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Wunder im Aliceland

Als wäre die gegenwärtige Weltlage nicht schon verrückt genug: Fanny Brunner inszeniert das Stück Alice im Wunderland in Bozen.
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Foto: Luca Guadagnini
  • Er sei der „Crucco del Trentin“, singt die grüne Raupe im Stück Alice im Wunderland – in der aktualisierten Fassung der Vereinigten Bühnen Bozen – und sie sei zum Pfifferlinge­sammeln ins Sarntal gekommen. Das Lied, wenn auch mit einer leichten textlichen Abweichung, stammt vom Südtiroler Barden Sepp Messner Windschnur – ein Klassiker in der lokalen Musikszenerie. Ein Klassiker ist auch Alice im Wunderland. Sein Erfinder Lewis Carroll (1832–1898) schrieb ihn vor rund 160 Jahren, veröffentlichte ihn 1865 und beeinflusste mit seiner irren Erfindung viele Künstlerinnen und Künstler, assoziative Schreiberinnen und Schreiber. Auch den surrealistischen Maler und Grafiker Max Ernst, der gut ein Jahrhundert nach der Erstveröffentlichung Illustrationen zu Carrolls Werk schuf. Ernst zu nehmen ist in Alice im Wunderland nichts, Oder doch?
     

    Mit der Zeit gewöhnst du dich an alles.

  • Crucco del Trentin: „Du glaubst also, anders geworden zu sein, hm?“ Foto: Luca Guadagnini

    Die Theaterfassung nach Carroll von Peter Siefert wird in Bozen fulminant auf die Bühne gezaubert. Alt und Jung zeigten sich bei der Premiere begeistert – von den Darstellerinnen und Darstellern und über den ganzen, auf 80 Minuten im Studio-Theater verfrachteten, verrückten Traum. Im angepriesenen Familienstück geht es immer tiefer in eine sonderbare Welt, wo alles verdreht ist, riesengroß erscheint oder winzig klein. Alice wächst und schrumpft dahin, ist meistens komplett verwirrt wie das Publikum, sodass alle nicht mehr genau wissen, wer sie sind und wohin sie wollen.
     

    Ich finde, ihr könntet etwas Besseres mit eurer Zeit anfangen, als nach Rätseln ohne Lösung zu fragen. 


    Ob philosophierende Raupe, die nach Belieben erscheinende und wieder abtauchende Grinsekatze oder der verrückte Hutmacher samt seinen bummelwitzigen Kollegen, die exzessiv Nicht-Geburtstage feiern und eine Anarchie der Schmunzelei an den Tag legen. Auf der Bühne geht es rund (und eckig zu)!

  • Katzenratschlag: „Besuch, wen du willst: verrückt sind sie alle drei.“ Foto: Luca Guadagnini

    Die Inszenierung zeichnet sich durch passende Mehrfachbesetzungen aus. Vivienne Causemann steht natürlich als Alice im Zentrum und meistert ihre Rolle souverän. Um sie herum verwandeln sich die vertrauten Personen aus ihrem Alltag in verwunschene Wesen: René Dalla Costa gibt den Vater, in der Traumwelt die singende Raupe, den Hutmacher und später den Prinzgemahl. Eva Kuen übernimmt die zugleich fürsorglichen wie bedrohlichen Präsenzen, etwa der Mutter, der Herzogin und der Herzkönigin. 

    Jonatan Fidus Blomeier zeigt sich als Onkel und im Wunderland als gruseliger Koch oder als Henker: Und schließlich sogar als rätselhafter Ritter mit weißem Hockeyhelm und einem derart unglaublich schönen Gesang, dass er beinahe Norbert Rier von den Kastelruther Spatzen Paroli bieten kann. Grinsekatze Viktoria Obermarzoner gibt auch das Dienstmädchen und das Kaninchen. Sie ist die treibende, geheimnisvolle und oft spöttische Begleiterin durch Alices Reise. Johannes Karl spielt den Lehrer, der sich in einen Frosch, einen Hakenhasen, den Hofmarschall und in Herrn Ei verwandelt.  
     

    Zuerst die Strafe, dann das Urteil.

  • Herr Eiermann: „Wenn ich ein Wort gebrauche, dann bedeutet es genau das, was ich wünsche. Nicht mehr und nicht weniger.“ Foto: Luca Gudagnini
  • Das Vorspiel (vor dem Vorhang) zeigt Alice noch zuhause, als siebeneinhalbjähriges, braves Mädchen, das die Rechenaufgaben bravourös meistert. Doch dann kommt ihr Albtraum in die Gänge. Und am Ende? Im Gerichtssaal, der von ihrer eigenen Familie besetzt ist und sich ständig verwandelt, wird Alice in einen absurden Prozess verwickelt: Zeugen widersprechen sich, Beweise sind unsinnig, Regeln werden erfunden.

    Schließlich erkennt Alice die Lächerlichkeit des Tribunals, beschimpft alle als Hampelmänner – und die Szene kippt zurück ins Wohnzimmer. Die Familie steht wieder da, als sei nichts geschehen: Alice ist aufgewacht. Ein grandioses Stück, eine grandiose Inszenierung.