Politica | Gastbeitrag

Für eine “Koalition der Europäer”

In schwierigen Zeiten sind auch schwierige, vor allem mutige, auch “unfeine“ Wege zu beschreiten. Ein Gedankenspiel zur Koalitionsbildung für die Landesregierung.
Südtiroler Landtag
Foto: Südtirolfoto/Othmar Seehauser

Wie aus der SVP-Parteizentrale zu hören ist, gibt es an der Basis Vorbehalte gegen eine Koalition mit der Lega Nord (LN). Solche Vorbehalte hat auch schon die Parteiführung geäußert, wenn Parteiobmann Philipp Achammer wie auch Landeshauptmann Arno Kompatscher von den drei unumstößlichen Grundprinzipien für eine Koalition gesprochen haben: Ja zur Autonomie, ja zum friedlichen Zusammenleben, Ja zu Europa. Und dieses Ja zu Europa trennt SVP und Lega, kein Rubikon lässt sich hier glaubwürdig überschreiten.

Wenn der europäische Integrationsprozess verlassen, gar zerstört wird, wird Südtirols Autonomie stark in Mitleidenschaft gezogen werden

Laut Autonomiestatut muss die Landesregierung im Verhältnis der Stärke der einzelnen Sprachgruppen im Landtag zusammengesetzt sein. Bei acht italienischen Abgeordneten macht dies zwei Regierungsmitglieder. In Frage käme somit eine Koalition mit der LN (4 Abgeordnete) oder mit den Grünen (3 Abgeordnete, davon ein Italiener) und mit dem PD (ein Abgeordneter). Auszuschließen ist eine Koalition, auch weil es numerisch zu keiner absoluten Mehrheit käme, mit den 5 Stelle und der Partei Alto Adige nel cuore/Fratelli d’Italia. Eine Koalition mit Grünen, PD, Fratelli d’Italia und 5 Stelle und Varianten davon ist aus ideologischen Gründen nicht denkbar.

Es gibt noch eine dritte Variante, wonach die SVP mit der Lega kein Koalitionsabkommen schließt, die Lega die beiden Regierungssitze kraft des ethnischen Titels besetzt, wie das schon in der Legislaturperiode 1973-78 mit dem PSI der Fall war.

Theoretisch könnte man auch die Landesregierung verkleinern, um die beiden italienischen Regierungsmitglieder auf eines zu reduzieren, aber die SVP benötigt dessen ungeachtet mindestens drei, besser vier Abgeordnete, um eine stabile Koalition bilden zu können.

Wenn es einen Gordischen Knoten gibt, muss man ihn durchschneiden. Deshalb ist es sinnvoll, auch an neue Koalitionsvarianten zu denken, wenn eine Zusammenarbeit mit der rechtspopulistischen, zum Teil rechtsextremen und europafeindlichen Lega vermieden werden soll.

In schwierigen Zeiten sind auch schwierige, vor allem mutige, auch “unfeine“ Wege zu beschreiten.

Denkbar ist folgende Variante, die neu ist, eine Zukunftsperspektive eröffnet und der SVP weniger Schwierigkeiten als gedacht bereiten würde. Es ist ein Denkspiel, nicht abgeschlossen, und offen für Ergänzungen, Varianten und anderes mehr. Also ein kleiner Denkanstoß.

 

SVP, Grüne, PD und Team Köllensperger

Eine Koalition der Verlierer – SVP, Grüne, PD – ist politisch und symbolisch kontraproduktiv. Der PD sollte nicht den Fehler machen, um eines Postens willen definitiv von den Italienern als “stampella della Volkspartei” abgekanzelt zu werden. Im Gegensatz dazu hätten die Grünen, wenngleich sie auch Stimmen verloren haben, ein starkes Argument für die italienische Vertretung. Riccardo Dello Sbarba ist der an Vorzugsstimmen meist gewählte Italiener im Landtag.

Der politische Wille der Italiener bei dieser Wahl darf nicht außer Acht gelassen werden, der sich in einem, jetzt undifferenziert formuliert, “rechten” Wahlsieg geäußert hat. Es müsste der Volkspartei gelingen, einen rechtskonservativen Vertreter der italienischen Sprachgruppe ausfindig zu machen. Einen Vertreter “di area”, wie das gerne formuliert wird. Diese Frau (wegen der Geschlechterquote in der Regierung) müsste von außen berufen werden. Dazu benötigt es eine Zweidrittel-Mehrheit. Die hätte die SVP mit den Grünen nicht. Also braucht es weitere Koalitionspartner.

