Wir werden euer Herz essen

Der syrische Bürgerkrieg hat dem Begriff der „Propaganda“ eine neue Dimension hinzugefügt: Nicht mehr eine staatlich-produzierte Wochenschau gibt es, sondern tausende von Youtube-Wochenschauen, auf Handykameras gefilmt, die Erfolge und Heldentaten der Eigenen rühmen, Gräueltaten der Gegner beklagen, Rache schwören, und zum Durchhalten, zum Weiterkämpfen aufrufen.
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Lezioni di danza Difé Kako
Foto: difékako.fr

Ein solches Video zeigt einen Kämpfer der Rebellen, der einem getöteten angeblichen Assad-Getreuen das Herz aus der Brust schneidet und hineinbeißt. Drohkannibalismus, gewissermaßen, und der Kämpfer kündigt an: „Wir werden euer Herz und eure Leber essen, ihr Soldaten von Assad, dem Hund!“ Es geht um Einschüchterung, um eine Drohgebärde, es ist eine Erweiterung der Kriegshandlungen um Gräueltaten und Leichenschändung. Ich frage mich, wie kommt der Kämpfer dazu, die Androhung von Kannibalismus als Propagandatechnik zu wählen? Tatsächlich isst er das Herz des gegnerischen Soldaten ja nicht, er tut nur so, er droht damit, um Angst und Schrecken zu erzeugen.

Vielleicht markiert das Video, obwohl sich andere Aufständische sofort davon distanzierten, eine Art Wendepunkt: Mehr als zwei Jahre nach Beginn der syrischen Revolution als Volksaufstand mit bloßen Händen, als friedlicher Protest von Frauen, Männern, Alten und Jugendlichen, hat sich der Konflikt so militarisiert, so brutalisiert, dass Leichenschändung als Propagandatechnik auf Seiten der „Guten“ eingesetzt wird. Natürlich trifft die Hauptschuld an dieser Entwicklung Präsident Assad und seine Machtelite selbst: Sie haben auf den friedlichen Protest mit Waffen geantwortet, sie haben den Preis für einen Umsturz mit roher und brutaler Gewalt in die Höhe getrieben, sie haben versucht, demokratische Forderungen in einem konfessionellen Krieg zu ersticken. Doch müssen wir, nach mehr als zwei Jahren, nicht feststellen, dass sie ihr Ziel erreicht haben?

Assad wird sich ins Fäustchen lachen, dass seine Gegner nun Jihadisten in ihren Reihen zählen, dass der Aufstand zu einem Bürgerkrieg geworden ist, der nun durch Geld und Waffen aus dem Ausland weiter angefacht wird, aber in dessen Wirren ein Eingreifen unmachbar erscheint, und dass die Brutalität der Aufständischen sich der seiner eigenen Truppen immer mehr annähert.

Vor zwei Jahren hätte Assad seine Haut noch retten können, hätte er Zugeständnisse gemacht, und echte Reformen angekündigt. Nun hat er seinen Machterhalt an einen Kampf auf Leben und Tod geknüpft. Vielleicht war dies das größte Verbrechen.

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Martin Geier Lun, 05/20/2013 - 10:23

