Cultura | Salto Weekend

Die Literaturvertreterin

Rut Bernardi ist die neue Vorsitzende der Südtiroler Autorinnen- und Autorenvereinigung (SAAV). Ein Gespräch über ZeLT, Minderheiten, Geschichte und natürlich Literatur.
Rut Bernardi2
Foto: Hannes Egger

Salto.bz: Sie haben den Vorsitz der SAAV übernommen. Zum ersten Mal in der 40jährigen Geschichte bekleidet eine ladinischsprachige Autorin dieses Amt. Was wird neu in der SAAV? Was bleibt beim Alten?

Rut Bernardi: In den letzten fünf Jahren wurde in der SAAV unter dem Vorsitz von Maxi Obexer und Stefano Zangrando und der Geschäftsleitung von Maria CM Hilber großartige Aufbauarbeit geleistet. Die gesamte administrative Struktur wurde erneuert, das inhaltliche Profil geschärft und die Öffentlichkeitsarbeit vorangetrieben. Auf diesem guten Weg wird die SAAV weitergehen und sich weiterentwickeln. Dass ich als ladinische Autorin den Vorsitz übernommen habe, ist nicht außergewöhnlich, wenn wir bedenken, dass ladinische und italienische AutorInnen bereits seit 1994 in der SAAV vertreten sind. Da in Südtirol die Sprachentrennungen hoffentlich der Vergangenheit angehören, werde ich die SAAV selbstverständlich vor allem als Autorin und weniger als „Ladinerin“ vertreten. Neuerungen gibt es auch im Vorstand: Vize-Vorsitzende ist Lene Morgenstern und Stefano Zangrando, Greta Pichler, Anna Neuwirth und Martin Troger sind in den Vorstand gewählt worden. Besonders erfreulich ist die Mitwirkung der jüngeren Mitglieder.

Werden mit Ihrem Vorsitz andere europäische Minderheitensprachen auch eine größere Rolle spielen?

Die SAAV unterstützt und fördert seit jeher gute Literatur, egal in welcher Sprache. Mehrsprachigkeit soll auch weiterhin Programm der SAAV sein. Zudem habe ich aber als Ladinerin auch Kontakte zu mehreren SchriftstellerInnen europäischer Minderheitensprachen und -literaturen, die ich im Laufe der letzten Jahrzehnte kennengelernt habe. Diese können der SAAV durchaus zugute kommen, wenn die entsprechende Literatur zu einzelnen Projekten passt.

Literatur soll sich vielleicht nicht unbedingt festschreiben, eher soll sie sich losschreiben, denke ich.

Mit dem Schwerpunkt Übersetzung will die SAAV seit Jahren neue – für Südtirol längst überfällige – Wege gehen. Wie schwierig ist Lobbyarbeit zu dieser Thematik?

Südtirol ist dazu prädestiniert, sein Potential an sprachlichen Kompetenz auszuschöpfen. Viele literarische Werke würden eine literarische Übersetzung verdienen. Literarische Übersetzung ist aber nicht gleich Übersetzung im Allgemeinen. Es genügt nicht einfach, zwei Sprachen zu sprechen, um auch eine qualitativ gute literarische Übersetzung zu gewährleisten. Das beste Beispiel für die Notwendigkeit einer professionellen literarischen Übersetzung sind hochwertige ladinische Werke, die außerhalb Ladiniens völlig unbekannt sind, weil sie nicht übersetzt sind. Wenn wir wollen, dass ladinische AutorInnen in ihrer Sprache schreiben, müssen wir professionelle Übersetzungskompetenz entwickeln, wie es beispielsweise in Graubünden mit der rätoromanischen Literatur bereits praktiziert wird. Ansonsten „wandern“ immer mehr ladinische AutorenInnen in andere Sprachen aus.

Die Diskussion um ein Literaturhaus für Südtirol geht seit geraumer Zeit mit der Projekt-Idee ZeLT (Zentrum für Literatur) einen eigenen Weg. Was können Sie verraten?

