Cultura | Salto Afternoon

Aktivismus für Frieden

Serhij Zhadan hat gestern in Frankfurt einen wichtigen Literaturpreis entgegengenommen. Vor einigen Jahren hat er das auch in Südtirol getan. Ein Rückblick mit Wehmut.
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Foto: Mariusz Kubik

„Er ist Schriftsteller, Übersetzer und Musiker und zählt zu den wichtigsten, innovativsten und bekanntesten Stimmen der ukrainischen Gegenwartsliteratur“, heißt es von Seiten des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels über den 1974 in Starobilsk (im Gebiet Luhansk) geborenen Schriftsteller Serhij Zhadan, an welchen gestern die begehrte Auszeichnung in der Frankfurter Paulskirche vergeben wurde. Obwohl in einer größtenteils russischsprachigen Gegend aufgewachsen, schreibt Zhadan auf Ukrainisch. Er „begeistert uns – sprachlich, literarisch, musikalisch“, gestand die Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels Karin Schmidt-Friderichs euphorisch.

Die Stimme gibt der Wahrheit eine Chance. Und es ist wichtig, diese Chance zu nutzen.
(Serhij Zhadan)


Zeitsprung: Mitte Juli 2006 hatten sich auf der Fahlburg in Prissian illustre Gäste – unter ihnen auch Serhij Zhadan – eingefunden, um dort einem von Verleger Hubert Burda veranstalteten Festakt beizuwohnen, insbesondere aber, um den knorrigen Schriftsteller Peter Handke zu Gesicht zu bekommen, der für die Vergabe an den damaligen Siegfried Lenz-Preisträger Jürgen Becker, die Laudatio gehalten hatte. Der gleichzeitig vergebene Hubert Burda Preis für junge Lyrik ging hingegen an Zhadan, der als große literarische Hoffnung vorgestellt wurde. Er lebe in Charkiw, hieß es, und habe bereits einige Gedichtbände und Erzählungen, etwa Big Mäc oder Depeche Mode vorgelegt. Sein damals neuester Gedichtband Geschichte der Kultur zu Anfang des Jahrhunderts würde erneut seine „anarchisch und kompromisslose soziale Haltung“ demonstrieren. Bekam den 15.000 Euro dotierten Siegfried Lenz Preis in Prissian auch ein anderer Autor, so ist Zhadan seit gestern – wie auch Siegfried Lenz im Jahr 1988 – Träger des wichtigen Friedenspreises.
 


„Poesie kann das Leid für kurze Zeit lindern“, meinte die Laudatorin Sasha Marianna Salzmann bei der gestrigen Verleihung und zitierte den ukrainischen Preisträger mit den Worten „Bücher können den Krieg nicht beenden, aber Bücher können im Krieg helfen du selbst zu bleiben.“ Mit seiner Punk/Ska-Band – sie hieß bei der Gründung noch Hunde im Weltraum, seit einigen Jahren Zhadan und die Hunde – spielt er seit Monaten in diversen U-Bahn-Stationen, schenkt den Menschen mit seinem Engagement Kraft und Überlebensmut, motiviert zum Durchhalten und zum Widerstand. Mit seinen Einträgen in sozialen Netzwerken avancierte er zum Chronisten des Krieges und hat nun daraus ein Buch entstehen lassen, welches unter dem Titel Himmel über Charkiw bei Suhrkamp verlegt wurde und die ersten Monate des Krieges schildert. Zhadan kämpft mit Kultur, für Kultur und gegen den Krieg, der für ihn bereits seit 2014 ein ständiger Begleiter in seinem von den Russen besetzten Heimatort ist.
 


Neben seinem literarischen Schaffen prägt Zhadan seit den 1990er Jahren die Kulturszene Charkiws und organisiert Festivals für Literatur und Musik. Seine Lieder von Vertreibung und Nimmerwiederkehr vertonte er 2022 mit dem bekannten österreichischen Komponisten Bernhard Gander. Gemeinsam mit der Regisseurin Alize Zandwijk entwickelten die drei mit dem immer wieder auch in Südtirol gastierenden Ensemble Modern und der Deutschen Oper Berlin ein vollkommen neues Musiktheater, welches im Mai 2022 in München uraufgeführt wurde. 
Mit den folgenden Worten beendete Zhadan seine Rede in Frankfurt, ihnen bleibt nichts mehr hinzuzugfügen: „Deswegen sprechen wir und hören nicht auf. Selbst wenn unsere Kehle von den Wörtern wund wird. Selbst wenn du dich von den Wörtern verlassen und leer fühlst. Die Stimme gibt der Wahrheit eine Chance. Und es ist wichtig, diese Chance zu nutzen. Vielleicht ist das überhaupt das Wichtigste, was uns allen passieren kann.“