Interessanter und guter Beitrag/Artikel. Angesichts des Völkergemischs und der verschiedenen Religionen in Syrien war absehbar daß ein Machtwechsel leicht in einen Bürgerkrieg ausarten würde. Fast jeder Bürgerkrieg beginnt mit Straßenprotesten die dann eskalieren und in deren Verlauf der Krieg immer grausamer geführt wird. Ein Konflikt produziert dann schnell Hass und dann natürlich solche Exzesse. Die fand man auch im WKII und im Jugosslawienkrieg.
Assad hat erst gestern eine Friedenskonferenz ausgeschlossen:
http://www.zeit.de/news/2013-05/20/konflikte-assad-friedenskonferenz-ge…
Aus seiner Sicht auch verständlich zumal es für ihn längst um Leben und Tod geht und er bei einer Niederlage so enden wird wie Gaddafi und Saddam. Es wäre Aufgabe einer Diplomatie Auswege zu schaffen und deeskalierend zu wirken; das ist aber nach diesem Berg von Leichen(mittlerweile sollen es fast 100.000 sein) kaum mehr möglich. Da bei den Gegnern der Fanatismus immer mehr überwiegt und gegenüber einem demokratischen Syrien bei gar Vielen die Schaffung eines 'Gottesstaates' das Ziel zu sein scheint; hat Assad viele neue 'Verbündete' bekommen. Es geht also nur mehr vordergründig um Assad; im Hintergrund geht es längst um die zukünftige Ausrichtung Syriens. Der Westen kann(?) und will(?) derzeit nicht eingreifen; Europa beschäftigt sich zur Zeit nur mit der eigenen Krise; die USA haben beschlossen sich aus einigen Ländern zurückzuziehen und konzentrieren sich nur mehr auf die Golfstaaten. Der neue Player sind die Türken und sie wollen endlich das Ok und die Unterstützung aus den USA massiv in Syrien zu intervenieren. Wir Europäer sollten uns entscheiden: Wollen wir dort(mit allen Risiken) miteingreifen und eine moralische und politische Katastrophe verhindern oder bleiben wir weiter Zaungäste?
Übrigens; Zaungast zu sein ist ebenfalls mit Risiken behaftet zumal die Folgen einer 'Fehlentwicklung' dort über kurz oder lang auf uns zurückfallen und die Bereinigung dann weit mehr Mühe bereiten wird. In den letzten Monaten konnte man immer weitere Eskalierungen beobachten und der Konflikt hat längst die Grenzen Syriens überschritten. Bei mir überwiegt langsam die Erkenntnis daß es besser wäre einzugreifen.

Zur Türkei ecc. siehe Kommentare hier:
http://www.salto.bz/de/article/03052013/thomas-benedikter-incriminato-t…

Lun, 05/20/2013 - 10:23 Collegamento permanente
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Lukas Thanei Lun, 05/20/2013 - 17:49

Was wurde Assad denn schon alles unterstellt. Fast alles hat sich als Lüge erwiesen. Dass die Rebellen keine Syrer sondern ausländische Söldner sind, ist inzwischen bis zum letzten durchgedrungen. Dass die Rebellen Kinder dazu missbrauchen, Gefangenen den Kopf abzuschlagen, sogar die Anführer von Gräueltat wie im Bericht geschildert nicht zurückschrecken und mit Sprengsätzen und Scharfschützen gezielt Zivilisten getötet werden ebenfalls. Also was glaubt man diesen Quellen noch? Ich nichts mehr.

Die Gegenseite behauptet, erstens die Rebellen würden aus dem Ausland geschickt um zweitens Anschläge zu verüben und drittens aus den Protesten heraus die Polizei und später Armee anzugreifen, um so Gegenschläge zu provozieren. Erstens und zweitens sind inzwischen einwandfrei bewiesen.

Für mich ist die Lage absolut klar, wer hier lügt und wer nicht. Assad hätte doch gar kein Motiv seine Bevölkerung anzugreifen und die Bevölkerung will ihn scheinbar gar nicht los werden, sondern nur islamische Fundamentalisten aus dem Ausland, denen er nicht muslimisch genug ist.

Lun, 05/20/2013 - 17:49 Collegamento permanente
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salt & pepe Lun, 05/20/2013 - 18:21

In risposta a di Lukas Thanei

lieber lukas,
es wäre interessant zu sehen, auf welche quellen du deine analys stützt; ich bin so ziemlich bei allem anderer meinung.
die rebellen sind mit sicherheit in der mehrzahl keine ausländischen söldner, erst in letzter zeit kommen immer mehr kämpfer aus dem ausland hinzu, übrigens auch auf der gegenseite, wo hizbollah kämpfer assad immer offener zu unterstützen scheinen.
was du als "einwandfrei bewiesen" hinstellst, scheint mir nicht der fall zu sein.
grausamkeiten gibt es sicher auf beiden seiten, aber mein punkt war, dass es eben assad selbst war, der den konflikt in einen militärischen verwandelt hat. assad (bzw. sein vater und onkel) haben in der vergangenheit nicht gezögert, ihre eigene bevölkerung zu massakrieren (siehe hama in den 1980ern), wenn sie es für nötig hielten, also immer wenn ihre macht bedroht war. assad jr. folgt hier demselben schema, mit der tragischen konsequenz, dass jetzt auch "islamische fundamentalisten aus dem ausland" mitmischen können.