ZeLT ist längst kein Geheimnis mehr. ZeLT ist das Europäisches Zentrum für Literatur und Übersetzung, das offiziell auch einen ladinischen, italienischen und englischen Namen hat: Zenter europeich per leteratura y traduzion - Centro europeo di letteratura e traduzione - European Center for Literature and Translation. Seit zwei Jahren arbeitet eine Gruppe von AutorInnen, literarische ÜbersetzerInnen und KulturvermittlerInnen an der Entwicklung und Realisation dieses Zentrums. Die Stadt Brixen hat ZeLT bereits ein Zuhause gegeben: Im Herbst 2021 werden wir in den Neubau der Stadtbibliothek Brixen einziehen. Im Herbst wird es eine große Eröffnungsveranstaltung geben und auch Lesungen und Übersetzungswerkstätten werden bereits stattfinden. ZeLT wird regional verankert sein und gleichzeitig einen internationalen Blick auf Literaturen werfen. Damit wird ZeLT für Südtirol ein neues Format sein, das schon jetzt bei den kulturellen und politischen Akteuren des Landes große Zustimmung findet.

Bewegung, geistige und physische, war für Literatur schon immer wichtiger als Sesshaftigkeit.

n.c. kaser hat vor Jahrzehnten in Brixen mit seiner Rede gewirbelt und eine neue Literatur für Südtirol gefordert. Heinrich Heine hob in der Bischofsstadt einst den beklemmenden „Geruch von häßlichen Heiligenbildern“ hervor. Das ist Vergangenheit. Wie soll sich Literatur in Zukunft am Brixner Standort festschreiben?

Literatur soll sich vielleicht nicht unbedingt festschreiben, eher soll sie sich losschreiben, denke ich. Aber Brixen ist auf jeden Fall der ideale Standort für ZeLT, denn die Stadt liegt im Herzen Südtirols, Brixen war und ist die geheime Hauptstadt der Ladiner, Brixen ist alte Bischofsstadt und neue Universitätsstadt. Brixen ist vielleicht so etwas wie die Kulturhauptstadt Südtirols. Für die ladinische Literatur bedeutet ZeLT die einmalige Gelegenheit, deutliche Präsenz zu entfalten und regional und international wahrgenommen zu werden. Gleichzeitig will ZeLT natürlich allen mittlerweile in Südtirol lebenden AutorInnen unterschiedlichster Sprachen eine Plattform bieten. Denn wie wir wissen, haben wir in Südtirol längst auch AutorInnen, die auf Albanisch, Englisch, Arabisch und in anderen Sprachen schreiben.

Andere literarische Hochburgen wie Bozen, Lana oder Meran wurden nicht ins Auge gefasst? Wie sesshaft ist das SAAV-ZeLT?

Natürlich wurden sie ins Auge gefasst. Aber das einmalige Angebot von Stadt und Bibliothek Brixen, dass ZeLT hier aufzuschlagen, war und ist so verlockend, dass man es nicht ausschlagen kann. Gleichzeitig impliziert das Wortspiel auch Programm: Zelte sind nicht fest gemauert, Zelte sind beweglich, Zelte haben etwas Nomadenhaftes wie die Literatur und alle Künste insgesamt. Bewegung, geistige und physische, war für Literatur schon immer wichtiger als Sesshaftigkeit. ZeLT will in Südtirol ein Mehrwert bieten und niemandem etwas wegnehmen und schon gar nicht in Konkurrenz zu jemandem treten. Ganz im Gegenteil: Mit den bereits bestehenden und etablierten Literatureinrichtungen des Landes wurden bereits zahlreiche positive Gespräche bezüglich der Zusammenarbeit geführt. Anfang dieser Woche hatten wir ein Spitzengespräch mit den drei Südtiroler Kulturlandesräten Philipp Achammer, Daniel Alfreider und Giuliano Vettorato, bei dem wir sehr viel Zuspruch erfahren durften. LR Achammer betonte gar, dass ZeLT einen Meilenstein einer neuen kulturpolitischen Zeit in Südtirol markieren kann. 

