Politica | Olympia-legacy

Straßenbau unter olympischem Vorzeichen

Die meisten Bauvorhaben für Olympia Mailand-Cortina 2026 werden erst nach den Spielen fertiggestellt und betreffen die „legacy“, so der dritte Report von Open Olympics.
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Fotocollage CIPRA International
Foto: CIPRA International
  • Laut dem soeben von Libera publizierten „Open Olympics 2026 Terzo Rapporto“ sind 67 der 98 von der SIMICO Spa getragenen Bauvorhaben dauerhaft geschaffene Infrastrukturprojekte (also „legacy“) und nur 31 speziell für die Spiele gebaute Anlagen oder Spoerstätten. Nur 13% der Gesamtausgaben für Bauten gehen in die Sportstätten selbst, so SIMICO, während 87% in allgemeine Infrastrukturen vor allem für die Mobilität fließen. Von diesen Vorhaben betreffen nur ein Drittel den ÖPNV, also die Bahn, während zwei Drittel in den Straßenausbau fließen. 14 der 98 Bauvorhaben werden in Südtirol abgewickelt. 

    Mehr als die Hälfte dieser Infrastruktur-Bauvorhaben (56) werden erst nach den Spielen abgeschlossen. 28 der 98 Vorhaben sind überhaupt erst in der Planungsphase, während nur 42 bis zum Beginn der Spiele im Februar 2026 fertiggestellt werden. Mit dem Abschluss des letzten „Olympia-Bauvorhabens“ wird nicht vor August 2033 gerechnet. Man gewinnt den Eindruck, dass die Olympischen Spiele vor allem als „Infrastrukturbau-Beschleuniger“ genutzt werden sollen. Denn tatsächlich ist bei zwei Dritteln der Bauvorhaben keine Umweltverträglichkeitsprüfung vorgesehen, bei 18% wird die Notwendigkeit einer UVP noch geprüft. Obwohl die konkrete Dringlichkeit nicht übermäßig hoch und der Zeitraum der Umsetzung all dieser Bauvorhaben bis 2033 gestreckt worden ist, sind die Entscheidungsverfahren verkürzt und die Prüfungsanforderungen stark gesenkt worden. Werden diese Bauten allein deshalb an Olympia geknüpft, um sie mit mehr Tempo und weniger UVP durchziehen zu können?

    Eine Reihe der Bauvorhaben, die die Olympischen Winterspiele Mailand-Cortina 2026 hinterlassen werden („legacy“), mögen durchaus ihren Nutzen haben, wie z.B. Verbesserungen an der Bahnlinie Mailand-Tirano, einige Umfahrungen wie jene von Percha und der Bau der Riggertalschleife. Dennoch stellt sich die Frage: warum werden Olympische Spiele genutzt, um Straßen auszubauen? Wenn diese ohnehin gebraucht und öffentlich finanziert werden, warum werden sie im Expresstempo vor Olympia entschieden und damit von allen Umweltprüfungen befreit? Wie viele dieser Bauvorhaben – zum Großteil Straßenausbau – sind wirklich nachhaltig und von der Bevölkerung gewollt? Die Umfahrung von Bormio und die neue Umfahrung von San Vito di Cadore in Richtung Cortina waren dort höchst umstritten. Nicht zufällig fehlen im Portal Open Milano-Cortina 2026 der SIMICO S.p.a. die Daten zu den Umweltauswirkungen und zum CO2-Fußabdruck dieser Bauvorhaben. Schließlich: wenn nur die Infrastrukturbauten als „legacy“ einen allgemeinen Nutzen aufweisen und viele Sportstätten wie schon bei „Turin 2006“ wieder verwaisen, warum verzichtet man nicht auf das defizitäre Sport-Großevent und konzentriert alle verfügbaren Mittel auf Infrastrukturen mit bleibendem Wert?

    Offen bleibt auch die allgemeine Frage nach den Nettonutzen dieser Sport-Großevents. Für diese Projekte sind 3,54 Mrd. Euro an Kosten veranschlagt, während sich die Ausgaben zur Ausrichtung der Spiele der Stiftung Milano Cortina 2026 auf 1,7 Mrd. Euro belaufen. Für Paralympics und Sicherheit kommen noch 0,6 Mrd. dazu, womit in Summe mind. 5,8 Mrd. Euro für diese Winterspiele fließen werden. Nimmt man die Olympischen Winterspiele von Peking 2022 als Maßstab (39 Mrd. USD Gesamtkosten, davon über die Hälfte Infrastrukturen), nehmen sich die Ausgaben für Mailand-Cortina tatsächlich bescheiden aus. Doch sind die Olympischen Winterspiele Mailand-Cortina 2026 angekündigt worden als die „nachhaltigsten Spiele“ seit jeher, basierend auf der Wiedergewinnung bestehender Anlagen. Doch trotz Alternativen sind 122 Mio Euro in die neue Bobbahn in Cortina geflossen; in Predazzo hat man für 45 Mio Euro bestehende Schanzen abgerissen und neu gebaut; in Cortina hat man einen Lift auf die Tofana gebaut, nur um das Publikum zum Damen-Skirennen zu befördern, und in Antholz sind 50 Mio Euro ins vorher schon Olympia-fitte Biathlonstadion investiert worden. Viel Stahl und Beton, der nach dem Februar 2026 vor sich hindösen wird. Anders geschieht es dem 39 Mio. Euro teuren Olympischen Dorf in Cortina, das gleich nach den Spielen wieder abgerissen wird (FF Nr. 7/2025). So ging es auch der Sprungschanze von Pragelato (Turin 2006) und der Bobbahn von Cesana (Turin 2006): beide Anlagen werden 2026 mit Millionenaufwand wieder abgetragen. Was hat man aus der Erfahrung von 2006 in den Piemonteser Skiorten wirklich gelernt? 

    „Eine ehrliche Kosten-Nutzen-Analyse kann für Steuerzahlende nur zu einem negativen Ergebnis kommen,“ schreibt dagegen die CIPRA in ihrer Stellungnahme vom 10.12.2025 zu Olympia, „es gibt keine einzige fundierte Studie, die belegt, dass Olympische Spiele in einer Alpenregion einen positiven, langfristigen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung geleistet haben. Was sie am häufigsten bewirken, sind Verschuldung sowie Druck auf die Lebenshaltungskosten und auf den Wohnungsmarkt.“ So sind z.B. die Sportanlagen von „Turin 2006“ im Susa-Tal und Chisone-Tal im Piemont später verwaist und der nachhaltige Entwicklungsschub für die Bergregion ist ausgeblieben. Was vielleicht 1956 in Cortina und 1964 und 1976 in Innsbruck noch zutraf, ist in den Zeiten des Klimawandels und Übertourismus nicht mehr schlüssig: Wintersport-Großveranstaltungen bringen Defizite für die öffentliche Hand, generieren relativ wenig Einnahmen, befeuern nur den Kurzzeittourismus mit viel klimaschädlicher Mobilität und fördern die Konzentration des Tourismus auf wenige Hotspots.