Ambiente | Pestizide
Brief nach Straßburg
Das Schreiben ging direkt an Peter Boudgoust, den Präsidenten des deutsch-französischen Fernsehsenders ARTE nach Straßburg. Die zweiseitige Depesche aus dem Palais Widmann ist auf dem offiziellen Papier des Landeshauptmannes geschrieben und von diesem auch handschriftlich unterzeichnet.
Der Brief trägt das Datum 15. September 2017 und an diesem Tag ging er in der ARTE-Chefetage dann auch ein. Wegen besonderer Dringlichkeit wurde der Brief per Kurier verschickt.
Der 15. September ist genau sechs Tage vor der Ausstrahlung der Fernsehdokumentation von Alexander Schiebel über das „Wunder von Mals“.
Es ist der klare Versuch die Ausstrahlung des Film im allerletzten Moment zu verhindern.
Kompatschers Brief
Der Wortlaut des Schreibens:
Sehr geehrter Herr Präsident,
am 21. September um 19.40 Uhr wird ARTE die Reportage „ARTE Re: Leben ohne Ackergift — Das unbeugsame Dort im Vinschgau“ ausstrahlen. Das Formal ARTE Re: wird auf der Homepage von ARTE als „Nah dran, authentisch, echt" charakterisiert. Gerade um diesem Anspruch gerecht zu werden. ist es wahrscheinlich auch wichtig mit Inszenierungen vorsichtig zu sein.
In meiner politischen Funktion als Landeshauptmann und Regierungschef von Südtirol habe ich die Entwicklungen in und um Mals hautnah miterlebt und ich kann mich nicht des Eindrucks erwehren, dass für die Umsetzung der „Strategie des Umwegs über Deutschland" auf effektvolle Inszenierungen gesetzt wird, die selbst vielen Aktivistinnen und Aktivisten vor Ort zu weit gehen. Mir gehen die Inszenierungen auf jeden Fall zu weit, da sie dem Land Südtirol einen Imageschaden zufügen und viele Menschen brüskieren.
Ich kann mich nicht des Eindrucks erwehren, dass für die Umsetzung auf effektvolle Inszenierungen gesetzt wird, die selbst vielen Aktivistinnen und Aktivisten vor Ort zu weit gehen. Mir gehen die Inszenierungen auf jeden Fall zu weit, da sie dem Land Südtirol einen Imageschaden zufügen und viele Menschen brüskieren.
Am 4. September 2017 ist das Buch von Alexander Schiebel. Das Wunder von Mals, im oekom-Verlag erschienen und wird auch als Anleitung zum Widerstand angepriesen. Es gewährt einen Blick auf die Entstehungsprozesse hinter den Bildern, die Südtirol als „Pestizidtirol“ zeigen sollen. Der folgende Auszug beschreibt die Herangehensweise recht deutlich:
„Die Kopfredaktion von ARTE hat uns zusammen mit einem anderen Projekt des WDR in die engere Auswahl genommen. Nur sei ihnen nicht ganz klar, welche Aktionen wir im Frühjahr und Sommer in Mals
beobachten könnten. Mist! Das weiß ich ja selbst nicht! Sofort mache ich mich an die Arbeit, spreche mit allen Aktivisten, befrage sie nach ihren ldeen und erstelle eine Liste. Ich will, dass dieser Film im September 20l7 auf ARTE läuft und danach vielleicht in einigen ersten Programmen: im WDR, NDR, SWR usw. Denn eine so gewaltige Reichweite wäre ein Geschenk des Himmels für meine Strategie des „Umwegs über Deutschland“ (...) „Nach Rücksprache mit meinen Malser Freunden, schreibe ich Ralph ein paar Tage später. „habe ich nun eine Liste von Aktionen erstellt, die 20l7 stattfinden könnten."
Ihre Redaktion wird sicherlich abgewogen haben, ob eine solche Inszenierung im Sinne einer authentischen und echten Reportage ist, aber mir scheint dies nicht der richtige Weg zu sein, um nah dran zu sein an den Fakten.
In Südtirol wird auf gerade einmal 2,5 Prozent der Gesamtfläche Obstbau betrieben. Dennoch stellt die Südtiroler Obstwirtschaft für viele Südtiroler Familien eine traditionell gewachsene und wichtige Lebensgrundlage dar. In Südtirol bauen rund 7.500 Familienbetriebe Äpfel an, bei einer durchschnittlichen Betriebsgröße von 2,5 Hektar. Eine Diskussion zum Thema Pflanzenschutz und Umwelt findet in Südtirol schon lange statt. Südtirol nimmt seit vielen Jahren in Bezug auf nachhaltigen Pflanzenschutz eine Vorreiterrolle ein.
Als Beispiel kann das AGRIOS-Programm genannt werden, das von Pionieren bereits vor über 25 Jahren - freiwillig - ins Leben gerufen wurde und die Weichen für den integrierten Anbau gestellt hat. Auch in der biologischen Produktion entwickelt sich Südtirol sehr gut. Allein im letzten Jahr hat es einen Zuwachs der biologisch bewirtschafteten Kernobstfläche von rund 18 Prozent gegeben. Südtirol produziert aktuell jeden zehnten Apfel in Europa und fast jeden zweiten Bio-Apfel. Allein diese Tatsache kann man durchaus als Hinweis darauf werten, dass Südtirol seine Hausaufgaben besser gemacht hat, als andere Produktionsgebiete.
Ihre Redaktion wird sicherlich abgewogen haben, ob eine solche Inszenierung im Sinne einer authentischen und echten Reportage ist, aber mir scheint dies nicht der richtige Weg zu sein, um nah dran zu sein an den Fakten.