2021 wird auch das 40Jahr-Jubiläum der Autor*innen-Vereinigung begangen. Wie konnten Sie die Entwicklung der einst durch und durch männlich geprägten Vereinigung verändern?

Wenn ich mit den jungen Autorinnen spreche, habe ich den Eindruck, dass wir die durch und durch männlich geprägte Vereinigung SAAV hinter uns gelassen haben. Es geht nicht mehr um Mann oder Frau, sondern um gute oder schlechte Literatur. Und das ist gut so. In der ladinischen Literatur hat sich in den letzten Jahrzehnten diese Dichotomie auch nie so deutlich gezeigt, da die herausragenden Autorinnen zum Großteil weiblich waren.

Es gab Jahre, in denen sehr viele Projekte umgesetzt wurden, und andere, in denen weniger unternommen wurde.

Sie haben die Geschichte der einstigen SAV samt zahlreicher Ausgaben der Literatur- Kulturzeitschrift Sturzflüge in Ihrem Dachboden gelagert. Was passiert mit dem Archiv der Autor*innenvereinigung?

Nach den durchaus positiven und vielversprechenden Gesprächen mit den drei Kulturlandesräten Südtirols und weiteren Kulturverantwortlichen des Landes bin ich sehr zuversichtlich, dass auch die SAAV durch das ZeLT in Brixen eine permanente Bleibe erhalten und somit auch ein kleines Literaturarchiv einrichten kann. In diesem Fall wäre ich sehr glücklich, den Archivbestand aus meinem Dachboden von Klausen nach Brixen zu verlegen.

Am gestrigen Freitag hat der Verein Distel und die SAAV die Jubiläumsnummer zu 40 Jahren SAV/SAAV vorgestellt – im Rahmen eines "Kulturelemente"-Heftes. Kommt da nicht auch ein wenig "Sturzflüge"-Wehmut auf?

Nein, denn ich habe in all den Jahren gesehen, dass alle Zeitungsprojekte eine natürliche Lebensdauer haben. So wie die ladinische Literatur- und Kulturzeitschrift TRAS, die nach zehn Jahren und zehn Nummern ihr Erscheinen eingestellt hat, war auch die Zeit der Sturzflüge irgendwann vorbei. Die SAAV ist aber sehr stolz darauf, die von Greta Pichler koordinierte Jubiläumsschrift mit ihrer 40-jährigen Geschichte vorstellen zu können.

Sie haben viele SAV-Vorsitze erlebt: Kurt Lanthaler, Elmar Locher, Peter Oberdörfer, Maxi Obexer. Was treibt Sie immer noch an, die SAAV mitzugestalten?

Die ehemaligen Vorsitzenden der SAAV waren alle sehr unterschiedlich, aber jede und jeder hat auf ihre und seine Art die SAAV befruchtet und geprägt. Es gab Jahre, in denen sehr viele Projekte umgesetzt wurden, und andere, in denen weniger unternommen wurde.
Wieso ich in der SAAV noch mitwirke, ist eine Frage, die mich erstaunt. Gerade in dieser Zeit der Pandemie haben wir erlebt, wie wichtig Interessensvertretungen sind. Darstellende KünstlerInnen in Südtirol haben sich erst jetzt in der Vereinigung Perfas zusammengeschlossen. Und gerade SprachkünstlerInnen bzw. AutorInnen arbeiten doch meistens in Einsamkeit - tl sulentum - und es ist sehr wichtig, dass sie nach außen in gewerkschaftlicher Form deutlich sichtbar, lesbar und hörbar vertreten werden. Zudem ist es für AutorInnen, die vorwiegend auf Ladinisch schreiben, noch viel wichtiger, dass sie vertreten werden, denn sie haben keinen eigenen Literaturbetrieb, auf den sie aufbauen könnten.