Politica | Gastbeitrag

Lehrer, friss oder ...!

Ich unterrichte seit 33 Jahren und habe den Beruf aus Überzeugung gewählt. Das Gehalt war zu Beginn noch akzeptabel, aber die ökonomische Situation für Menschen meiner Altersklasse ist in diesem Beruf - gelinde gesagt - wirklich sehr ernüchternd.
Lehrer und Schulklasse
Foto:  Taylor Flowe, Unsplash
  • Das Problem „Inflationsausgleich“ wurde endlich annähernd gelöst, wenn auch mit sehr großer Verspätung und einigen Abstrichen. 

    Mit den Verhandlungen zu den echten Gehaltserhöhungen möchte die Landesregierung aber erst dann beginnen, wenn die Protestmaßnahmen ausgesetzt werden, was bei uns Lehrpersonen große Empörung ausgelöst hat. Gehört Erpressung mittlerweile zum politischen Instrumentarium einer demokratischen Regierung? 

    Bei den Protestmaßnahmen geht es nur um die Aussetzung von freiwilligen unterrichtsergänzenden Tätigkeiten, die einzig und allein in der Kompetenz der Schulen liegen. Der reguläre Unterricht findet normal statt und es gibt auch viele Zusatzangebote innerhalb der Schulen, was auch meine eigenen Kinder bestätigen. 

     

    Die Inflation hat uns bereits während der Verhandlungen klar „überholt“. 

     

    Viele Lehrpersonen haben es endgültig satt, fragwürdige Versprechungen entgegenzunehmen, die oft nicht oder nur teilweise erfüllt wurden oder mit sehr großer Verspätung, sodass uns oft die Inflation bereits während der Verhandlungen klar „überholt“. 

    Wir Lehrpersonen nehmen die schöne und immer größere Herausforderung des Lehrberufs gerne an, erwarten aber auch, dass endlich auch unsere Erwartungen ernst genommen werden. Ein Berufsanfänger in Österreich verdient mehr als ich mit mehr als drei Jahrzehnten Erfahrung. 

  • Über den Autor

    Martin Campidell ist Lehrer an der WFO in Bruneck und seit 12 Jahren Vorsitzender der Einheitlichen Gewerkschaftsvertretung (EGV).

  • Landesrätin Magdalena Amhof: „Wir werden die Verhandlungen über eine Lohnerhöhung aufnehmen, sobald die Lehrer ihre Proteste einstellen.“ Foto: Seehauserfoto
  • Die Liste unserer Probleme

    In diesem Zusammenhang ist fraglich, über welche der folgenden Probleme sich die Mitglieder der Landesregierung bewusst sind: 

    • Die Beschlüsse der Lehrerkollegien können nicht von heute auf morgen widerrufen werden, da verschiedene Gremien involviert sind. Die Änderungen lassen sich nicht mit einem „Fingerschnips“ erwirken, auch nicht von einem Finanzlandesrat. In den Gremien einer Schule wird kurz-, mittel- und langfristig geplant, ähnlich in verschiedenen Landesgremien und -ämtern.
       
    • Mit Erpressung steuert die Landesregierung darauf zu, dass die Protestmaßnahmen auch im kommenden Schuljahr fortgesetzt werden könnten. 
       
    • Verwendet die Landesregierung diese Art der Erpressung vielleicht als Vorwand, um damit Geld zu sparen und wiederum Zeit zu gewinnen? 
       
    • Es wäre sehr wichtig, in absehbarer Zeit endlich überzeugende Fakten zu liefern. Dazu ist keine „Absichtserklärung“ notwendig und auch keine haltlosen Versprechungen. Im Anschluss könnten vielleicht nach und nach gewisse freiwillige Zusatztätigkeiten wieder aufgenommen werden, soweit dies organisatorisch möglich ist und dies von den Lehrpersonen für sinnvoll erachtet wird. Die Lehrpersonen haben sehr viel Geduld bewiesen, und das seit sehr langer Zeit. 
       