Ich hoffe Ihnen mit diesem Schreiben hilfreiche Informationen gegeben zu haben und baue darauf, dass Sie meine Einschätzung teilen, nach der eine sachliche und umfassende Debatte zum Thema einer nachhaltigen Lebensmittelproduktion und Pflanzenschutz schwerer wiegen sollte, als die Dokumentation des Tatendrangs einzelner Aktionisten.
Mit freundlichen Grüßen
Arno Kompatscher
Die Intervention
Im Schreiben des Kompatscher findet sich nicht explizit die Forderung nach Absetzung der Dokumentation. Das wäre ein aufgelegter, politischer Skandal geworden. Dennoch ist die Intention des Schreibens eindeutig. Allein die Tatsache, dass ein Regierungschef offiziell einem Fernsehdirektor schreibt, kann man als klare, politische Intervention sehen. Es ist ein amtlicher Ordnungsruf, der in Straßburg aber anscheinend unerhört verhallt ist.
Alexander Schiebels Dokumentation wurde am vergangenen Donnerstag wie geplant auf ARTE ausgestrahlt. Der Regisseur und Autor sagt über die Intervention Kompatschers zu salto.bz: „Es ist schon erstaunlich mit welcher Intensität das gesamte Establishment Südtirols auf das kleine gallische Dorf eindrischt. Und auf mich, der ich es gewagt habe die Geschichte dieses Dorfes als Chronist in einem Buch festzuhalten, das zum Leidwesen der Landespolitik - so wie geplant - hohe Wellen schlägt.“
Ich wollte nie die Ausstrahlung des Film verhindern und schon gar nicht durch diesen Brief. Diese Leseart ist ehrenrührig.Arno Kompatscher
Arno Kompatscher will diese Interpretation so nicht auf sich sitzen lassen. "Ich wollte nie die Ausstrahlung des Film verhindern und schon gar nicht durch diesen Brief. Diese Leseart ist ehrenrührig.", sagt der Landeshauptmann zu salto.bz. Und fügt hinzu: "So etwas ist auch nicht meine Art." Kompatscher verweist darauf, dass es ihm und der Landesregierung um etwas anderes geht: "Ich gehe davon aus, dass die Fernsehsender nicht wissen, dass für diesen Film gewisse Dinge inszeniert wurden". Genau das habe Alexander Schiebel aber in seinem Buch offengelegt. "Darauf haben wir den Arte-Präsidenten mit einem Zitat aus dem Buch hingewiesen", sagt Arno Kompatscher. Das sei als verantwortlicher Politiker seine Pflicht.
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Herr Landeshauptmann, heißt
Herr Landeshauptmann, heißt Demokratie alle müssen gleicher Meinung sein und mitmachen, wie beim Sackhüpfen ?
Bestimmen nur die angeblichen Notwendigkeiten der Wirtschaft unsere Lebensqualität ? Wohin sollen wir Alexander Schiebel "entsorgen" ?
Mit den Besten Grüßen vom BB
Mit den Besten Grüßen vom BB und HGV. Willkommen im Wahlkampf.
Der LH, der Kante zeigt.
Der LH, der Kante zeigt.
War höchste Zeit, gefällt mir.
Dass Kompatscher diesen Brief
Dass Kompatscher diesen Brief geschrieben hat, lässt mich nur mit dem Kopf schütteln! Ist er so naiv oder so arrogant, dass er glaubt, niemand als er kann sich eine kritische Meinung bilden? Dabei fällt ihm gar nicht auf, dass wenn man die folgenden Sätze
"In Südtirol wird auf gerade einmal 2,5 Prozent der Gesamtfläche Obstbau betrieben." und "Südtirol produziert aktuell jeden zehnten Apfel in Europa und fast jeden zweiten Bio-Apfel. Allein diese Tatsache kann man durchaus als Hinweis darauf werten, dass Südtirol seine Hausaufgaben besser gemacht hat, als andere Produktionsgebiete." liest und gegenüberstellt zwamgsläufig zum Schluss kommen muss: Überdurchschnittlich viele schöne Äpfel auf kleinsten Raum, das kann nur durch industrielle Turbo-Landwirtschaft mit allen Konsequenzen erreicht werden! Und davon erzählt der Film, der nicht besser oder schlechter ist, als viele andere Dokumentarfilme, die mit Engagement gemacht wurden und die man in vielen Programmen sehen kann.
Glaubt Kompatscher wirklich, Südtirol darf in den Medien nur im Stile der vom Land geförderten "Werbe"-Filme (Heile Welt, schöne Landschaft) gezeigt werden?! Die im Brief genannten Aktionen der Münchner Umweltschützer hätte man sich auch sparen können - aber das Bild des Südtiroler Turbu-Obstanbaus ist im Film unabhängig davon gut skizziert und dargestellt.
Die genannten Aktionen
Die genannten Aktionen verzerren nichts, sind sie doch lediglich provokative Performances, die auf das Problem hinweisen wollen. Oder verzerren etwa die PR-Figuren in Robe vor der Wiener Staatsoper die realitätsnahe Wahrnehmung der Opernaufführung selbst? Oder ein Flashmob zu Gewalt an Frauen den Kern des Problems? Folgern kann man daraus, dass auch ein seriöses Medium wie Arte das Format heutzutage quotentauglich hinbiegen muss. Was hängen bleibt ist mit Sicherheit die Intervention des LH, die kein Druckmittel gewesen sein soll.