Società | Obdachlosigkeit

Die Zahlen der Stadt

In der heutigen Pressekonferenz der Stadt Bozen zu Angebot und Nachfrage bei den Obdachlosenunterkünften wurde die Sprache der Zahlen gesprochen. Eine schwierige Sprache.
PK Obdachlosigkeit in Bozen
Foto: Privat
Eingangs appellierte Bürgermeister Renzo Caramschi einmal mehr - auch vor dem Hintergrund der Reaktivierung der Flüchtlingsunterkunft am Areal der Ex-Mercanti Kaserne in Eppan - für eine gerechtere Verteilung von Menschen ohne Obdach auf andere Gemeinden und ein gemeinsames Finanzierungssystem. Er verglich Bozen mit Meran, nannte 830 obdachlose Personen gegenüber 48. „Das ist kein Drittel. Und so ist es mit Bruneck, Trient und den Bezirksgemeinschaften“, so der Bürgermeister. Caramschi wies darauf hin, dass die Anfrage das Gebäude des Ex-Alimarket bereits im August gestellt wurde und lange nicht beantwortet. Auch wurden die Kälteschlafplätze von anfangs 70 auf 140 Plätze aufgestockt. Man zähle stark auf die Hilfe von Freiwilligen, auch was die Überzeugungsarbeit anbelange, damit das Angebot der Ex-Mercanti Kaserne genutzt werde: „Es ist klar, dass viele bevorzugen in Bozen zu bleiben, nicht weil es schöner wäre als Eppan.“, es ginge auch um die Nähe zu Ämtern.
Juri Andriollo, Stadtrat für Sozialpolitik übernahm das Wort. Er verzeichnete einen Zuwachs von Neuankünften um 203% an Personen, welche über den Brenner oder die Balkanroute nach Südtirol kämen, sprach von 150 Durchreisenden am Tag. Er verwies auf die gestiegenen Energiekosten als zusätzliche Belastung für den ehrenamtlichen Sektor. „Wir haben auch daran gedacht, bei unseren Sitzungen im Sommer zur Vorbereitung.“ Man verteile im Ex-Alimarket täglich 170 Mahlzeiten, sowie ebensoviele sogenannte „Säckchen“ am Abend, die eigens für die Ernährungs-Bedürfnisse obdachloser Menschen ausgewählte Lebensmittel enthalten. Weiters würde die Caritas etwa 280 Abendessen täglich ausgeben. In den Kältequartieren in der Ludwig von Comini-Straße fänden 95 Personen Zuflucht, zusätzlich zu den 140 Plätzen im Ex-Alimarket Gebäude. Weiters nannte Andriollo 28 Plätze im Conte Forni- Haus in der Rittner Straße. Er verwies auf Infrastruktur und Angebot, Duschen, Waschmaschinen, Begleitangebote für Behördengänge und Informationsdienste.
Er verwies auf das persönliche Leid und die Schwierigkeit, welche durch persönliche Umstände auch dazu führe, dass viele sich nicht helfen lassen wollten. Man müsse, auch da es sich vielfach um Personen die vor Ort Arbeit suchen und finden würden, von der Handhabe als Notfall wegkommen und nachhaltige Lösungen finden. Carlo Alberto Librera - Direktor der Abteilung für Dienste an die örtliche Gemeinschaft - ergänzte, dass es weitere Strukturen gäbe, die finanziert von der Gemeinde, mit Landesbeiträgen (von 40%) unterstützt, arbeiten. 
 

Rotes Kreuz und Volontarius

 
Vertreter des Roten Kreuzes (Andrea Tremolada, Verantwortlicher für Sozialprojekte und das Tätigkeitsprogramm) und der Sozialgenossenschaft River Equipe-Volontarius (Davide Monti, Präsident) legten anschließend Zeugnis über ihre Tätigkeit ab. Zuerst erhielt Monti das Wort: 700 Streetworking-Einsätze im Jahr und 100 Stunden Tätigkeit in der Woche sind der Verdienst dreier Arbeiter der River Equipe. Voluntarius beherberge in etwa 400 Personen jährlich, nicht ausschließlich Personen ohne Obdach, sondern etwa auch Forschende der Universität Bozen, die trotz Stipendien keine Unterkunft gefunden hätten. 170 auf der Straße lebenden Personen habe man heuer geholfen.
Auf der gemeinsamen Warteliste von Rotem Kreuz und Volontarius, übernahm Tremolada die Ausführung, befänden sich derzeit etwa 50 Personen. Sie würden nach Prioritäten wie Alter und psychische/physische Gesundheit abgearbeitet. Seit 15. November wurden 371 Personen angerufen. „Viele von ihnen haben auch einen Platz abgelehnt. In einen Notfalldienst einzutreten bedeute auch Regeln respektieren, die - wer auf der Straße lebt - nicht immer akzeptiert.“
 
