Cultura | Pop-up-Podium

Kommunikation gegen verhärtete Fronten

Zum Auftakt des zweiten Pop-up-Podiums der VBB: "Ungesundes Schweigen – Status, Stigma, Sex", beweist Dragqueen Candy Licious ihre Expertise zur Thematik.
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Dragqueen Kinderbuchlesung von Candy Licious Donauzentrum
Foto: (c) Candy Licious/Berni Ledinski
  • Bunt, schrill, unbeugsam! Die Dragqueen Candy Licious scheint die ideale Diskussionspartnerin für das zweite Pop-up-Podium der Vereinigten Bühnen Bozen zur bevorstehenden Premiere des Stücks ‚Rent‘ zu sein. Hinter der Kunstfigur steckt der 33-jährige Bernhard Ledinski. Der gebürtige Süd-Steirer ist von Beruf Sexualpädagoge und Dragqueen in Wien sowie Markeninhaber, Mitwirkender in Diversity-Management-Projekten und LGBTQIA+ Aktivist. Bei Pride-Veranstaltungen und Kinderbuch-Lesungen setzt Candy alles daran, ihre Expertise einzubringen, um mit Menschen ins Gespräch zu kommen, Fragen zu beantworten und Toleranz zu fördern. In Vorfreude auf das Gespräch mit Michael Peintner, Sexualpädagoge und Psychotherapeut, umreißen wir mit Candy bereits die Begriffe des bevorstehenden Pop-up-Podiums.

  • Seine Bühne nutzt Bernhard Ledinski aka Candy Licious zur Förderung von Toleranz. Foto: (c) Candy Licious/Berni Ledinski
  • Candy Licious und Bernhard Ledinksi, sind das Synonyme?

    Bernhard Ledinski/Candy Licious: Ja und Nein. Candy ist ein Teil von mir. Sie ist die Kunstfigur, in die ich schlüpfen kann, wann ich will. Im Generellen ist das das Schöne an der Drag-Kunst: Man hat immer eine Bühne, wenn man sich verwandelt. Natürlich steckt hinter Candy Licious der biologische Mann Bernhard Ledinski, aber mit der Kunstfigur kann ich Sachen machen, die ich sonst nicht machen oder sagen würde.

     

    „Es geht darum, Stereotypen aufzubrechen!“

     

    Du bist eine Dragqueen. Könntest du Drag bzw. deine Performance als Kunstform beschreiben?

    Die Ursprünge des Drag finden sich vermutlich zu Shakespeares Zeiten, in der weibliche Rollen auf der Bühne von männlichen Schauspielern porträtiert wurden („dressed-as-girl“). In den 1960er Jahren kam die Drag-Kunst dann auf die Straße und wurde zu einer der Stimmen des Protests gegen Ungerechtigkeit. Drag-Performances beschäftigen sich mit den Themen Gender und Geschlecht. Eines der Hauptanliegen von Drag-Kunst ist, dass Geschlecht keine Frage von Kleidung ist, anders als dies oft in der Gesellschaft wahrgenommen wird. Es geht darum, Stereotypen aufzubrechen! Das Schöne an der Kunstform ist ihre Vielseitigkeit: Es ist eine laute Kunst, aber auch mit bloßem Auftreten kann ich etwas aussagen. Ich mache mit Drag Kinderbuchlesungen, bei welchen ich kindgerecht ein Bewusstsein für Toleranz und Diversität fördern möchte. Ich halte auch Workshops in Firmen ab, wo ich darauf hinweise, was das soziale Geschlecht ist. Ein wichtiger Trigger der Kunst ist, dass die Menschen die Merkmale einer Frau an einem biologischen Mann abgebildet sehen und dies zwischen kunstvoller Darstellung und traditionellen Rollenbildern große Diskrepanzen hervorruft.

  • Spricht man nicht darüber, bleiben Stigmata ein fester Bestandteil der Gesellschaft, so Candy Licious. Foto: (c) Candy Licious/Berni Ledinski
  • Das Thema des Pop-Up-Podiums lautet: Ungesundes Schweigen – Status, Stigma, Sex. Hast du schon eine Idee, wie die Begriffe zusammenpassen?

