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Das Schicksal von 500 Millionen Leuten

Die Südtirolerin Isabella Ritter macht gerade ein Praktikum bei der EU. Sie erzählt von ihren Eindrücken aus Brüssel.
Europa
Foto: Pixabay

Isabella Ritter, 27, ist seit Februar Praktikantin in der Abteilung für Migration im Rat der Europäischen Union in Brüssel. Sie ist Juristin und hat ihre Abschlussarbeit über das Dublin-Abkommen zur Verteilung von Geflüchteten geschrieben. Letzten Sommer hat sie in der Flüchtlingsberatung der Caritas gearbeitet.


 

salto.bz: Was ist Ihr Job in Brüssel?

Isabella Ritter: Ich arbeite im Generalsekretariat des Rats der Europäischen Union, das ist das Gremium, in dem sich die MinisterInnen der EU-Länder in verschiedenen Zusammensetzungen treffen, zum Beispiel die Finanz- oder die InnenministerInnen. Wir unterstützen den Rat bei seiner Arbeit, ich in der Abteilung für Migration im Department für Justiz und Inneres (Justice and Home Affairs).

Was machen Sie konkret?

Ich beobachte die Migrationsbewegungen, dazu gehört vor allem auch, Medien zum Thema Migration zu analysieren: Ich lese Zeitungen verschiedener Länder, um zu sehen, was im Themenbereich Migration geschrieben wird und wie die Situation ist: In Lybien, der Türkei, Griechenland, Marokko und Spanien, natürlich auch viel dazu, was in Italien passiert, was die NGOs machen und so weiter. Und ich bin bei den Sitzungen des Rats dabei.

Ja, es gibt die EU-Blase.

Läuft das alles auf Englisch ab?

Ja meistens, manchmal auch Französisch.

Sind die Menschen in Ihrem Team politisch? 

In der Arbeit müssen wir natürlich neutral sein und das unterstützen, was von der EU-Politik für richtig empfunden wird.

Wie ist die Stimmung vor den Wahlen?

Februar und März war sehr viel zu tun, weil die letzten Rechtsakte dieser Legislaturperiode abgeschlossen werden mussten. Jetzt ist wenig los. Man spürt auch, dass die Parlamentarier jetzt in den Mitgliedsstaaten sind, um ihre Wahlkampagnen zu machen. Denn vorher gab es total viele Aktivitäten im Parlament, Konferenzen, Filmabende. Das gibt es jetzt weniger.

Und weil wir wissen, dass Kommission und Parlament bald aus anderen Menschen bestehen werden, herrscht Umbruchstimmung.

Haben die Leute Sorgen vor den Wahlen?

Ja, im Moment gibt es ja vor allem gemäßigte PolitikerInnen im Parlament, und viele befürchten einen Rechtsruck und dass dann PopulistInnen dort sitzen.

Die FunktionärInnen, die ich hier getroffen habe, haben durchwegs ein sehr hohes Niveau. Das Problem sind eher die PolitikerInnen – die kennen sich schlecht aus.

Wie hat sich Ihr Blick auf Brüssel verändert, seit Sie dort sind?

Mich hat überrascht, wie anders EU-Politik funktioniert, im Vergleich zu dem, was ich in den EU-Recht Vorlesungen gelernt habe. Zum Beispiel war das Trilog-Verfahren, durch das die meisten Gesetze verabschiedet werden, in einem meiner Bücher nicht mal erwähnt.

Meine Arbeit gefällt mir sehr gut und ich es ist spannend, einen Einblick zu kriegen, wie Politik funktionert.

 

 

 

Viele werfen den EU-FunktionärInnen vor, dass sie den Realitätssinn verloren haben. Wie ist Ihr Eindruck?

Auf jeden Fall ist meine Felderfahrung durch die Arbeit bei der Caritas in Bozen sehr wertvoll. Dadurch weiß ich, wie gewisse Dinge in der Praxis funktionieren, was in der Realität machbar ist. Die Arbeit im Gesetzgebungsapparat ist natürlich ganz anders als die direkt mit Betroffenen. Aber die FunktionärInnen, die ich hier getroffen habe, haben durchwegs ein sehr hohes Niveau. Sie kennen sich gut aus und sind fleißig, bilden sich weiter und informieren sich, auch in Bereichen, mit denen sie nicht direkt was zu tun haben. Das Problem sind eher die PolitikerInnen – die kennen sich schlecht aus.

Hat Sie das überrascht?

Ich habe das vorher ähnlich gesehen, aber mein Eindruck hat sich noch verstärkt. Mir ist noch klarer geworden, wie wichtig Wahlen sind. EU-Wahlen und auch nationale Wahlen. Das sind die Leute, die dann hier sitzen, entweder als MinisterInnen ihres Landes oder als ParlamentarierInnen.

Und es macht einen gewaltigen Unterschied, welche Parlamentarier für ein bestimmtes Gesetz Berichterstatter sind, also die Abgeordneten, die für einen bestimmten Gesetzesvorschlag zuständig sind. Da zählt die Kompetenz, aber auch persönliche Stärken, zum Beispiel, ob jemand gut verhandeln kann. Ob wer Englisch kann. Ob er oder sie sich auskennt mit dem Thema. Davon hängt das „Endprodukt“ stark ab, also was für Gesetze wir haben: Das Schicksal von 500 Millionen Leuten!

 

 

Leben Sie in der EU-Blase?

Die gibt es, alle PraktikantInnen gehen dann ins gleiche Lokal feiern...  Das ist schon auch schön, man lernt viele Leute kennen, ein bisschen wie in einem Auslandssemester. Aber ich habe in Brüssel auch viele Freunde, die Jobs haben, die nichts mit der EU zu tun haben.

Möchten Sie bleiben?

Ich wäre nicht abgeneigt, aber der Weg ist lang und steinig. (lacht)

Wie kommt man dahin, wo Sie jetzt sind?

Für die Praktikumsstellen gibt es zwei mal im Jahr eine Ausschreibung, man findet online ein Formular, die Prozedur ist fix vorgegeben.

Ich beobachte die Migrationsbewegungen, dazu gehört vor allem auch, Medien zum Thema Migration zu analysieren.

Und nach was für Leuten wird gesucht?

Das Alter der PraktikantInnen variiert von 20 bis 30. Es hängt vom Bereich ab, wieviel Erfahrung gefragt ist. Bei mir war es schon hilfreich, dass ich mehr sagen konnte, als „mir liegt das Thema Migration am Herzen“. Für Studierende gibt es auch unbezahlte Praktika, da bekommt man leichter einen Platz.

Auf jeden Fall sollte man sehr gut Englisch sprechen, und Französischkenntnisse helfen – Deutsch und Italienisch verwende ich eigentlich wenig. Soziale Kompetenz und Teamfähigkeit sind auch extrem wichtig, weil man andauernd in Gruppen arbeitet.

Was mir auch immer wieder wichtig scheint, ist der Fakt, dass der EU-Haushalt nur winzige 300 € pro Kopf und Jahr ausmacht! Aber wir reden alle gerne vom "Bürokratiemonster" Brüssel! Der Staatshaushalt Italiens aber liegt bei 13.000 € pro Kopf und jener von Südtirol auch noch bei 10.000 €!! Aus dieser Perspektive ist die EU eine doch sehr effiziente Institution!

Gio, 04/25/2019 - 09:52 Collegamento permanente