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„Ich wollte Jugendpsychologe werden“

Zoltan ist in seinem kurzen Leben viel herumgekommen. Mit 14 war er das erste Mal obdachlos, derzeit ist er in Bozen. Er sagt, er passe in kein Schema, aber er komme klar
Zoltan Reidinger
Foto: Maria Lobis

Ich wurde vor 34 Jahren in Ungarn geboren, nahe der österreichisch-ungarischen Grenze. Meine Eltern haben sich 1991 kurz nach der Wende getrennt, ich war vier Jahre alt. Aufgewachsen bin ich bei meinem Vater, vielmehr bei dessen Mutter, meiner Oma. Meine Kindheit war eigentlich toll, ich war viel in der Natur, mit meinem Vater oft tagelang angeln. Wir haben im Zelt übernachtet, waren von Schafen, Ziegen und Pflanzen umgeben und ich war frei von Mobiltelefonie. Die Trennung meiner Eltern hat mir sehr zu schaffen gemacht. Ich wurde zu ihrem Spielball, nicht auszuhalten. Mit 14 habe ich alle Schriftstücke zu ihrer Trennung gelesen, habe mit ihnen zu reden versucht, danach nie mehr.

Ich träumte immer davon, Tierarzt oder Jugendpsychologe zu werden. Ich liebe Tiere und kann gut mit jungen Menschen. Zur Schule gegangen bin in einem evangelischen Gymnasium, habe ministriert, glaube an Gott, habe aber mit dem System Kirche nichts am Hut. Dann ist meine Oma gestorben. Ich habe das Gymnasium verlassen und mit 14 Jahren zum ersten Mal auf der Straße gelebt. Im Alter zwischen 15 und 17 war ich an keiner Schule. Später habe ich eine Fachschule für Bäckerlehrlinge besucht. Das war eine gute Zeit. Dann habe ich eine Frau kennengelernt, die an der Grenze zur Ukraine lebt, fast 500 Kilometer von meinem Heimatort entfernt. Ich habe die Lehre geschmissen, bin zu ihr gezogen, wollte selbständig sein. Doch das ging nicht gut.

Im August 2020 habe ich unsere Tochter zum letzten Mal im Arm gehalten.

Also bin ich zurück in meine Geburtsstadt, habe von 2004 bis 2006 eine Ausbildung zum Gärtner und landwirtschaftlichen Arbeiter abgeschlossen und mit 21 Jahren begonnen, in der Logistik eines Konzerns zu arbeiten. Der Lohn war sehr niedrig. Ich bin nach Berlin gezogen, habe dort den „Straßenfeger“ verkauft und am Bauwagenplatz gelebt. Um meine Familie zu besuchen, bin ich zurück nach Ungarn, habe dann mit meinem Vater das Sziget-Musikfestival besucht, das auf einer Donauinsel in Budapest stattfindet. Als ich zurück nach Berlin wollte, bin ich in Wien hängengeblieben. Dort hat man mir einen Inzuchthund mit Hüftproblemen geschenkt. Ich habe mich gern um ihn gekümmert. Über den Hund habe ich eine Frau kennengelernt. Mit ihr habe ich mehr als drei Jahre zusammengelebt. Der Hund musste eingeschläfert werden, aber bald bin ich erneut auf den Hund gekommen. Gino habe ich acht Jahre lang überallhin mitgenommen. Von 2008 bis 2011 habe ich in Wien in der Kontaktstelle Obdach aXXept mit jungen obdachlosen Erwachsenen gearbeitet. Sie können dort duschen, kochen und ihre Wäsche waschen. Auch Hunde sind willkommen. Ich konnte nicht in Vollzeit arbeiten, weil mir die Matura fehlte, habe mich parallel selbständig gemacht, landwirtschaftliche Arbeiten übernommen. Das Zahlen der Steuern habe ich nicht ernst genommen.

Ich weiß, dass mein Leben nicht linear verlaufen ist. Ich habe an vielen Orten gelebt, passe in kein Schema, aber ich komme klar.

Von Wien bin ich nach Rom gefahren, habe auf einem verlassenen Campingplatz in einem Wohnwagen gelebt und mich als Taglöhner in der Landwirtschaft finanziell über Wasser gehalten. Ich musste nicht betteln, habe viel gefeiert. Dann bin ich zurück in meine Heimat. Zweieinhalb Jahre habe ich dort gearbeitet, um dann wieder wegzufahren. 2016 habe ich in Innsbruck meinen Vater besucht, der dort inzwischen in einem Heim lebt. Zu Silvester 2017 wurde ich beim Goldenen Dachl in eine Schlägerei verwickelt. Man warf mir vor, das Bier im Supermarket gekauft zu haben und nicht an den Silvesterständen. Die Polizei hat mich geschlagen, ich wurde ins Gefängnis gebracht. Im Gefängnis war ich davor schon öfters: Wer kein Geld hat, muss sich eines besorgen, um zu überleben. Nach der Haftentlassung sollte ich 600 Euro Schmerzensgeld bezahlen und bekam fünf Jahre Aufenthaltssperre in Österreich – auch wegen der nicht bezahlten Steuern. Das Verbot läuft bis 2023. In Innsbruck hatte ich eine Frau kennengelernt. Wir lebten in einer Wohngemeinschaft, hatten beide kein Geld. Als ich das Land verlassen musste, sind wir zwei Jahre nach Darmstadt gegangen. Dort habe ich als Hausmeister gearbeitet und Zeitungen verkauft. Dann wurde meine Partnerin schwanger. Wir sind nach Wien, dort hat man uns nach Innsbruck geschickt. Auf dem Weg dahin hat man mich vom Zug geholt und nach Ungarn ausgewiesen. Meine Partnerin hat Ende Juli 2019 unsere Tochter Liana zur Welt gebracht. Ich habe sie trotz Landesverweises zwei Mal in Österreich besucht, wurde beide Male bis zur Staatsgrenze eskortiert. Im August 2020 habe ich unsere Tochter zum letzten Mal im Arm gehalten. Aber ich sehe sie fast jeden Tag am Handy. Sie kann schon sprechen. Ich bin stolz auf sie, möchte ihr ein Vater sein, für den sie sich nicht schämen braucht. Sie soll sich nicht fragen, warum die Polizei kommt, wenn ich bei ihr bin, deshalb halte ich mich fern. Aber ich will arbeiten und zu ihrem Leben etwas beisteuern. Derzeit mache ich manchmal Handlangerarbeiten, helfe beim Möbeltragen, beim Bäume schneiden, beim Gras mähen. Ich weiß, dass mein Leben nicht linear verlaufen ist. Ich habe an vielen Orten gelebt, passe in kein Schema, aber ich komme klar.

 

Zoltan Reidinger, Text aufgeschrieben von Maria Lobis