt darum, Stellung zu beziehen, zu dem was mit den Figuren passiert und den Entscheidungen, die sie treffen, sondern eher darum, den Protagonisten in dieses Finale zu begleiten, in dem er emotional so festgefahren ist, dass er am Ende des Kurzfilms nicht mehr weiß, was er tun soll. Er hinterfragt die Entscheidungen, die er getroffen hat, was er gesagt und was er nicht gesagt hat. Auch die Konfrontation, der Konflikt mit den anderen Figuren ist wichtig. Was ich damit sagen will, ist, dass es nicht einfach ist, die Entscheidungen von Menschen zu beurteilen, in diesem Fall die Entscheidungen des Protagonisten, also muss man immer, sagen wir, empathisch offen und sensibel sein und nicht unbedingt sofort ein Verhalten oder eine Entscheidung beurteilen. Letztendlich sind es die Bilder und der Film selbst, die hier auf verschiedenen Ebenen und auf verschiedene Weise sprechen.

  • „una notte“ versucht derzeit, 5000 Euro für die Kosten der Postproduktion zu sammeln. Wer den Film unterstützen möchte, hat dafür auf der Plattform produzionidalbasso noch 6 Tage Zeit.