Società | Bozen

Gestörte Nachbarschaft

Am Matteottiplatz am Bozen wird nicht miteinander geredet. Die Folge: regelmäßige Polizeikontrollen bei der Sozialgenossenschaft Akrat.
Akrat
Foto: Akrat

Es ist ein Ort, an dem gern polternde Reden geschwungen werden. Lega-Chef Matteo Salvini war dort schon zugegen, ebenso CasaPound-Führer Simone Di Stefano. Auch Luigi Di Maio und Alessandro Di Battista vom Movimento 5 Stelle sprachen am Bozner Matteottiplatz zu ihren Anhängern. Allen gemein: Ihre gelinde gesagt ablehnende Haltung gegenüber Flüchtlingen.
Nur wenige Meter entfernt vom Schauplatz, wo CasaPound “prima gli italiani” und die Lega “basta con l’immigrazione” schrie, ist die Sozialgenossenschaft Akrat Recycling untergebracht. Dort ist man ratlos. In den vier Jahren seit der Gründung von Akrat klopft regelmäßig die Polizei an. Zuletzt Ende vergangener Woche – für das Team um den Präsidenten von Akrat, Peter Prossliner, der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Man hat sich an die Öffentlichkeit gewandt.

Auftrag: Integration

Die Sozialgenossenschaft Akrat Recycling gibt es seit 2014. Sie finanziert sich durch den Verkauf von Möbeln und Textilien, die aus recycelten Materialien hergestellt werden. Den Auftrag, den Akrat als Sozialgenossenschaft des Typ B hat, ist: Arbeitsplätze für Menschen zu schaffen, die sich auf dem Arbeitsmarkt schwer tun. Haftentlassene, Ex-Alkoholiker, Menschen mit psychischen Problemen werden Akrat von den Sozialdiensten als Arbeitskräfte zugewiesen. Seit Kurzem läuft am Matteottiplatz Nr. 2 ein weiteres Projekt.
“hamet2F” – hinter der kryptischen Bezeichnung verbirgt sich ein Testverfahren, bei dem die Kompetenzen von Asylwerbern festgestellt werden. Monatlich finden Test- und Beobachtungstage in den Räumen von Akrat statt, an denen jeweils zwölf Personen teilnehmen, die sich derzeit in den Flüchtlingseinrichtungen in Südtirol aufhalten. Derzeit sind es Personen aus Afghanistan und Pakistan. Getestet werden unter anderem handwerkliche Fähigkeiten, Teamfähigkeit und Arbeitsverhalten. Das Ergebnis fließt in einen abschließenden Bericht ein, der zukünftigen Arbeitgebern eine Orientierungshilfe bieten soll. Erst am 18. Mai hatte die zuständige Landesrätin Martha Stocker das Pilotprojekt präsentiert.

Wenn es klingelt

Nichtsdestotrotz sei Ende vergangener Woche bereits am frühen Morgen ein Stadtviertel-Polizist vor dem Eingang von Akrat gestanden. Eine Stunde später seien zwei Stadtpolizisten aufgetaucht, die ein Protokoll geschrieben hätten und dann wieder abzogen seien. Wiederum eine Stunde später hätten zwei andere Polizeibeamte die Sozialgenossenschaft betreten “und sich bei Mitarbeitern des Projekts erkundigt, was diese Ansammlung von Migranten soll”. So erzählt man bei Akrat die Geschehnisse nach. Der Grund für die beachtliche Polizeipräsenz ist dort bekannt: “Anrufe aus der Nachbarschaft. Und die Polizei erscheint bei jedem Anruf – in diesem Jahr schon etliche Male. Es seien immer die gleichen Nachbarn und wenn angerufen wird, kommen sie auch, so die Auskunft der Polizisten.”

“Diese Nachbarn kümmern sich äußerst ‘gewissenhaft’ um unsere Lizenzen und ob insgesamt alles in Ordnung ist”, heißt es in dem Text, den Peter Prossliner für Akrat an die Medien versandt hat, weiter. Ein Anwohner hat sich gar an die Süd-Tiroler Freiheit gewandt – wegen Lärmbelästigung durch Maschinen. Im Landtag wurde eine Anfrage eingereicht. Landesrat Richard Theiner veranlasste daraufhin eine Inspektion durch das Amt für Luft und Lärm. Dieses stellte fest, dass Maschinen zur Holzverarbeitung, die Akrat im Herbst 2016 angekauft hatte, dort nicht verwendet werden dürfen. Dafür fehlten die Voraussetzungen. Nebst einer Strafe von 1.000 Euro muss die Sozialgenossenschaft in ihren Räumlichkeiten nun Akustikmaßnahmen zum Lärmschutz treffen. “Bis es soweit ist, ist unsere Produktionskapazität natürlich stark eingeschränkt”, klagt man bei Akrat.

Missliches Schweigen

Dass man sich an gesetzliche Auflagen zu halten hat, dürfte auch den Verantwortlichen bei Akrat einleuchten. Was sie allerdings viel mehr stört ist, dass kein Dialog stattfindet: “Diese unsere Nachbarn, es sind zwei bis drei, sprechen nicht mit uns, sie delegieren alles an die Stadtpolizei, in größter Not offensichtlich auch an die Süd-Tiroler Freiheit. Wir werden genauestens beobachtet und vorbildlich kontrolliert. Es wurde auch schon vermutet, dass wir als Schlafsaal für Flüchtlinge funktionieren – auch das wurde von der Stadtpolizei kontrolliert.” Dabei habe man in den vergangenen Jahren “zahlreichen Stadtpolizisten in Uniform oder Zivil erklärt, was wir tun”. Anderswo im Viertel scheint man indes auf taube Ohren zu stoßen – auch wenn man sich bei Akrat beeilt zu präzisieren, dass es “nicht nur diese Nachbarn” gebe: “Wir genießen auch viel Sympathie und Anerkennung. Diese ist für uns wichtig, gibt uns Auftrieb und um diese werden wir uns auch weiterhin bemühen.”

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Prominente Anheizer wie Salvini, Di Stefano & Co., die pünktlich zu Wahlkampfzeiten auf dem Matteottiplatz aufmarschieren, sind schnell wieder von der Bildfläche verschwunden. Doch das Vermächtnis, das solche und ähnlich gesinnte Ideologen hinterlassen – und das Typen wie Andrea Bonazza, der das Viertel Europa-Neustift als sein Revier betrachtet (“Questa è casa mia, non ho bisogno di chiedere il permesso a nessuno”) befeuern –, hat sich scheinbar hartnäckig um den Matteottiplatz eingenistet. Bei Akrat ist man inzwischen so weit, dass man sich die Frage stellt: “Wer hat Angst vor dem schwarzen Mann?” Dabei wäre ein miteinander Sprechen häufig eine gute Alternative zu gegenseitigem Misstrauen.