Lun, 05/20/2013 - 18:21 Collegamento permanente
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Martin Geier Lun, 05/20/2013 - 18:46

In risposta a di Lukas Thanei

Natürlich ist der Krieg hochkomplex; und natürlich gibt es auch Ausländer die auf Seiten der Rebellen kämpfen wollen. In der arabischen Welt ist es so daß Söldner und ideologisch-religiöse Kämpfer von Konflikt zu Konflikt pilgern; vorgestern in Afghanistan, gestern im Irak und Libyen und heute nun in Syrien. Klar ist aber daß die Mehrheit der Rebellen aus dem Volk Syriens selbst kommt. Da Syrien aber ethnisch und religiös sehr bunt ist ist es mittlerweile auch ein ethnisch religiös motivierter Bürgerkrieg bei dem das benachbarte Ausland mitmischt und diese oder jene Seite unterstützt. Dabei spielen die Alewiten und Kurden eine nicht unwesentliche Rolle; genauso wie es eine Rolle spielt daß die Hezbullah schiitisch ist; genauso wie der Iran und ein Teil Syriens Bevölkerung. Grausamkeiten werden auf beiden Seiten begangen und eine demokratische und friedliche Lösung ist in weite Ferne gerückt. Diese Eiterbeule weitet sich aus und wir werden früher oder später kaum umhinkommen direkt oder noch besser indirekt einzugreifen; meine Meinung. Israel hat bereits eingegriffen; die Hezbullah ebenfalls.

Lun, 05/20/2013 - 18:46 Collegamento permanente
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Lukas Thanei Lun, 05/20/2013 - 21:10

In risposta a di Lukas Thanei

Danke Mateo, für deine fundierte Kritik.

Ich dachte am Anfang des Konflikts, es wird Zeit, dass der Westen in den Konflikt eingreift und diesen brutalen Diktator entfernt und die Bevölkerung befreit. Heute kann ich über diese Naivität noch herzlich lachen; vor allem weil ich schon beim Golfkrieg 2&3 darauf hineingefallen bin ist es mir diesmal schon fast peinlich, wie unkritisch ich am Anfang die Informationen aufgenommen habe.

Aber zurück zum Thema. Ich war absolut davon überzeugt, dass Assad ein Schlächter wie sein Vater sei und er entfernt werden muss. Bis ich eines Tages auf ein Video hingewiesen wurde, in denen Soldaten von den Rebellen unter Koranversen enthauptet wurden. Kurz später gab es dieses Vorkommnis in dem Postbeamten von den Rebellen aus dem Fenster gestürzt und getötet wurden, weil sie Staatsangestellt waren. Ab diesem Moment fing ich an, daran zu zweifeln ob diese Rebellen denn nun wirklich die Guten sind und begann darüber zu recherchieren, woher unsere Infos aus Syrien kommen. Recht schnell wurde klar, dass alle Infos aus der Region über ein Büro in Londen läuft, das von den Rebellen eingerichtet wurde.
Ich fand dann zu einem Herrn Hörstel, inzwischen bin ich der Überzeugung dass er ein exzellenter Kenner der Region ist mit vielen Kontakten auch in die hohe Politik Syriens. Dieser hat über seine Kontakte regelmässig Informationen darüber erhalten, dass Terroristen wie aus dem Nichts irgendwo angreifen, möglichst viele Zivilisten umbringen um danach zu verschwinden und die heraneilende Armee so in alle Teile des Landes zu zerstreuen und in kleine Scharmützel zu verwickeln. Klang für mich zu dieser Zeit noch abenteuerlich, aber ich begann verschiedene Facebookseiten zu beobachten, teils arabische, die ich mit Google Übersetzer entziffern musste, und immer mehr Puzzleteile stimmten hier zusammen - die Berichte stützten die Version, dass hier ein Angriff von aussen stattfindet.
Auch die Episoden um die rote Linie von Obama. Er droht mit Krieg bei Giftgaseinsatz und bereits Tage darauf kommt dieser Bericht über Londen von einem Giftgaseinsatz. Als wäre Assad so bescheuert! Dieser Mann ist Augenarzt und Internetspezialist und tappt in solche Fallen? Ich bitte euch. Versteht mich nicht falsch, ich will Assad nicht sakrosankt machen, aber er ist Diktator - und Diktatoren lieben nunmal die Macht. Auf die eigenen Bevölkerung zu schiessen ist so ziemlich das dümmste, was man dann machen kann. Hussein musste sich deshalb in einem Erdloch verstecken. Assad hingegen fährt mit seinem Porsche in ein Restaurant, geht essen und fährt dann wieder mit seiner Frau nach Hause. Sieht mir das nach einem Schlächter aus, der eigentlich an jeder Ecke damit rechnen müsste, von einem Landsmann erschossen zu werden?