 
Die gute Nachricht des Tages kam in Folge wieder von Andriollo, der erklärte, dass das Areal der Ex-Mercanti Kaserne in Eppan, welches bereits als Flüchtlingsunterkunft diente, bereits heute Abend öffnen werde. Die ersten Abende sei ein Transportdienst vorgesehen, in Folge hoffe man auf eine Einigung mit dem Land zur Nutzung der Linienbusse. Ausgesprochenes Ziel sei es dabei „die Zahlen des Ex-Alimarket zu verringern“, und weiter: „Wir schließen die Plätze im Ex-Alimarket nicht, da es einen Ort brauche der in Bedarfsfällen neu Angekommene aufnehmen könnte.“ Während das Kasernenareal untertags geschlossen bleibe, wird der Tagesdienst im Ex-Alimarket in Bozen - von 10 bis 17 Uhr - fortgesetzt. Auch gebe es, so Andriollo, Platz für 30 Personen mit Anstellung in einer von der Gemeinde finanzierten Struktur in der Romstraße. „Wir wissen, dass viele ein unzureichendes Einkommen haben, um am privaten Markt eine leistbare Unterkunft zu finden.“
Die Zahl der außerhalb von Zentren auf der Straße lebenden Personen schätzt Volontarius auf etwa 100. Den Frauen komme besonderer Schutz zu, betonte Andriollo: „Neun Frauen befinden sich auf unserer Warteliste, keine dieser Frauen findet man auf der Straße.“ Vielfach würden sich Menschen auch auf Durchreise in die Warteliste eintragen, seien nach einer Woche beim Rückruf bereits in Verona oder Brescia. 90% der auf der Liste eingetragenen Personen befänden sich seit weniger als „vier, fünf Monaten“ in der Stadt, für drei von vier Personen bestünde die Möglichkeit um Asyl anzusuchen.
Einen Überblick zur Aufteilung gab abschließend Carlo Alberto Librera. Stand 16. Dezember würden sich „in Verbindung mit den Phänomenen Obdachlosigkeit und Migration“ 775 registrierte Personen in Bozen befinden. 393 ließen sich auf städtische Strukturen zurückverfolgen. 55 Personen würden im privat finanzierten Bereich - dem Zeilerhof, dem Frauenprojekt Dorea und dem Dormizil - untergebracht, welchen an dieser Stelle ein Dank ausgesprochen wurde. 22 Arbeiter seien derzeit in der Romstraße untergebracht. 305 Plätze stelle die Provinz mit Beiträgen der Regierung. In Summe kommt man auf die 775 Personen, welche greifbar sind.
Salto.bz hatte anschließend noch einige Fragen an Davide Monti.
 
 
Herr Monti, die Zahlen, die wir heute gehört haben zeigen auch, dass es schwierig ist, belastbare Zahlen zu erarbeiten. Woran liegt das?
 
Davide Monti: Es ist ein Phänomen, das unglaublich schnellen Veränderungen unterworfen ist. Bis Juli gab es eine Gangart, aber August hat sich das Szenario geändert. Man muss also schnell sein. Es gilt aber auch zu sagen: Menschen, die auf der Straße leben tragen kein Etikett, es ist im Allgemeinen nicht mehr die Figur des Clochard, den man jeden Tag auf der selben Bank sieht. Diese Personen sind um die 30, suchen Arbeit, unterscheiden sich nicht. Es ist nicht leicht.
 
Konnten Sie eine Absenkung des Durchschnittsalters beobachten?
 
Ja, es ist gesunken. Wenngleich das Durchschnittsalter bei den Frauen - von denen es auf der Straße weniger gibt, wo wir von anderen Dynamiken sprechen - um die 40 bleibt, ist das Durchschnittsalter der Männer gesunken: Wir bewegen uns um die 30.
 
Welche Gründe sehen Sie dafür? Ist das ein Migrations-Phänomen?
 
Es ist ein Migrations-Phänomen. Es handelt sich um Arbeitskräfte mit Ambitionen und Träumen. Es sind keine Personen, die aus dem Wirtschaftssystem ausgestoßen wurden, sondern solche, welche in es einsteigen wollen. Wenn sie hier her kommen, finden sie Arbeit. Hier findet man, relativ einfach Arbeit.
Die Kosten fürs Wohnen sind derzeit aber nicht leistbar, für niemanden: Das gilt für uns, einen Krankenhausarzt oder einen Studenten. Umso mehr für Personen, die aus Asien oder Afrika hierher kommen. Das war aber vor einem Jahr nicht stark anders.
 
Es bleibt die Frage, ob diese Entwicklungen nicht vorhersehbar waren, dass im Winter großer Bedarf bestehen würde…
 
Gewissermaßen wurde das vorhergesehen und die Stadt hat darauf reagiert. Sicher, diese Reaktion kann fortlaufend erfolgen. Das traurige Schicksal des jungen Mannes hat alles beschleunigt, zum Glück: Jetzt, da wir uns Weihnachten annähern gibt es viele Plätze. Normalerweise versuchte man im Jänner das Angebot anzupassen, in diesem Jahr einen Monat früher.
 
Sehen Sie diese Beschleunigung in Zusammenhang damit, dass eine Person durch ein Bild und ihre Geschichte greifbar wurde? Erhöht das die Solidarität?
 
Ja, es gibt ein gewisses Klima des Misstrauens, das durch Wissen und Sensibilisierung durchbrochen werden kann: Da muss man nur darauf zurückblicken, was mit den Ukrainer:innen passiert ist. Südtirol hat eine Aufnahmebereitschaft gezeigt, die wirklich außergewöhnlich und rasch war.