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„Sie bedeuten enormes Potential“

Nitzan Cohen, Dekan der Fakultät für Design und Künste, über die Werkstätten der Uni Bozen, Nachhaltigkeit in der Produktion und seine Botschaft an die Student*innen.
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Foto: Franziska Unterholzner
„Nichts ist zu 100 Prozent nachhaltig“, sagt Nitzan Cohen. Der Designer aus Israel leitete für zehn Jahre ein eigenes Studio, arbeitete mit namhaften Unternehmen wie BMW, Hugo Boss oder Diesel, aber auch mit Institutionen wie der Pinakothek der Moderne in München „Die neue Sammlung – The Design Museum“. Seit 2015 lehrt und forscht er an der Freien Universität Bozen. Nun sitzt er mir im Café der Uni gegenüber und trinkt seinen Espresso ohne Zucker.
100 Prozent Nachhaltigkeit existiert nicht, etwas anderes zu behaupten wäre Greenwashing.
Ich habe die Fakultät für Design und Künste, deren Dekan er ist, um eine Führung durch ihre Werkstätten gebeten. Anlass war ein Gespräch mit einer Studentin dieser Fakultät. Sie war beeindruckt von der Vielfalt und den Technologien, die den Student*innen zu Verfügung stehen – ob für Holz, Metall, Fotos, Videos oder Druck. Das Werkstättenpersonal betreut die Student*innen beim  Experimentieren und Entwickeln ihrer Ideen. Was nach freier Kreativität klingt, ist aber harte, professionelle Arbeit.
 
 
Dass dabei auch die ein oder anderen Fehlversuche entstehen, ist Teil der Lehre. Cohen bestätigt, dass beispielsweise ein recyceltes Papier nicht immer für jede Maschine der Papier- und Buchbindewerkstatt geeignet ist. Der Professor für Produktdesign legt in seiner Arbeit einen Fokus auf nachhaltiges Material und Design. Er sagt Sätze wie „Recycling ist nur sinnvoll, wenn das Produkt nicht mehr genutzt werden kann“ oder „es ist nicht nachhaltig zu leben“. Ich lache. Er sagt: „Nein, im Ernst!“
„Ich produziere, ich verbrauche. Es tut mir leid. 100 Prozent Nachhaltigkeit existiert nicht, etwas anderes zu behaupten wäre Greenwashing“, so Cohen. Was aber möglich sei, wäre ein genaues Hinsehen und Nachforschen: „Ich sehe es als meinen Lehrauftrag, zukünftigen Designer*innen und Künstler*innen ein Bewusstsein für Nachhaltigkeit mitzugeben. Sie bedeuten ein enormes Potential für Veränderung.“
Der Berufseinstieg falle den meisten Studierenden der Fakultät nach ihrem Abschluss leicht, sie öffnen ihre eigenen Designstudios oder arbeiten in anderen Design- und Planungsbüros, Agenturen, öffentlichen Einrichtungen, in Designabteilungen von Unternehmen oder designaffinen Positionen wie der Produktentwicklung.
 

Zu wenig Wissen vorhanden

 
„Wenn wir eine Person vor die Aufgabe stellen, 100 Produkte nach ihrem geschätzten Kaufpreis aufzureihen, dann würden die meisten kein Problem damit haben – egal in welcher Weltregion die Person lebt. Müsste die Person die Produkte nach ihrem ökologischen Fußabdruck aufreihen, hätte sie aber bestimmt große Schwierigkeiten“, sagt der Designer.
Die Ausgangslage sei also, dass wir alle noch viel zu wenig über Nachhaltigkeit Bescheid wissen. Da die Herausforderung aber komplex ist, brauche es die Hilfe und das Wissen von möglichst Vielen. „Das ist unsere Botschaft an der Fakultät, aber auch als Spezialist*innen im Bereich Kommunikation und Design.“
 
 
Klar sei dabei, dass viele Produkte mit günstigen Preisen unter Bedingungen hergestellt wurden, die nicht mit moralischen Werten vereinbar sind: „Wenn Produkte so günstig produziert werden, können sie nicht mit den Werten korrespondieren, die wir hier vertreten.“
Deshalb plädiert Cohen dafür, wenn, dann nachweislich nachhaltigere Produkte zu kaufen oder auf gebrauchte Dinge zurückzugreifen: „Die Second Hand-Kultur in Italien existiert so gut wie nicht. Zumindest ist der Trend nun endlich nach Bozen gekommen.“ Im Vergleich zu Recycling habe Second Hand den Vorteil, dass gebrauchte Dinge ohne einen aufwändigen und energieintensiven Recyclingprozess neu genutzt werden können.
Außerdem sei das Recycling von Material zu Material unterschiedlich zu bewerten. „Obwohl Papier von den meisten Menschen als nachhaltiger betrachtet wird, ist Kunststoff in gewisser Hinsicht nicht schlechter zu beurteilen als Papier. Beispielsweise bringt das Recycling von Papier eine größere Umweltbelastung mit sich.“
 

Verantwortung der Unternehmen

 
Bei der Herstellung neuer Produkte kommt es neben dem Recycling-Anteil aber auch auf andere Faktoren an, um ein Produkt aus Sicht der Nachhaltigkeit bewerten zu können. Neben den sozialen Kriterien, wie etwa faire Arbeitsbedingungen, zählt auch die Frage, welchen ökologischen Fußabdruck die Produkte haben.
„Ich arbeitete beispielsweise persönlich mit einer italienischen Firma in der Nähe von Udine zusammen, die Vollholzmöbel produziert. Es ist eine alte italienische Dorfstruktur, in der die Holzverarbeitung eingebettet ist. Neben der Holztrocknung steht die Fabrik, wo das Holz vorgebogen, daneben die Fabrik, wo alles zu einem Stuhl zusammengefügt wird. Die Hölzer stammen aus benachbarten Wäldern, Strom kommt von der Solarenergie am Dach und die Holzspäne werden für die Wärmeenergie im Winter genutzt“, erklärt Cohen.
 
 
Solche Beispiele existieren, aber sie sind noch lange nicht die Regel. Dabei hätten laut Cohen große Konzerne wie etwa Ikea die Möglichkeit, durch ihre große Marktpräsenz viel mehr zu bewirken als bisher getan wird. „Sie haben so viel Macht und könnten alles besser, nachhaltiger und transparenter machen.“
Cohen selbst bleibt vorerst in der Wissenschaft und leitet dort das Design F(r)iction Lab. Das Forschungslabor beschäftigt sich mit Nanoelektronik, nachhaltigen Materialien, Open Source und der Do It Yourself-Kultur. „Für uns ist Nachhaltigkeit ein vielfältiger und alltäglicher Diskurs. Unsere Student*innen lernen den Umgang mit verschiedenen Materialien, dabei versuchen wir die Ressourcen so clever und effizient wie möglich zu nutzen“, erklärt Cohen.