Das könnte das Team Köllensperger und der PD sein. Koalitionspartner von außen. In schwierigen Zeiten und schwierigen politischen Situationen müssten alle auf etwas verzichten und aufeinander zugehen. Das TeamK ist mit dem Anspruch zur Wahl angetreten, in die Landesregierung zu treten. Es müsste unter den aktuellen Bedingungen verzichten, direkt in die Regierung zu treten. Dasselbe gilt für den PD. Das heißt allerdings nicht, dass die Stimmen dieser Parteien zum Nulltarif für diese Koalition zur Verfügung gestellt werden. Beide Parteien müssten in den Koalitionsvertrag eingebunden werden. Ein permanenter Koalitionsausschuss müsste es ermöglichen, sich ständig abzustimmen. Es wäre also ein indirekter Eintritt in die Regierung. Welche andere Formen der politischen Einbindung noch möglich sind, ist der Phantasie der Koalitionspartner*innen vorbehalten.

In schwierigen Zeiten und schwierigen politischen Situationen müssten alle auf etwas verzichten und aufeinander zugehen.

Schauen wir nun die Schwierigkeiten und Vorteile einer solchen Koalitionsvariante an: Die SVP müsste den größten Schritt tun. Ihr Verhältnis zu den Grünen ist nicht gerade gut, aber auch nicht zerrüttet. Vor allem die Bauern werden blau, wenn sie grün sehen. In vielen Punkten lassen sich  aber Schnittmengen finden. Nur bei der Schule gibt es stark unterschiedliche Meinungen, gar nicht mehr so beim Proporz. In dieser Frage müssten die Grünen einen Schritt zurücktreten und sich mit Soft-Maßnahmen begnügen.

Inhaltliche Absprachen der SVP mit dem Team Köllensperger sind in den allermeisten Themenfeldern möglich. Das TeamK ist in gewissem Sinne das saubere Gesicht der SVP, eine liberaler Bewegung, von der in den vergangenen Jahren auch viele in der SVP geträumt haben. Nun gibt es diese, wenn auch außerhalb der SVP. Und auch die Nähe zwischen Grünen und TeamK ist größer als ihre Distanz. Die Frage ist, ob das TeamK eine solche Variante akzeptieren könnte, nicht direkt, sondern nur indirekt zu regieren. Von der SVP verlangen, einen Vertreter des Teams in die Regierung zu nehmen, würde die vorgeschlagene Koalitionsvariante sprengen. Auch das TeamK müsste auf etwas verzichten.

Wenn eine Zusammenarbeit mit der rechtspopulistischen, zum Teil rechtsextremen und europafeindlichen Lega vermieden werden soll, ist es sinnvoll, auch an neue Koalitionsvarianten zu denken.

Das echte Problem ist aber ein anderes. Die italienische Bevölkerung hat seit jeher beklagt, in der Regierung unterrepräsentiert zu sein. Nicht formal, da wurde der Regierungsproporz eingehalten, aber in der Substanz. Der PD hat in der vergangenen Legislaturperiode rund 30% der Bevölkerung vertreten, 70% fühlte sich ausgeschlossen. Mit der Lega Nord wäre in etwa 50% der italienischen Bevölkerung “drinnen”. Die Lega von der Regierungsbildung ausschließen würde bedeuten, die Wut der Italiener zu provozieren, die bestätigen könnten: Die SVP und ihre Koalitionspartner schließen bewusst den Großteil der Italiener aus der Regierung aus, der Wille der Mehrheit der Italiener wird nicht respektiert. Diese Situation gab es bereits einmal, als die SVP mit der Minderheit der Parteien der italienischen Mitte und dann mit den Mitte-Links-Parteien eine Koalition einging, gegenüber der Mehrheit der Mitte-Rechts-Parteien. Das würde das Selbstwertgefühl der Italiener stark treffen und wäre ein treffliches Argument von Lega und den anderen italienischen Parteien, die Italiener würden in diesem Lande diskriminiert werden.  

Dies könnte, zum Teil zumindest, durch diese Persönlichkeit “di area” abgefedert werden. Dies ist allerdings der schwächste Punkt in meiner Koalitionskonstruktion.

In schwierigen Zeiten sind auch schwierige, vor allem mutige, auch “unfeine“ Wege zu beschreiten. Wenn der europäische Integrationsprozess verlassen, gar zerstört wird, wird Südtirols Autonomie stark in Mitleidenschaft gezogen werden. Auch deshalb ist es notwendig, eine “Koalition der Europäer“ zu bilden.