Società | Kommunikation

...und alles was dazugehört

Während die Koalitionsverhandlungen stattfinden und die Parteien in Gesprächen ihre Sicht auf das Heute und Morgen ausloten, folgten wir diesem Vorbild.
In einem Vierergespräch ging es uns um Architektur, Raumplanung, Südtirol und allem was dazugehört
Avvertenza: Questo contributo rispecchia l’opinione personale del partner e non necessariamente quella della redazione di SALTO.
Philipp Rier | LiA Collective
Foto: Philipp Rier | LiA Collective
  • Wir Menschen können sprechen und besonders in der heutigen Zeit ist Kommunikation ein Schlagwort in allen Bereichen. So auch in der Architektur, worüber wir uns nun unterhalten möchten, da gerade bei falscher oder fehlender Kommunikation schnell Missverständnisse entstehen können, Ängste geschürt werden und Fehlentscheidungen nach sich ziehen können.

    Mit wem spreche ich heute? Stellt euch bitte für unsere Leser kurz vor.

    Felix: Ich bin Felix Obermair und habe in Graz und Mailand Architektur studiert. Seitdem arbeite ich als Projektleiter beim Bozner Buchverlag Edition Raetia, der seit 1991 existiert. Somit bin ich von der Architektur ins Verlagswesen gerutscht. Beide Bereiche verbindet mein Engagement bei LAMA, dem lösungsorientierten Architekturmagazin. Gemeinsam mit drei weiteren Architekturstudierenden der TU Graz habe ich LAMA 2019 in Graz gegründet. Unser Ziel mit dem Magazin ist es, vereinfacht gesagt, die Gesprächskultur über Architektur in der Praxis, der Lehre und in der Gesellschaft wieder zu verbessern. Nach 10 Ausgaben ist LAMA heuer, 2023 zu einem Ende gekommen. Momentan arbeiten wir aber an einem Handbuch, einer Bündelung und Erweiterung der wichtigsten Erkenntnisse der LAMA-Hefte.

  • Felix Obermair Foto: c_Silbersalz
  • Thomas: Thomas Huck - Ich bin Architekt und arbeite viel an Projekten der Architekturstiftung mit. Unter anderem betreue ich den Blog „Architettura und...“ auf Salto. Initiiert vor 5 Jahren versuchen wir im zwei Wochen-Rhythmus verschiedenste Themen zum Thema Architektur zu kommunizieren. Wir sind die Ergänzung zu „Turris Babel“, welches das Fachmagazin der Architektenkammer und -stiftung ist und versuchen Architektur für Jedermann und -Frau verständlich aufzuarbeiten und einen neuen Zugang zu schaffen. Ich übernehme dabei die kuratorische Leitung. 

    Philipp: Philipp Rier - Ich habe Raum- und Stadtplanung in Wien, Istanbul, Mailand und Shanghai studiert, immer mit anderen Schwerpunkten und kulturellen Hintergründen. Nach Arbeitserfahrungen im In- und Ausland habe ich vor nun fast zwei Jahren zusammen mit meinem Bruder Peter Rier (Landschaftsarchitekt) und Daria Habicher (Sozioökonomin) ein Kollektiv gegründet. Wir möchten eine neue Art der interdisziplinären Zusammenarbeit fördern... Damit hoffen wir auch andere Planer:innen zu motivieren, nach Südtirol zurückzukehren und hier ihr Wissen einzubringen und sich vielleicht uns anzuschließen. Zusätzlich bin ich Mitgründer von „A Place to B(z)“, weil ich das Bedürfnis hatte mich sozial zu engagieren, wobei ich eher zufällig auf das Thema Zwischennutzung des Bahnhofsareals in Bozen gestoßen bin.

    Würdest du uns kurz den Begriff Raumplaner etwas näher erläutern?