    Ungesundes Schweigen und Stigma passen bereits perfekt zusammen. Ein Stigma ist etwas, das Scham erzeugt und deshalb häufig unausgesprochen bleibt. Die meisten Menschen schauen bewusst darüber hinweg und leugnen reale Verhältnisse. Also bleibt das Stigma fest in der Gesellschaft verhaftet, weil man nicht darüber spricht. Sexualität ist hier ein Thema von mehreren, welches mit sehr vielen Stigmata behaftet ist und dadurch wird die sexuelle Entwicklung des Menschen stark beeinträchtigt. Ein Tabuthema. Zudem passiert ungesundes Schweigen dann, wenn Menschen angesichts einer Ungerechtigkeit nichts sagen.

    Viele meinen, am besten geht man mit Diversität um, wenn man gar nicht erst über sie sprechen muss. Ob schwarz, queer oder benachteiligt; es zählt der Mensch, das Wesen, die Thematik, nicht der Unterschied. Was meinst du dazu?

    Eine Utopie, in der wir weder Wörter wie „Outing“ noch „Pride“ nötig hätten, aber dafür müssten halt alle mitspielen. Könnten wir uns darauf einigen, dass wir uns nur auf die menschliche Basis konzentrieren und ohne anderen mit Vorurteilen entgegenzutreten, würde es funktionieren. Die Realität ist aber eine andere. Schaut man sich beispielsweise die rechtliche Situation in Italien zur gleichgeschlechtlichen Ehe an, erkennt man klar, dass das „Normale“ immer noch das „Andere“ ausschließt. Die aktuelle Situation in den USA ist ebenso ein beunruhigendes Thema. Trump verneint zum Anlass seiner Amtseinführung sofort Transgeschlechtlichkeit. Das birgt keine wirtschaftlichen oder geopolitischen Vorteile für ein Land, damit wird nur Polarisierung vorangetrieben!

  • Ich lese den Kindern vor, sitze bunt vor ihnen, habe ein Stoffeinhorn dabei und trage Geschichten vor, die vermitteln, dass wir alle verschieden sind und das in Ordnung ist.

     

    Status: Was sagst du zur etwas ulkigen Formulierung, man könne Dragqueens als Galionsfiguren der LGBTQIA+ Bewegung verstehen. Was hältst du davon?

    Naja, Gallionsfigur ist ein etwas plumper Begriff, aber natürlich ist Drag eine Kunstform, die beinahe ausschließlich von queeren Menschen gemacht wird, welche dadurch sehr sichtbar und präsent sind. Die entscheidenden Triebkräfte der Bewegung sind aber alle Aktivist_Innen, die de facto Rechte erkämpfen und Ungerechtigkeit bekämpfen. Drag-Artists waren aber stets an vorderster Front präsent, denke man etwa an die Stonewall riots in New York City.

    Ist politischer Aktivismus ein zentraler Aspekt von Candy Licious?

    Kunst ist immer politisch, da sie etwas aussagt, ob es nun um Botschaften oder das bloße Mitteilen von Gefühlen geht. Ich möchte aufzeigen, dass Handlungsbedarf besteht, um „die Anderen“ in das „Wir“ der Gesellschaft miteinzuschließen. Mein Aktivismus besteht unter anderem in Kinderbuchlesungen. Ich lese den Kindern vor, sitze bunt vor ihnen, habe ein Stoffeinhorn dabei und trage Geschichten vor, die vermitteln, dass wir alle verschieden sind und das in Ordnung ist. Ich verstehe dies als Aktivismus, da ich Menschen außerhalb der LGBTQIA+ -Bewegung für Diversität sensibilisiere und das in einem vorurteilsfreien Raum, in einem bunten Farbspektrum. Viele Menschen denken, Drag-Kunst soll von Kindern gefälligst ferngehalten werden. Aber Drag kann sehr wohl eine kindgerechte Kunstform sein. Wenn ich Lesungen von Kinderbüchern im Drag Kostüm vor kleinen Kindern halte, lege ich natürlich alles daran, keine unpassenden Inhalte vorzutragen und ein angemessenes Ambiente für die Kinder zu schaffen. 

  • Einladungen aussprechen, anstatt sich auf sich auf das Niveau des Streits zu begeben, so die Devise. Foto: (c) Candy Licious/Berni Ledinski
  • Stigma: Mit deinen Lesungen gerätst du in eine weitreichende Debatte. Deine Kritiker_Innen bauen dir buchstäblich Mauern, die du wiederum einreißen musst. Wie steht es im Kampf gegen Missverständnisse und Vorurteile?

