Società | Gender

Verflixte Verhaltensmuster

Wie hält es das Land Südtirol mit der Bildsprache seiner Kampagnen? Weit weniger gendergerecht als das Nachbarland Tirol, zeigt die Kampagne "No Credit".

Es ist ein Bild, das in jedem Fall als Hingucker bezeichnet werden kann. Knappe Hosen, knackiger Po, High-Heels und Lederjacke: Eine scharfe Braut, würde es in Männerrunden an Bartresen zum Plakat heißen, das seit kurzem an Straßen im ganzen Land zu sehen ist. Wäre da nicht – eine Prothese, die statt des linken Unterschenkels in den Stöckelschuhen steckt. Seit über zehn Jahren setzt sich das Land Südtirol im Rahmen der Kampagne „No Credit“ für mehr Sicherheit im Straßenverkehr ein. Teil davon ist eine Plakataktion, deren Sujets auf Bewusstseinsbildung abzielen. „Wir wollen eingefahrene Verhaltensmuster ändern, das braucht Zeit“, erklärte Landesrat Florian Mussner bei der Vorstellung der aktuellen Kampagne vor zwei Wochen. Dabei sei man einen „neuen, mutigen Weg gegangen“, sagte der Mobilitätslandesrat. Denn das Kampagnenmotiv sei keine Fotomontage, sondern zeige eine junge Frau, die als 17-jährige bei einem Motorradunfall ein Bein verloren hat. Eine anrührende Geschichte, die bei der Pressekonferenz vom Unfallopfer selbst erzählt wurde – und entsprechend breit von den Medien übernommen wurde.

Vollkommen unter ging dabei die Frage, was eigentlich aus der Erweiterung der Kampagne auf die beiden Euregio-Partner Tirol und Trentino wurde. Diese war immerhin noch im Jänner von der Landesregierung stolz als Neuigkeit dieses Jahres angekündigt worden – ganz unter dem Motto, Sicherheit darf nicht an Grenzen halt machen. Doch auf der Kampagne selbst findet sich keine Spur vom Logo des Landes Tirol. „Eine Kampagne des Landes Südtirol in Zusammenarbeit mit der Provinz Trient“, ist statt dessen unter dem Bild zu lesen.

Wohin die Tiroler verschwunden sind, lässt sich auch über einen Mailwechsel erahnen, der zwischen dem Presseverantwortlichen des Mobilitätslandesrats und dem Amt für Sprachangelegenheiten stattfand. Dort ist man angehalten, bei der sprachlichen Kontrolle und Übersetzung von öffentlichen Publikationen auf die Wahrung einer geschlechtergerechten Sprache zu achten. In dem betreffenden Mail wird in Bezug auf die No-Credit-Kampagne von Seiten des Amtes darauf hingewiesen, dass auch bei der Bildsprache von Veröffentlichungen des Landes geschlechterstereotype Darstellungen zu vermeiden sind - und zwar laut einer Richtlinie des Landes selbst und Art. 8 des Gleichstellungsgesetzes. 

Bildsprache in Veröffentlichungen – keine stereotypen Darstellungen!

„Werden in Veröffentlichungen, wie zum Beispiel in einer Informationsbroschüre oder auch auf einem Plakat Sachverhalte mit Bildern, durch Fallbeispiele oder durch Situationsbeschreibungen dargestellt, so ist darauf zu achten, dass die handelnden Personen nicht in stereotypen Situationen dargestellt werden, zum Beispiel der Vater als Antragsteller, der Vater als Ernährer der Familie, die Frau als Hausfrau, der Chef und seine Sekretärin, der Arzt und die Krankenschwestern. Gerade diese stereotypen Darstellungen beeinflussen stark unser Denken und entsprechen meist längst nicht mehr der Realität."

Warum also muss das seit Jahrzehnten in der Werbung missbrauchte stereotype Bild der Frau als sexualisiertes Objekt in einer mit öffentlichen Mitteln finanzierten Kampagne des Landes weitertransportiert werden? Eine Frage, die sich in Südtirols Landesregierung trotz Hinweisen aus der eigenen Verwaltung offenbar niemand stellte. Ganz im Gegensatz zur Tiroler Landesregierung.  Dort scheinen die Sensibilitäten in Sachen gendergerechte Darstellung weit ausgeprägter zu sein als hierzulande. Wohl nicht zuletzt, weil das Tiroler Mobilitätsressorts unter der Ägide einer Frau steht – der Grünen Landeshauptmannstellvertreterin Ingrid Felipe. Sie wollte zwar nicht ausführlicher zu dem kleinen diplomatischen Euregio-Zwischenfall Stellung nehmen. Auf Nachfrage bestätigte man in jedoch ihrem Büro, dass der Rückzug von der geplanten Zusammenarbeit  auch mit dem auf dem Plakat transportierten Frauenbild in Zusammenhang stehe. 

„Unser Ressort trägt nur Kampagnen mit, die unserer Vorstellung einer adäquaten Bildsprache entsprechen. Im konkreten Fall entspricht diese nicht jener, die wir bei unseren Kampagnen wählen. Deswegen beteiligt sich das Land Tirol an dieser spezifischen Kampagne nicht, wiewohl natürlich zahlreiche Maßnahmen zur Verkehrssicherheit und Kampagnen zu mehr Vorsicht im Straßenverkehr unterstützt werden.“

Von all dem war natürlich bei der Vorstellung der neuen Kampagne vor zwei Wochen nichts zu vernehmen. Statt dessen lieferte dort das Unfallopfer selbst Erklärungen für ihre Aufmachung. Die habe sie bewusst gewählt, weil sie seit dem Unfall nie mehr kurze Hosen getragen habe und mit Stöckelschuhen nicht einmal gehen könne. „Sie symbolisieren für mich einen Teil der Weiblichkeit, den ich verloren habe“, erklärte sie. Ihr Mut und ihre guten Absichten sollen unbestritten bleiben. Offen bleibt, warum die Landesverwaltung nicht mehr Mut aufbringt, junge Frauen endlich davon zu befreien, Weiblichkeit mit einem sexuell aufreizenden Bild zu verknüpfen. Noch dazu, wenn es dafür sogar entsprechende Gesetzesvorschriften gibt. Doch wie Landesrat Florian Mussner so schön sagt: Es braucht einfach Zeit, eingefahrene Verhaltensmuster zu ändern.