    Während sich Architekten und ihre Ausbildung hauptsächlich auf die Gestaltung von Gebäuden und physischen Strukturen konzentrieren, befasst sich die Raum- und Stadtplanung vorrangig mit strategischeren Aspekten unseres Lebensraumes. Dies schließt die Vielfalt seiner Elemente und Akteure ein – von Gebäuden und Freiflächen mit ihren diversen Nutzungen und Funktionen über öffentliche Räume bis hin zu Natur- und Kulturlandschaften sowie Mobilitäts- und sozioökonomischen Aspekten. Raumplaner:innen fokussieren sich weniger auf technische Details, sondern vielmehr auf die Vernetzung und Koordination unterschiedlicher Disziplinen, Akteure und Interessen. Zudem ist es wichtig, dass Raumplaner:innen sich für die Anliegen der Bevölkerung einsetzen und sozial schwachen Gruppen wie Kindern, Senior:innen, Frauen sowie zukünftigen Generationen verstärkt Mitspracherechte in der Entwicklung ihres Lebensraumes gewähren. Dies ist nicht nur aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit essenziell, sondern auch, weil es aus fachlicher und wissenschaftlicher Sicht der beste Weg für eine nachhaltige und gesunde Lebensumwelt ist.

  • "Bei partizipativen Veranstaltungen wird man oft lediglich informiert und nicht integriert"

    Wie wird über Architektur kommuniziert und welche Änderungen oder Verbesserungen würden euch dazu einfallen?

    Thomas: Über Architektur oder Raumplanung zu reden, ist nicht so einfach. Jeder von uns bewegt sich in diesen Räumen. Gleichzeitig kann sich aber nicht jede Bürger:in damit beschäftigen. Trotzdem ist es ein sehr wichtiges Thema, sei es gesellschaftlich, politisch, etc. welches sich immer mehr in den Vordergrund drängt. Ich denke, es ist wichtig, eine gewisse Grundkenntnis zu haben, um mitreden und mitgestalten zu können. Das ist es, was Architektur für die Allgemeinheit auch so spannend macht, da sich jeder einbringen darf und sollte. Es ist ja auch jeder in diesem Lebensraum davon betroffen. Dabei ist es aber auch wichtig, gewisse Zusammenhänge und Abläufe zu kennen und zu verstehen, besonders bei partizipativen Prozessen oder ev. Volksbefragungen.

    Gibt es dabei ein konkretes Projekt, auf das du anspielst?

    Thomas: Ich war damals sehr aktiv bei der Abstimmung zum WaltherPark, wo ich gemerkt habe, wie über Architektur und Stadt geredet wird und wie abstrakt das Thema für manche ist. Es gibt Wünsche und Vorstellungen, die man mit etwas verbindet, aber bis zur Umsetzungsphase in 5-6 Jahren, dann vielleicht doch nicht das gewünschte Ergebnis bringen. Bei manchen Lösungsansätzen hätte man das im Vorfeld absehen können. Aus diesem Grund finde ich es wichtig, die Allgemeinheit über Architektur zu informieren und aufzuklären, da es auch gesellschaftlich einen großen Stellenwert hat.

    Felix: Die Diskussion um den WaltherPark war wirklich omnipräsent. Vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit erfährt das städtebaulich viel größere und wichtigere Vorhaben der Umgestaltung des Bozner Bahnhofareals. Eine Initiative wie„A place to B(z)“, die hier allen Bürger:innen die Potentiale des Areals aufzeigt, ist hier ungemein wichtig. Schließlich geht es um eines der größten städtebaulichen Vorhaben in Bozen der letzten Jahrzehnte. Ein anderes, längerfristiges “Best-Practice”-Projekt, bei dem die Bevölkerung eingebunden wird und sich mit dem städtischen Raum auseinandersetzt, ist das „Bolzanism Museum“, welches in theatralischer, partizipativer und fachlicher Ausführung Rundgänge in Bozner Stadtvierteln wie Don Bosco, Europa und Bozner Boden anbietet. Solche Erlebnisse helfen, die Lust zu wecken, die Umgebung mitzugestalten.

    Thomas: „Bolzanism“ ist dafür ein super Beispiel. Es geht um den Spaß, die Theatralik, aber sie gehen auch auf politische und geschichtliche Themen, sowie Finanzierung und Probleme ein. Dabei geht es nicht spezifisch um die Architektur eines Gebäudes, aber es geht um das Objekt selbst. Wieso wurde es erbaut? Was bewirkt es? Wieso wird es nicht mehr gebraucht? Was ist seine Geschichte? Das gibt es schonst kaum. Es wird allgemein schon Kritik zur Architektur medial geäußert, aber oft ist das nur Mittel zum Zweck, oder es geht nur um ein einziges Thema, wie z.B. die Finanzierung. Ich empfinde es als positive Überraschung, dass es ein solches ganzheitliches Format hier in Bozen gibt.

