„Es geht um Notwendigkeiten“
salto.bz: Frau Lorenzini, noch vor nicht allzu langer Zeit schien das Thema Straßenbahn in der Landeshauptstadt ein schöner, aber nicht realisierbarer Traum zu sein. Jetzt wird gleich von zwei Tram-Projekten gesprochen. Und: der Landeshauptmann stellt nicht nur eine Verlegung der Bahntrasse Bozen – Meran in die Nähe des Krankenhauses in Aussicht, sondern bringt sogar die immer als viel zu teuer abgehandelte Verlegung der Autobahn in den Berg unter Kohlern wieder ins Spiel? Was passiert da gerade – ein Wunder?
Marialaura Lorenzini: Sagen wir, es passieren Dinge, die mir ausgesprochen gut gefallen. Aber ich würde weniger von Wundern oder Träumen sprechen – es geht einfach um Notwendigkeiten. Wenn wir uns nur die A22 ansehen: wir sind mittlerweile bei 3 Millionen LKW angelangt, die Bozen alljährlich durchqueren und dabei zu einem großen Teil auch noch eine viel weitere Strecke auf sich nehmen, weil bei uns die Maut so billig ist. Allein in Bozen bedeutet das vor allem für 26.000 Menschen in Oberau ständig mit Überschreitungen der Grenzwerte der Luftqualität zu leben und das können wir nicht einfach so hinnehmen.
Bisher ist es aber mit Verweis auf gebundene Hände und Rom so gemacht worden?
Ja, auch Landeshauptmann Kompatscher und A22-Geschäftsführer Pardatscher haben uns geantwortet, dass sie keine Zuständigkeit haben, als ich in einem gemeinsamen Promemoria mit Bürgermeister Caramaschi eine Angleichung der Maut im Alpenraum sowie eine Geschwindigkeitsreduzierung auf 90 km/h im Bereich der Stadt gefordert habe. Wir haben dann im April stattdessen an Minister Delrio geschrieben. Doch ich bin auch dabei Daten über Erkrankungen zu sammeln.
Erkrankungen aufgrund der Verkehrsbelastung?
Wir haben in Südtirol allein 3300 neue Krebserkrankungen pro Jahr, und rund die Hälfte davon in Bozen, weil hier offensichtlich ein besonders hohes Erkrankungsrisiko besteht. Umso wichtiger ist es, wenn nun Lösungen wie eine Verlegung der Autobahn in einen Tunnel angestrebt werden. Dazu hat es übrigens schon 1993 das erste Mal ein Projekt von Konrad Bergmeister gegeben, wie ich zu Beginn meiner Amtszeit ausgegraben habe.
Doch bislang rückten es geschätzte Kosten von 700 Millionen Euro in den Bereich der schönen Träume...
Ja, aber schauen wir uns die Alternativen an. So brutal eine solche Rechnung erscheinen mag, aber auch jede oder jeder Krebskranke kostet zwischen 6000 und 350.000 Euro. Umso zufriedener macht es mich, dass man nun doch beginnt, an das Projekt zu glauben, ob von Seiten des Landeshauptmanns oder auch unseres Bürgermeisters. Denn als ich es anfangs wieder aufs Tapet brachte, hat es geheißen, die Träumerin.... Doch die Ideen kommen, wenn man träumt. Und dann muss man eben versuchen sie umzusetzen.
Und das wird bei der Verlegung der A22 in den Berg sicher kein leichtes Unterfangen. Wie sieht es dagegen mit der Stadt-Tram aus, die mit der aktuellen Bozner Stadtregierung Wiederauferstehung feiert – wer zahlt die geschätzten Kosten von 120 Millionen Euro?
Die Frage der Finanzierung haben wir noch nicht vertieft. In den vergangenen Monaten ging es vorerst darum, die technische, wirtschaftliche und umwelttechnische Machbarkeit zu überprüfen.
Verkehrsplaner Willi Hüsler hat Ihnen ja erst zu Beginn der Woche neue Resultate gebracht. Zu Ihrer Zufriedenheit?
Absolut. Wir müssen uns vor Augen führen, dass diese Straßenbahn, die das Bozner Zentrum mit Casanova verbinden sollte, mehr als 50.000 BoznerInnen erreichen würde. Das heißt, sie alle hätten eine Straßenbahnstation im Umkreis von 300 Metern, könnten sie also zu Fuß gemütlich in maximal 5 Minuten erreichen. In Deutschland gilt ein Straßenbahn-Projekt als finanzierbar, wenn man damit 15.000 Menschen erreicht. Wir haben 50.000, weil Bozen eben sehr kompakt ist. Dazu kommen noch Taktfrequenzen von weniger als 10 Minuten, die dreifache Transport-Kapazität eines Buses – also ich bin davon überzeugt, dass diese Tram zum vollen Erfolg würde.