Während über den Sieg der Rebellen berichtet wird, lässt Assad die Türkei mit Artillerie bombardieren. Wieder so eine Nachricht, wo man sich nur die Augen reiben kann. Wie bitte? Der Mann kämpft ums überleben und bombardiert einen früheren Verbündeten, der zudem NATO Mitglied ist und den Bündnisfall ausrufen müsste? Akt um Akt vollzog sich hier eine Show, die nur eines zum Zweck hatte. Die Ausweitung des Konflikts und Einbezug von Nachbarstaaten um Assad zu stürzen. Nichts von alledem kann auch nur im entferntesten wahr sein.

Aber schaut es euch selber an. Sucht einfach auf Facebook nach Gruppen über Syrien und ihr werdet staunen über die Infos, die erstmals nicht von der Rebellenstelle in London kommen. Da sind tausende Syrer die Material liefern und ihr könnt ja selbst entscheiden, ob ihr diesen Infos glaubt, oder den Leute die sich damit brüsten, auch 10jährigen einmal die Chance zu geben, wehrlosen Soldaten den Kopf abhacken zu lassen. (Video-Url gebe ich gerne auf Anfrage weiter, aber kann ja jeder selber auf den einschlägigen Rebellen-Platformen anschauen)

Ein guter Einstieg ist Youtube. Schaut euch vor allem auch die Videos der Rebellen an! Das ist wichtig um ein Bild von dieser Fraktion zu bekommen.

Ach Mateo, welche waren noch mal deine Quellen?

Lun, 05/20/2013 - 21:10 Collegamento permanente
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Lukas Thanei Lun, 05/20/2013 - 21:33

In risposta a di Lukas Thanei

Ich muss noch etwas klarstellen. Ich wollte nicht behaupten, dass die FSA aus dem Ausland kommt, sondern vielmehr, dass sie nicht eine rein syrische Rebellenarmee ist sondern massiv aus dem Ausland mit Waffen, Kämpfern, Ausbildung, Material, Geheimdiensterkenntnissen und Munition unterstützt werden.

Diesen Blog wollte ich euch übrigens nicht vorenthalten:
http://urs1798.wordpress.com/

Besonders interessant:
http://urs1798.wordpress.com/2013/05/10/eine-wahrheit-uber-die-massaker…

Lun, 05/20/2013 - 21:33 Collegamento permanente
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salt & pepe Lun, 05/20/2013 - 22:50

In risposta a di Lukas Thanei

lieber lukas,
du hast sicher recht damit, dass die aufständischen inzischen jede menge greueltaten angerichtet haben.
genauso hat das regime assads seit assad seniors machtübernahme 1970 streckenweit seine eigene bevölkerung terrorisiert, gefoltert und eingekerkert, wann immer diese aufmüpfig wurde.
zugleich hatte das baath-regime manch positive seite, elemente progressiver politik (etwa in bezug auf frauenrechte), sozialistische überbleibsel, schutz mancher minderheiten, etwa der christen, drusen oder alawiten (aber unterdrückung der kurden).
in den reihen der rebellen findest du mittlerweile ziemlich einige ungustiöse islamisten, jihad-touristen aus aller welt, genau so wie säkulare demokraten.
die aufständischen lassen sich von der saudischen regierung unterstützen, das regime von der iranischen...
worauf ich hinaus will: ich glaube, wir müssen uns nicht zwischen pest und cholera entscheiden. aber dass die cholera der pest so sehr gleicht, ist eine tragödie, und hauptsächlich trägt assad daran die schuld.

Lun, 05/20/2013 - 22:50 Collegamento permanente
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rosanna oliveri Lun, 05/20/2013 - 21:56

Il ribelle che si vede nel video è stato riconosciuto, si tratta di Abu Sakkar, comandante ribelle e fondatore della Brigata Farouk di Homs.
Terribile e sconvolgente ciò che possiamo diventare, quello che noi, come esseri umani, siamo capaci di fare.

Lun, 05/20/2013 - 21:56 Collegamento permanente