  • "Raumordnung ist in Südtirol ein Machtwort"

    Philipp: Dabei sollten wir uns fragen „Was bedeutet eigentlich Kommunikation?“ Klären wir dadurch auf, informieren wir nur, beteiligen wir andere? In Dörfern werden Seilbahnen gebaut, über die nicht informiert, geschweige denn beteiligt wird. Es wird einfach gebaut. Auch da überschreitet die Kommunikation in der Architektur die Grenze der rein ästhetischen, subjektiven Werte. Die Architektur muss in ihren Gebäuden und Objekten vielmehr auf allgemeine Werte, Spannungen und Probleme eingehen. Das sind die Herausforderungen unserer Zeit. Ich bewerte ein Gebäude nicht nach seinem Aussehen, sondern nach seiner Funktion. In unseren Zeitungen und Zeitschriften diskutieren wir jedoch meistens sehr einseitig und über sehr “subjektive” Einschätzungen. Wir von „A place to B(z)“ beschäftigen uns aus diesem Grund auch mit der Frage: „Wer definiert diesen Diskurs und welche Interessen liegen dahinter?“. Auch wir als Gesellschaft müssen viel mehr Allianzen schmieden und uns einbringen, damit wir langfristig ein Mitspracherecht haben, wenn es um unseren Lebensraum geht. Denn Architektur, Raum- und Stadtplanung sind mehr als nur physische Strukturen, sie sind Ausdruck unserer Geschichte, gesellschaftlicher Beziehungen, Machtstrukturen, kultureller Identitäten und ökonomischer Interessen, und somit auch Abbildung eines öffentlichen Diskurses. Bolzanism Museum ist ein sehr schöner Ansatz, um dies der Bevölkerung am Beispiel von Bozen zu vermitteln. Selten ist die Kommunikation der Stadt, ihrer Entstehung und ihr Erleben dabei von kommerziellen Aspekten so entkoppelt wie in diesem Fall.

    Thomas: Raumordnung ist in Südtirol ein Machtwort.

    Philipp: Das ist keine Besonderheit Südtirols, sondern fast überall auf der Welt genauso. Wir haben so viel verbaut seit der Nachkriegszeit, dass uns langsam einfach die Ressourcen ausgehen und es vermehrt zu Konflikten kommt, ob mit Nachbarn oder der Natur selbst. Es müssen so viele Interessen unter einen Hut gebracht werden. Auch beim letzten Raumordnungsgesetz in Südtirol, und den ganzen Gesetzesänderungen danach, hat man gesehen, dass die Frage nach den Machtverhältnissen in Südtirol sehr aktuell ist. Wir haben nicht viel bebaubaren Raum. Unser Grund ist extrem viel Wert und im Alpenraum gibt es aus touristischer Sicht fast nichts Vergleichbares. Wer entscheidet am Ende, wie sich Südtirol entwickeln soll? Die Politik? Die Lobbys der Bauern oder Gastbetriebe? Und welche Rolle geben wir dabei der “wissenschaftlichen Grundlage", welche ich jetzt ganz allgemein einfach mal Raumplanung nennen würde.

    Thomas: Das Interessante dabei ist, dass diese Themen und Problematiken durchaus bekannt sind. Aber vielfach kommt einem vor, dass nicht die Frage gestellt wird, wie man es gemeinsam lösen kann, sondern wie man selbst das letzte Fleckchen davon ergattert. Es ist zwar schon viel öffentlich zugänglich, aber dafür müssen oft gewisse Kenntnisse vorherrschen. Ansonsten ist eine Übersicht sehr schwierig.

    Ich höre ein Bedürfnis der Inklusion heraus. Dass sich auch die Bevölkerung mit diesen Gedanken befasst und sich aktiv fragt, in welcher aktuellen Umgebungssituation lebe ich gerade und wie stelle ich mir diese in Zukunft vor. Und auch, dass sich Plattformen bilden, in denen dann in Aktion getreten werden kann. Ist das so? 