Doch Hüsler hat unter anderem auch ausgerechnet, dass ihm weitere 257 Parkplätze zum Opfer fallen würden. Ein heikles Thema....
Ja, doch wir haben bereits Analysen gemacht, die ergeben, dass diese Parkplätze so gut wie vollständig im Umkreis von 350 Metern ersetzt werden könnten. Sei es in Garagen wie auf dem Siegesplatz oder dem Gerichtsplatz oder entlang der Trasse, wo neue Parkplätze entstehen können.
Was fehlt also noch zur Verwirklichung des Traums?
Noch ist eine Analyse der gesamten Führungskosten, aber auch Ersparnisse ausständig, die gemeinsam mit der Sasa durchgeführt wird. Dann braucht es noch ein paar Verkehrssimulationen und dann könnten wir bereits auf die Jagd nach der Finanzierung gehen, la caccia al tesoro....(lacht).
Wo jagt man 120 Millionen Euro?
Ein wenig in Brüssel, bei der Provinz, bei der Gemeinde selbst. Doch wie gesagt, noch ist es zu früh für diesen Diskurs. Doch bis Ende des Jahres sollten wir so weit sein.
Und dann wird sich wirklich entscheiden, ob Bozen wieder eine Straßenbahn bekommt?
Ja, denn wie gesagt: Alle bisherigen Ergebnisse sind äußerst positiv. Aber am Ende läuft es sicher auf eine finanzielle Frage hinaus, also wer ist bereit wie viel zu zahlen.
Das innerstädtische Tram-Projekt ist aber nicht das einzige Straßenbahnprojekt, das Sie wieder aus der Schublade gezogen haben. Während eifrig an der Vorzugsspur für den Metrobus gebaut wird, wird erneut über eine Tramverbindung mit Kaltern diskutiert.
Auch dazu gab es bereits eine Machbarkeitsstudie der Gemeinde aus dem Jahr 2010, die von Hermann Knoflacher erstellt und dann ebenfalls von Willi Hüsler vertieft wurde und in den Mobilitätsplan 2020 der Stadt Bozen aufgenommen wurde. Als ich vergangenes Jahr mein Amt antrat, habe ich sehr bald vorgeschlagen, mit diesem Projekt weiterzumachen – und der Bürgermeister hat mich dabei von Beginn an unterstützt.
Doch ist der sprichwörtliche Zug dafür mit der Entscheidung der Provinz für den Metrobus nicht schon abgefahren?
Nein, das Land hat diese Entscheidung zwar vorerst getroffen, doch was in Zukunft geschieht wird man sehen, ich denke, es gibt es durchaus noch Spielraum. Für mich wäre eine Tram-Verbindung nach Kaltern die absolut ideale Lösung, man könnte dafür auch die Vorzugsspur des Metrobusses nutzen. Doch lassen wir die Zeit arbeiten und beginnen einmal mit der innerstädtischen Tram bzw. warten wir ab, ob die Schienenverbindung nach Meran wirklich über das Krankenhaus verlegt wird.
Eine Option, die nun auch konkreter zu werden scheint...
Es sieht ganz danach aus, als würde man im Zuge der Begradigung und Verdoppelung der Linie Bozen-Meran eine Schleife zum Krankenhaus ziehen. Wenn damit die aktuelle Haltestelle von Sigmundskron in Richtung Krankenhaus verschoben würde, wäre das nicht nur eine fantastische Anbindung einer Infrastruktur, die täglich an die 10.000 Menschen anzieht. Es trifft sich auch perfekt mit unseren Ideen. Denn wir haben bereits eine Variante für das Tram-Projekt nach Kaltern ausgearbeitet, bei dem die Straßenbahn dann in einer U-Kurve über das Krankenhaus führen würde. Dort könnte dann ein Knotenpunkt entstehen, wo sich Zug und Straßenbahn treffen.
Schöne Visionen, die aber nichts mit dem Projekt zu tun habe, dass SAD-Chef Ingemar Gatterer im vergangenen Sommer aus dem Hut gezaubert hat?
Wir haben bisher kein Projekt der SAD gesehen. Es gab zwar einmal ein geplantes Treffen zu dem Thema, das jedoch nach dem Streit um die Inhouse-Vergabe für die SASA geplatzt ist.
Das heißt, Sie zählen vorerst nicht auf die SAD, sondern stärker auf das Land und den geplanten Ausbau der Strecke Meran-Bozen?
Genau. Und dieser Ausbau ist vor allem ein Ergebnis des Erfolges der Vinschger Bahn. Denn die hat mit 2 Millionen Passagieren einen solchen Boom gebracht, dass das Land jetzt gezwungen wird, die Bahnlinie bis Bozen auszubauen, indem man sie begradigt und zweigleisig macht. Doch auch der neue Bahntunnel beim Virgl ist eine tolle Chance für Bozen. Denn er wird nicht nur die Verbindung nach Meran schneller machen, weil die Züge dann nicht mehr Nachrang gegenüber den nationalen Zügen haben und warten müssen. Auch die Verbindungen von Süden in Richtung Brenner haben somit mehr Spielraum, womit auch die Verbindung von Auer und Leifers nach Bozen schneller wird.