    Meine Arbeit wird beträchtlich von Lügen erschwert, Stichwort: Frühsexualisierung von Kindern, die unter anderem zu Wahlkampfzwecken von Politikern über mich erzählt werden. Dabei ist es meine Devise, stets die Kommunikation zu suchen. Wenn man das Gespräch verweigert, können keine gemeinsamen Nenner gefunden werden und es verhärten sich die Fronten. Es ist jedoch schwierig, ein gemeinsames Fundament zu finden, wenn die Basis zur respektvollen Gesprächsoffenheit fehlt. Polarisierung würde sich weitestgehend auflösen, wenn hier und da die Bereitschaft bestünde, sich erst verstehen zu wollen, bevor man argumentiert. Meine Strategie ist es, mich nicht auf das Niveau des Streits herabzulassen, sondern Einladungen auszusprechen, um meinen Kritikern Tatsachen vor Augen führen zu können. Es kam bereits vor, dass Kritiker_Innen ihre Kritik zurückgenommen haben, nachdem sie meine Lesungen besuchten und nicht die problematischen Inhalte gehört hatten, die sie erwarteten. Die meisten Kritiker_Innen nehmen die Einladungen jedoch nicht an, haben eine gefestigte Meinung zum Thema und wollen von dieser Meinung auch nicht abrücken, egal wie die Sachlage auch sei.

     

    Das fühlt sich zunächst für niemanden an wie Aktivismus, birgt aber in- und außerhalb wichtige Lektionen in Sachen Vielfalt und Toleranz.

     

    Was sagen denn die Kinder dazu?

    Kinder kommen auf die Welt, ohne zu werten. Vorurteile lernen sie von der Erwachsenenwelt. Kindern ist es egal, ob ich Mann bin oder Frau oder etwas dazwischen, sie möchten eine gute Zeit haben und den bunten Geschichten lauschen. Wenn es doch Fragen gibt, ist es natürlich wichtig diese zu beantworten, dann heißt es halt mal: „Bist du ein Mann?“, „Sind das deine Haare?“, „Hast du Haustiere?“. Das fühlt sich zunächst für niemanden an wie Aktivismus, birgt aber in- und außerhalb wichtige Lektionen in Sachen Vielfalt und Toleranz.

     

  • Candy Licious vermittelt den Kindern, dass "anders-sein" nichts schlechtes ist - wir alle sind verschieden. Foto: (c) Candy Liscious/Berni Ledinski
  • Dein Gesprächspartner wird der Psychotherapeut und Sexualpädagoge Michael Peintner sein. Irgendwelche Erwartungen davon, was du mit deinem Fachkollegen besprechen wirst?

    Tatsächlich kennen wir uns schon seit langem über Facebook, persönlich haben wir uns aber noch nie getroffen. Da wir beide von der Sexualpädagogik kommen, haben wir, so glaube ich, ein ähnliches Bild davon, was gesunde Sexualität bedeutet. Ich habe schon die ein oder andere Idee, die wir diskutieren könnten.

     

    Ich freue mich wahnsinnig, zum ersten Mal in Drag in Bozen zu sein!

     

    Gibt es noch etwas, auf das du dich freust oder einen Gedanken, den du deinen Leser_Innen mitgeben willst?

    Ich freue mich wahnsinnig, zum ersten Mal in Drag in Bozen zu sein! Ich liebe es, im Rahmen meiner Kunst und Arbeit neue Orte zu erkunden und Leute kennenzulernen. Darüber hinaus freue ich mich auf tolle Gespräche und hoffe, dass Menschen Fragen haben, denen ich mich widmen werde, um vielleicht das ein oder andere Stigma oder Vorurteil abbauen zu können.

  • Pop-up-Podium II: Ungesundes Schweigen - Status, Stigma, Sex.

    • am 04.02.2025, um 19:30 Uhr in der Rosministraße 77, Bozen.
    • Eintritt frei

    Was hat es mit den Pop-up-Podien auf sich? Hier geht's zum einführenden Beitrag. Detailliertere Informationen und Updates zur Veranstaltungsreihe und den Vereinigten Bühnen Bozen finden sich auf der Facebook und Instagram sowie auf der offiziellen Website.