    Felix: Partizipation und das Bewusstsein, welche Anlaufstellen es überhaupt gibt und welche Verwaltungsabläufe notwendig sind, um etwas umzusetzen, sind sehr wichtig. Deshalb muss das auch dezentral aufgebaut sein, wie z.B. „A place to B(z)“ oder „Bolzanism“. Ein Beispiel, dass mir gerade in den Sinn kommt, ist das Modell Steiermark in Graz, der 70er, 80er Jahre bei denen, im politischen Interesse, die Bürger in die Planung der neuen Wohnsiedlungen eingebunden wurden. Natürlich hat man dabei die jungen und kreativen Architekten der Technischen Universität Graz miteinbezogen und somit eine fruchtbare Symbiose zwischen Politik, Verwaltung und Akademie geschaffen, von der auch die Mittelschicht profitiert hat. Diesem Projekt trauert man heute noch oft nach, da der bebaute öffentliche Raum immer mehr Investorengetrieben bebaut wird und somit ein wichtiger Teil einer Gesellschaft eigentlich ohne seine Mitbürger agiert

  • "Etwas, was mir in Südtirol fehlt, ist die Vorstellungskraft gegenüber unserer Zukunft. Uns geht es so gut, dass der Großteil glaubt, die Zukunft ist in etwa wie heute"

    Ein wichtiger Bereich der Architektur ist somit die Städteplanung, wenn ich das richtig verstehe. Über welche weiteren Aspekte der Architektur muss mehr informiert werden?

    Thomas: Wohnen an und für sicher hat sicher etwas mit Gewohnheit zu tun. Dabei gibt es sogar sprachlich einen Zusammenhang. In uns haben sich, durch verschiedene Einflüsse, wie Medien, Familie, Herkunft; Bilder in den Kopf gesetzt, wie man sich sein Leben und seine Umgebung vorstellt. Oft dauert die Realisation dieser „Bilder“ in Form eines Bauprozesses allein schon mehrere Jahre. Da passiert es schnell, dass die Bilder sich weiterentwickelt haben und die Hintergrundmotivation sich verändert hat.

    Architekten wird oft nachgesagt, dass Sie sich Paläste bauen wollen, aber unser Berufsbild versucht die Zeitintervalle auszugleichen. Man muss sich die Frage stellen, was muss dieses Gebäude können, sobald es fertiggestellt ist, und wie hat sich die Lebenssituation bis dahin verändert. Wie hat sich die Umgebung verändert? Wie leben wir in der Zukunft? Wo arbeiten wir? Welchen Lebensraum nutzen wir häufig? Und was brauchen wir in Zukunft?

    Philipp: Das Wohnen, die Mobilität, Auswirkungen des Klimawandels, das Wirtschaften, ganz allgemein die Raumplanung eben, muss stärker in den Fokus rücken. Denn keines dieser Themen ist abgesondert, sondern alles hängt zusammen.  Etwas, was mir in Südtirol fehlt, ist die Vorstellungskraft gegenüber unserer Zukunft. Uns geht es so gut, dass der Großteil glaubt, die Zukunft ist in etwa wie heute. Wenn wir über Wohnen in der Zukunft sprechen, dann oft über das Ausbauen von Dachgeschossen. Da verlieren wir uns, meiner Meinung nach oft im Detail. Wohnen der Zukunft muss sich komplett verändern, wenn wir weiterhin qualitativ hochwertig leben wollen. Es wird viel zu wenig über Cohousing, Genossenschaftswohnen oder andere zukunftsweisende Wohnmodelle gesprochen. So wie wir Menschen es eigentlich über Jahrtausende gewohnt waren. Wir müssen dafür auch wieder mehr auf die Vergangenheit blicken. Das Wichtigste jedoch ist, dass unser Diskurs zielführend ist und die Menschen mitgenommen werden. Unsere Veranstaltungen und Diskussionsrunden müssen auch zu irgendetwas führen. Wir können nicht die ganze Zeit von einer Verringerung der Mobilität sprechen aber weiterhin kontinuierlich Straßen ausbauen, wir können nicht von Wassersparen reden aber immer noch Wellnessanlagen und neue Skipisten erlauben. Die Bevölkerung muss auch wieder Vertrauen in die Kommunikation der Politik gewinnen. Außen werden wir immer als die reichste Region Italiens dargestellt und können weltweit mit vielen Bereichen mithalten. Aber die Rolle, die wir in all diesen Bereichen einnehmen könnten oder sogar sollten, davon sind wir weit entfernt.