Oder von der geplanten neuen Bahnstation in St. Jakob...
Ja, auch von dort kann man künftig bequem mit dem Zug nach Bozen fahren. Wir haben nun in unserem Gutachten zum Landesmobilitätsplan, das hoffentlich noch vom Gemeinderat gutgeheißen wird, gleich zwei weitere Stationen gefordert: eine auf der Höhe der Voltastraße und eine am Schießstandplatz in Oberau. Das heißt, dann könnten Pendler direkt mit dem Zug in verschiedene Teile der Stadt gelangen. An solchen Bahnstationen könnten dann beispielsweise als zusätzliche Motivation auch noch Bike Sharing anbieten. Es geht einfach darum, den Menschen attraktive Alternativen zum Auto zu bieten.
Statt zeitweise Fahrverbote in die Stadt zu verhängen, wie Sie Ihr Bürgermeister ab 2019 in Aussicht gestellt hat?
Wir dürfen in Bozen den Wert der Pendler keineswegs unterschätzen. Sie sind prinzipiell eine Ressource für die Stadt, und werden nur dann zur Belastung, wenn wir wie heute komplett mit Autoverkehr überlastet sind. Aber das ist nicht die Schuld der Pendler, hier braucht es ein Mobilitätskonzept, das gemeindeübergreifend entworfen wird und nicht wie bisher üblich nur bis zur Grenze von Städten und Dörfern reicht. Deshalb gefällt mir dieser offene Austausch mit dem Land auch sehr gut, denn wenn wir nicht auch rund um uns schauen, werden wir überhaupt nichts lösen.
Haben Sie dafür ein Beispiel?
Die Seilbahn von Jenesien. Das ist ein Projekt des Landes, doch auch Bozen und Jenesien haben ihre Aufgaben dafür gemacht und es hat gut funktioniert. Und so muss es auch mit dem Verkehr in Bozen laufen. Wir machen unsere Aufgaben, doch auch die Gemeinden rund um Bozen müssen die ihrigen machen und den Individualverkehr für ihre BürgerInnen möglichst unattraktiv machen.
Können die Boznerinnen und Bozner also damit rechnen, dass die Belastung durch den Verkehr zumindest mittelfristig abnimmt?
Sie muss abnehmen, wir können einfach nicht weiterhin so tun, als gäbe es kein Problem. Aber natürlich braucht es dafür eine Vorarbeit. Zuerst müssen wir die Vorzugsspur, schnellere Bahnanbindungen, die Tram, genügend Parkplätze vor der Stadt, Radwege und so weiter anbieten. Und dann können wir sagen: So liebe Leute, jetzt gibt es keinen Grund mehr, das Auto zu nehmen.
Und wenn doch, sperren wir die Stadt zumindest zu bestimmten Uhrzeiten für Autos?
Ja, aber genau deswegen hat Bürgermeister Caramaschi diese Maßnahme nicht für den nächsten Tag angekündigt, sondern für ein Zeit, in der es attraktive Alternativen zum Auto gibt. Deshalb können wir auch den Griesern nicht entgegenkommen, wenn sie auf die Straße gehen, weil sie die Moritzingerstraße schließen wollen. So was geht nicht von heute und morgen, sonst verlagert sich der gesamte Verkehr auf die Drususstraße. Unsere Aufgabe ist es einfach, die BürgerInnen durch viele kleine bis große Maßnahmen zu überzeugen, dass das Auto ein überholtes Konzept aus dem vergangenen Jahrhundert ist. Doch bislang sind unsere Städte, und ganz besonders die kleinen und mittleren, von Autos geprägt. Fast der gesamte öffentliche Raum gehört nicht mehr dem Mensch, der Gemeinschaft, sondern wird von Autos besetzt.
Was kann eine Mobilitätsstadträtin daran in einer auch noch verkürzten Legislatur ändern – oder anders gefragt, was konkret will Marialaura Lorenzini bis 2020 umgesetzt haben?
Ich hoffe, dass wir bis dahin viele kleine und mittelgroße Projekte umgesetzt haben. Mit den großen wird es länger dauern, auch wenn wir morgen den Bau der innerstädtischen Tram entscheiden würden, wäre sie erst in vier Jahren fertig. Doch es geht auch nicht um mein Mandat, wichtig ist es gemeinsam an einer Stadt zu arbeiten, die lebenswerter ist, deren Maß der Mensch, und nicht das Auto ist, in der es weniger Lärm und Luftverschmutzung und mehr Lebensqualität gibt. Ich arbeite noch drei Jahre daran und dann werden es andere fortsetzen.