    • In den Medien wurden theoretische Gehaltserhöhungen vorgerechnet, die zum großen Teil noch in weiter Ferne liegen, wobei oft ein vollkommen falsches Bild vermittelt wurde. Es wurde behauptet, dass wir „damit“ das Niveau der Gehälter in Tirol erreichen würden, wobei aber nur die Einstiegsgehälter verglichen wurden und dies mit fragwürdigen Vergleichen. Offensichtlich wird primär das Ziel verfolgt, allmählich die jungen Lehramtsabsolventen zurückzuholen, wobei die erfahrenen Lehrpersonen außer Acht gelassen werden. Bei einem Vergleich mit Tirol müssen Jahresvergütungen verwendet werden, und dies nicht nur für Berufseinsteiger. 
       
    • Immer mehr Lehrpersonen kündigen – ohne große Medienwirksamkeit – auch nach vielen Unterrichtsjahren, auch wenn sie gerne bleiben würden. 
       
    • Junge Lehramtsabsolventen bleiben im Ausland, auch wenn sie gerne in die Heimat zurückkehren würden. 
       
    • Es erscheint absurd, dass wir als reiches Land Südtirol mehr und mehr auf unsere eigene gebildete Jugend und die gebildeten Fachkräfte verzichten, weil überholte Rahmenbedingungen gelten. Stattdessen greifen wir immer häufiger auf lückenfüllende Quereinsteiger zurück.  
  • KANN sich das reiche Südtirol akademisch ausgebildete Fachleute nicht leisten?


    WILL sich das reiche Südtirol  akademisch ausgebildete Fachleute nicht leisten?

    • Für ein zukunftsfähiges Südtirol darf auch die „geistige Wertschöpfung“ im Sinne einer guten Bildung und Forschung nicht vernachlässigt werden. 
       
    • Von Vorgängerregierungen wurden fast schon betrügerische Gehaltstabellen für die Landeszulage erstellt, die zwar theoretisch sieben Gehaltsstufen vorsehen, bei denen man aber nur bis zur dritten Gehaltsebene vorrücken konnte. Die damaligen höheren Gehaltsstufen waren gut „versorgt“ und diese Lehrpersonen müssten inzwischen alle bereits in Pension sein. Aus nicht nachvollziehbaren Gründen wurde dieser Stopp bei der dritten Gehaltsstufe seitdem nie korrigiert, sodass der Frust bei vielen Lehrpersonen entsprechend groß ist. Die damals höheren Gehaltsstufen waren noch vergleichbar mit jenen in Tirol. 
       
    • Leider haben die Lehrpersonen den Ruf, dass sie viel zu viele Ferien hätten und auch während des Schuljahres nur wenig arbeiten. Wir Lehrpersonen sind oft nicht mehr bereit, einem Außenstehenden unser Berufsbild mit den damit zusammenhängenden Aufgaben im Detail zu erklären. Jeder möge den Beruf einfach selbst ausprobieren, inklusive entsprechender langjähriger Ausbildung. Bei Mitgliedern der Landesregierung dürfte man jedoch annehmen, dass sie die (zunehmenden) Herausforderungen einer Lehrperson einigermaßen verstehen und respektieren. 
       
    • Wieso kann die Inflation nicht jährlich strukturell angepasst werden – wie in Tirol? 
       
    • Durch verschiedene Notlösungen und Kunstgriffe der Landesregierung ist uns viel Geld verloren gegangen: beispielsweise Einmalzahlungen (für Inflation), wodurch dann auch die Berechnungsgrundlage für weitere Gehaltserhöhungen verfälscht wurde, oder auch die fehlende Anrechnung für Abfertigung von einem Teil unseres Gehaltes, und nicht zu vergessen die geringeren Pensionen durch die zu niedrigen Gehälter. Zudem wurde oft nach dem Motto „friss oder stirb“ gearbeitet,was so viel heißt wie: Angebot annehmen oder das vorgesehene Geld fließt in den Landeshaushalt zurück.