  • Philipp Rier Foto: Philipp Rier
  • Thomas: Südtirol muss überall vorne mit dabei sein. Wir sind lieber überall gut als in einem Bereich Vorreiter.  Ich möchte jedoch kurz auf ein Thema sprechen, welches mir vorher in den Sinn kam, und zwar die Neue Seilbahn von Meran nach Schenna, welche gebaut werden soll. Ich kenne mich mit dem konkreten Projekt nur mäßig aus, aber was ich so mitbekommen habe, wird der Fokus auf die falschen Merkmale gesetzt und über andere wichtige Dinge dagegen gar nicht gesprochen. Ich sehe einen Mangel der Kommunikation von Bauprojekten, wobei Ängste und Befürchtungen entstehen können, die vielleicht auch relevant sind, aber eigentlich durch eine Fehlkommunikation entstehen. Die Seilbahn sollte eigentlich ein weiterer Faden im Großen Mobilitätsnetz von Südtirol sein. Es wird aber oft von vielen nur als Strecke von A nach B verstanden und das Gegenteil wird von der Pro-Seite auch nicht kommuniziert. Es geht nur darum, wer ist dafür und wer dagegen.

    Felix: Das gleiche Problem gab es 2019 bei der beratenden Volksabstimmung zur Tram Bozen-Überetsch. Die Diskussion wurde vor allem von parteipolitischen Slogans dominiert und dabei auf eine immer emotionalere Ebene gebracht, anstatt stadt- und verkehrsplanerische Aspekte zu beleuchten und abzuwägen. Während die Projekt-Gegnerseite erfolgreich Ängste wie z. B. die Sorgen der Anrainer:innen nach Einschränkungen in der Lebensqualität schürte und zu einem dominierenden Thema machen konnte, war die Befürworter-Seite nicht imstande, die offensichtlichen Vorteile der Tram für die Bevölkerung zu kommunizieren. 

    Thomas: Gerade das Beispiel Bozner Tram ist ideal, um die Zwickmühle der Bevölkerung aufzuzeigen, in welche sie gedrängt wurde. „Ich bin für die Tram, aber gegen diesen Streckenplan. Bin ich also gegen die Tram?“ Mitspracherecht und Mitentscheidungsrecht muss begleitet werden. Vielleicht hätte zuerst die Frage gereicht: „Wollen wir eine Tram im Überetsch?“ und dann kann man sich mit Streckenplänen auseinandersetzen. Dann wird man auch eine Lösung finden, da die Grundsätzliche Frage zur Durchführung schon geklärt wurde. Es geht dann nur noch um das Wie. Ich glaube, um solche großen Entscheidungen mit der Bevölkerung zu treffen, braucht es mehrere Etappen und mehr Entflechtung. 

  • „Wenn wir Verantwortung an andere abgeben, motivieren wir diese verantwortungsvoll zu handeln!“

    Wie stellt Ihr euch also Kommunikation in der Architektur vor? Wie könnte man konkret die Bevölkerung, oft auch mit wenig Hintergrundwissen miteinbeziehen?

    Thomas: Etwas, was ich eigentlich immer mache, wenn ich neue Städte besuche, ist den „Raum der Stadt“ zu besichtigen. Das sind Orte, wo die Stadt in Miniatur nachgebaut gezeigt wird und man sich in Vogelperspektive ein Bild von der Umgebung machen kann. Es gibt Infomaterial zu Entwicklungen, Bauprojekten, oder auch zu bereits bestehenden Vierteln mit ihren Eigenschaften und Besonderheiten. In der Art gibt es sowas weder von Südtirol noch von Bozen. Der neue Blickwinkel schafft nicht nur Interesse, sondern auch ein neues Verständnis für die Umgebung. Allein die offensichtlichen Größenverhältnisse, das Zusammenspiel der Projekte und kein Zoomblick auf ein Einzelprojekt, schaffen ein Interesse der Bevölkerung. Und dann kann man die Leute, sei es informativ als auch interaktiv abholen.

    Philipp: Es ist wichtig, einfach zu beginnen, Fehler zuzulassen, Experimentierräume und Plattformen zu schaffen und die Bürgerbeteiligung ernst zu nehmen. Oftmals entsteht der Eindruck, als würde man in der strategischen Planung lediglich auf subjektive Meinungen aufbauen. Dabei können wir unsere Raum- und Stadtplanung auch auf vielen wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren. Gerade weil Raumplanung ein dauerhafter Prozess ist, ist die Einbeziehung der Bevölkerung essenziell. Zahlreiche Studien belegen, dass die Qualität eines jeden Projektes durch Bürgerbeteiligung grundsätzlich erhöht wird. Diese muss jedoch fachgerecht erfolgen. Um die notwendigen Fachkompetenzen zu fördern und eine kulturelle Transformation anzustoßen, halte ich die Gründung einer Fakultät für Raumentwicklung für dringend notwendig. Das Potential einer solchen Einrichtung und ihre positiven Auswirkungen auf Südtirol sehen wir heute bereits bei den vielen hervorragenden Projekten der Studierenden im Bereich Eco-social Design. Zudem muss unsere Kommunikation inklusiver werden. Jeder Mensch hat ein “Recht auf Stadt”, welches aber auch mit Verantwortung einhergeht. Bei “A Place to B(z)” wollen wir genau das umsetzen: Der Bevölkerung die Möglichkeit geben, sich einzubringen und mitzugestalten. Die Politik und Verwaltung benötigt dringend die Unterstützung der Bevölkerung, um langfristig eine hohe Lebensqualität zu bewahren. Dabei ist es entscheidend, sie in die Entscheidungsprozesse einzubinden. Ohne diese Mitwirkung wird sich unsere multiple Krise weiterhin zuspitzen. Keine Verwaltung oder Politik ist stark genug, um Herausforderungen dieser Größenordnung ohne die Zustimmung und Mitwirkung der Bevölkerung umzusetzen. Wenn wir Verantwortung an andere abgeben, motivieren wir sie, verantwortungsvoll zu handeln.

    Felix: In Südtirol bräuchte es – angefangen von der Hauptstadt Bozen – öffentliche Plattformen und Räume, die einen Diskurs und eine offene Kommunikation zwischen Architekt:innen, Raumplaner:innen, Politiker:innen, Verwaltung und Bevölkerung fördern. Die Entscheidungsträger:innen in Politik und Verwaltung müssen erkennen, dass eine transparente und dezentrale Kommunikation z. B. in der Raumplanung oder bei größeren städtebaulichen Vorhaben mehr denn je nötig ist, um diese im Einklang mit den Bedürfnissen der Bevölkerung zu gestalten. 

    Philipp, du wünschst dir also eine Fakultät an der Uni Bz mit Schwerpunkt auf Raumgestaltung?

    Philipp: Ich fände „Raumentwicklung“ eine gute Bezeichnung. Ich denke, damit kann sich jeder gut identifizieren.

    Thomas: Ich bin auch für diese lokale Fakultät, die dann aber auch in einen größeren Kontext eingebettet sein soll. Es soll kein weiterer Grundpfeiler sein, um wieder in Südtirol seine eigene Suppe zu kochen, sondern als Schnittstelle und Quelle des Wissens, der Forschung und der Ideen fungieren, die sich von allen Seiten speisen lässt. Die Architekten und Raumgestalter, die zurzeit in Südtirol wirken, studierten alle an verschiedenen Universitäten, in verschiedenen Städten oder sogar Ländern. Dabei muss ein gemeinsamer Nenner oft erst erarbeitet werden und dafür fehlt meist die Vernetzung, der gemeinsame Raum und ein gemeinsames Schaffen.

    Thomas, bei dir besteht der Wunsch nach einem „Raum der Stadt", von dem du uns vorher erzählt hast. Ist das richtig?

    Thomas: Ja, je nachdem, wie der dann genutzt wird, gibt es verschiedene Bezeichnungen dafür, aber einen Treffpunkt, der die Architektur, unseren Lebensraum mit den darin Lebenden in Kontakt bringt, und zwar auf einer neuen Ebene. Ein Haus der Architektur und Raumplanung sozusagen.

    Philipp: Showrooms, wie wir es oft bei Projekten sehen, leben von den Sponsoren und Auftraggebern. Steckt gutes Geld dahinter, wird alles darangesetzt, ein überzeugendes Projekt darzustellen. So wie beim Kaufhaus-Projekt in Bozen steht dabei jedoch meist ein kommerzielles Interesse im Vordergrund. Junge, innovative Projekte, mit wenig Kapital können da schlicht nicht mithalten, auch wenn die Idee vielleicht sogar besser wäre. Dabei sollte der Diskurs mehr von der Zivilgesellschaft und der öffentlichen Hand gestaltet werden, um einen fairen Wettbewerb zu gewährleisten.

    Thomas: Man merkt, dass Showrooms usw. die Leute interessieren und zum Mitdenken und Mitentscheiden anregen. Es müssen dafür aber auch die richtigen Informationen bereitgestellt werden. Es muss vielseitig und transparent kommuniziert werden. In Südtirol gibt es sehr wohl eine langfristige Planung. Aber von der weiß man als Bürger schlicht nichts. Dabei spreche ich von Infrastrukturmaßnahmen, Umfahrungen, uvm. Überall wird gebaut, aber es wird selten erklärt, was gebaut wird und wie es zusammenhängt, wenn man sich nicht explizit dafür interessiert.

    Philipp: In Wien gibt es ein Stadtentwicklungskonzept, das alle 15 Jahre publiziert wird. Bei uns gibt es teilweise noch Instrumente aus den 70er Jahren, die in den 90er Jahren angepasst wurden, aber nie wirklich überarbeitet wurden und wenn, dann mit großen Zeitlücken. Es gibt tolle Planungsinstrumente, die dann aber wieder in der Schublade landen und der Masterplan von Bozen überzeugt nicht wirklich.

    Felix: Es scheitert an der Umsetzung.

    Philipp: Während meines Studiums habe ich viel recherchiert, was es für Planungsdokumente von Südtirol gibt, aber ich wurde leider nie fündig. Der Masterplan von Bozen ist mir irgendwann in die Hände gefallen und ich habe ihn neugierig gelesen, aber am Ende war ich auch davon enttäuscht. Ich hatte das Gefühl, dass wir in der strategischen Planung weit zurück liegen. Und nun gibt es das neue Landesraumordnungsgesetz, das von allen Seiten nur kritisiert wird. Der Gesetzesentwurf wurde vor 5 Jahren geschrieben, das Gesetz 2020 verabschiedet und seitdem bereits zig Mal abgeändert. Die Bevölkerung beschäftigt sich sowieso nicht damit und die meisten Techniker tun sich auch schwer mit dem neuen Gesetz. Es handelt sich dabei einfach um ein sehr formelles Planungsinstrument, vielleicht hätte es parallel ein informelles Planungsinstrument geben sollen. Eine Art Leitbild, das Bewusstsein für die Zusammenhänge schafft, ohne gleich eine Vielzahl von Ängsten zu nähren. Auch ist es wichtig, dass sämtliche Planungsdokumente, welche von Gemeinden und Technikern ausgearbeitet wurden, endlich öffentlich gemacht werden. In der Schweiz sind sämtliche Dokumente auf den Websites der Gemeinden abrufbar.

    Felix: Wenn Experten und Laien zusammenkommen, ist die Kommunikationsebene gefordert, eine für alle verständliche Sprache zu wählen.

  • Thomas Huck Foto: Louai Abdul Fattah
  • Felix, welche konkrete Idee oder welchen Wunsch hättest du noch an das Land Südtirol in Verbindung mit Raumentwicklung?

    Felix: Analog zum 2016/17 durchgeführten Autonomiekonvent wäre ein öffentliches Forum mit Beteiligung von Bürger:innen, Planer:innen, Entscheidungsträger:innen aus Gemeinde- und Landesebene notwendig, in dem in einem mehrmonatigen Prozess an einem raumplanerischen Leitbild für die nächsten 50 Jahre gearbeitet werden kann- an einer gemeinsamen Vision für Südtirols Raum und Landschaft.

    Thomas: Es werden ja durchaus Veranstaltungen abgehalten, aber dabei wird der Bürger lediglich informiert und hat noch lange kein Mitsprache- oder Entscheidungsrecht! Aber auch in der Informationsmitteilung gibt es schnell Unklarheiten. Ein Beispiel ist der Unterschied vom Plan zum Schaubild, vielen wird da erst richtig bewusst wird, was da in Zukunft entstehen soll. Stickwort Umfahrung Rasen-Antholz und Olang, wo der öffentliche Diskurs erst nach einem privaten Rendering in Schwung kam.

    Philipp: Ich finde die Idee eines Bürgerforums sehr schön. Lasst uns endlich offen reden, Daten erheben und auswerten und dann gemeinsam entscheiden. Niemand, der sich unsere Tourismuszahlen nüchtern betrachtet, kann verschweigen, dass wir als Region unsere Belastungsgrenze erreicht haben. Dasselbe gilt für die Einseitigkeit unserer Landwirtschaft, die Schwächen im lokalen Naturschutz usw. Keine Seite wird davon profitieren, wenn wir in 20 Jahren von äußeren Umständen zum Umdenken gezwungen werden. Lasst uns jetzt proaktiv daran denken, denn auch wenn die Zukunft ungewiss ist, ist es ganz klar in welche Richtung wir uns bewegen müssen, und das so schnell wie möglich. Von alleine werden sich diese Herausforderungen nicht lösen.

    Thomas: Die Politik schafft ja den rechtlichen Rahmen dafür, Dinge umsetzen zu können. Ist diese aber nicht davon überzeugt, wird auch der rechtliche Rahmen nicht geschaffen. Manchmal heißt es“ Der rechtliche Rahmen lässt das nicht zu.“ Andererseits ist es manchmal dann wieder gar kein Problem, den rechtlichen Rahmen zu ändern.

  • “Lasst uns jetzt proaktiv daran denken, denn auch wenn die Zukunft ungewiss ist, ist es ganz klar in welche Richtung wir uns bewegen müssen, und das so schnell wie möglich. Von alleine werden sich diese Herausforderungen nicht lösen.”

    So, ich würde sagen, wir sind am Ende unseres Interviews angelangt, oder gibt es noch etwas, was euch auf der Seele brennt? Ansonsten möchte ich mit der Frage abschließen: Was motiviert euch, die Architektur und alles, was damit zusammenhängt, in aller Munde bringen zu wollen?

    Felix: Wenn ich an unser Magazin-Projekt LAMA zurückdenke, dann war es ganz viel Neugierde und was andere Disziplinen (Soziologie, Psychologie, Translationswissenschaften, die Raumplanung, usw.) erreicht haben, von denen ich in meiner Ausbildung recht wenig wusste. Auch das Bewusstsein, dass Architektur, v. a. wenn sie von öffentlichem Interesse ist, in der Planung und selbst nach der Umsetzung kommuniziert und diskutiert werden muss – mit Expert:innen aus den oben genannten und anderen Branchen und mit der Bevölkerung – dass sie auch wirklich gut funktioniert. Interesse und Notwendigkeit sozusagen.

    Thomas: Ich finde die Mischung von Interesse und Notwendigkeit gut, würde es aber auch als Wunsch zur Veränderung und sogar als Pflicht ansehen, dass sich in Zukunft die Lage hierzu um einiges verbessert.

    Philipp: Dem kann ich mich auch anschließen. Was mich zudem auch motiviert, ist das riesige Potenzial, das ich in Südtirol sehe, in vielerlei Hinsicht. Wir müssen uns den Herausforderungen stellen und Verantwortung übernehmen. Der Gedanke einer Fakultät für Raumentwicklung an der Uni Bz würde mich beruhigen, da ich mich teilweise wirklich frage, wo sich unsere planerische Disziplin in Südtirol hinbewegt. In der Raumentwicklung werden viele Problematiken und Herausforderungen der Zukunft angegangen werden müssen, weshalb der ganze europäische Raum dato um Fachkräfte buhlt. Und wir könnten im kleinen Maßstab aufzeigen, wie man mit vielen davon umgehen könnte. Und wenn nicht wir, wer dann? Und wenn nicht jetzt, wann dann?

     

    Was für schöne Schlussworte! Ich danke euch allen für das umfangreiche und mega spannende Gespräch!