Gestern, heute, morgen
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Gut ein Dutzend Slammer:innen aus Südtirol und Deutschland fanden sich am Samstag ab 16 Uhr im Bunker H zusammen. Die Delegation aus Deutschland, vierköpfig, war aus Mayr-Nussers Todesort Erlangen angereist, wo dieser am 24. Februar 1945 auf der Deportation nach Dachau an den Folgen seiner Haft verstarb und verstärkte das mehrheitlich junge Starterfeld, das zum Thema „Zivilcourage“ für bis zu 5 Minuten seinen Bühnenmut fasste.
Nun kann, wer schon öfter auf einem Themen-Slam war - insbesondere solchen mit hoher Schüler:innen-Beteiligung - fürchten, dass es am Abend zu mehreren Überschneidungen beziehungsweise mitunter recht ähnlich aufgebauten Texten kommen könnte. Die Gegenfrage muss wohl lauten: Bei welchem Thema, wenn nicht bei Zivilcourage, kann eine Nachricht mit Nachdruck auch mehrfach wiederholt werden. Zum Slam waren auch Landeshauptmann Arno Kompatscher und Bischof Ivo Muser erschienen, die im Anschluss an die 12 Performances mit anschließendem Applausentscheid unter den „besten“ dreien auf die Bühne kamen und Glückwünsche und Anliegen zum Abendthema übermittelten.
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Spiegel, Puzzle und Bilder
Den Anfang machte nach einer engagierten Einführung zur Geschichte des Bunkers, verbunden mit einer Entschuldigung für weggeworfene Zigarettenstummel in der Jugend, Gino Bombonato von der Gastgebergenossenschaft Thalia, die Teilnehmerin Anita Demetz. Auch sie zeigte gleich in einem Text, der persönlich in die eigene Lebenserfahrung blicken ließ, dass Zivilcourage gestern, heute und morgen gefragt war, ist und sein wird. Demetz berichtete in freier Sprache von Erfahrungen mit dem Thema Mobbing. Für sie war es eine bewusste Entscheidung, die Opferrolle zu verlassen und dann wenn sich andere in Not befinden, aufzustehen. Im schlimmsten Fall stünde man zu zweit wieder als Opfer da, was immer noch besser sei als allein in diese Situation zu geraten.
Sophie Körners Textbeitrag „Spiegeldich“ befasste sich mit dem Selbstbild junger Menschen und verschiedenen Problemen, die man gerade als junger Mensch vor und abseits des Spiegels mit dem eigenen Körper haben kann. Statt tagelang zu „fasten“ empfiehlt die junge Slammerin auf Abstand zu gehen und animiert schließlich mit einer Reihe von Begriffspaaren über eine bewusste, weiter nur als nur oberflächlich gehende Reflexion zum eigenen Körper hin.
Über den Brenner kam unter anderem Lucie Nägel. Die Schülerin brachte ein „Seelenpuzzle“ mit, für zwei gute Freunde, von denen einer eine Mauer aufbaut. Nägel fragte sich, welchen Sinn es haben kann, gemeinsam, zu zweit, stehen zu bleiben und nicht im Mainstream mitzumachen. Dieses gemeinsame Innehalten verglich die Schülerin mit einer Lawine, die langsam zum Erliegen kommt und die Schneedecke vor ihr ungestört lässt.
Als erste den Sprung unter die ersten drei schaffte Eva Prunner, zuvor musste sie allerdings auf die bunkerbedingt abenteuerliche Bühne steigen. „Dass i kraxeln muas hot mir niamand gsog.“, meinte sie, vor dem Mikrophon angekommen und hatte augenblicklich die Sympathie des Publikums. Sie berichtete von einem Kaffee und Gespräch, die sie mit einem Physikstudenten geteilt hatte und davon, wie dieser rasch von einem möglichen Vorbild zum abschreckenden Beispiel wurde. Erst neidet Prunner dem Studenten seinen inneren Seelenfrieden ob des bewussten „Verzichts“ auf das Lesen der Nachrichten, als dieser sich dann auf europäischer Ebene über einen „random“ („zufällig, nicht nachvollziehbar“, Anm. d. Red.) Rechtsruck verwundert zeigt, ist er kein „Zen-Guru“ mehr. In ihrem Text zeigt sich Prunner durchaus nicht zimperlich, was Generationenkonflikte anbelangt, etwa mit einer langen Anapher, die immer wieder mit „De Jungen …“ begann und schließlich die Klammer ironisch mit „hel sogn sie, de Oltn“, schloss. Ganz am Ende der mit Ironie gebrochenen Kritik sieht sich die Schülerin dann - obwohl nicht zum letzten Mal auch von „Ohnmacht“ die Rede sein sollte - mit Erich Kästner in der Verantwortung: „Es gibt nichts Gutes, außer: Man tut es.“ 28 von 30 möglichen Punkten wurden von der Jury vergeben.
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Privilegien und das feminine Substantiv
Nach einer von mehreren kurzen musikalischen Unterbrechungen am Akkordeon, durfte die junge Moderatorin des Abends, Anja De Falco, die Schülerin Clarissa Reich ans Mikro bitten. Mit lyrischer Ruhe und in schönen, sprachlich sorgsam verpackten Bildern, erzählte sie von der Mitmenschlichkeit, die ein neunjähriges Mädchen auf Grund seiner Krebserkrankung erfahren hat. Mit 11 Jahren ist dieses Mädchen dann „voller Mut und Rage“, bereit etwas von der Hoffnung und der Liebe, die es erfahren hat, zurückzugeben. Reich gibt dem Publikum auch einen Schiffskatalog von Möglichkeiten mit auf den Weg, die man hat, um zu helfen: Von der Blume bis zur Knochenmarkspende.
Emely Graf Mair folgte mit ihrem ersten Slamauftritt, der trotz einiger Kinderkrankheiten wie berechenbarenPaarreimen gut ankam. Auch sie konzentrierte sich auf den Aspekt „Mut“ der Zivilcourage, unterstrich allerdings auch die Individualität der Auslegungsmöglichkeiten für das Abendthema. In einem etwas kürzeren Text brachte die Schülerin dann auch noch drei Beispiele für gelebte und wohl unumstrittene Zivilcourage zum Ausdruck: Malala Yousafzai, Sophie Scholl und auch Martin Luther King Junior.
Andreas Kofler, den wir sonst mit starken Texten zum Thema Queerness (in Südtirol) kennen, hatte vor dem Slamabend zu lange prokrastiniert und somit keinen Text in Druckform dabei. Im locker, humorvollem Storytelling erzählte der Welschnofer von drei Verkehrs-Kontrollen, die er gemeinsam mit seinem FiatPanda „Amanda“ durchlaufen hat, sowie vom passiven Widerstand gegen die nicht zweisprachigen Vertreter der Carabinieri. Vielleicht mehr als alle anderen Slammer:innen zeigte sich Kofler bühnensicher und furchtlos, passend zu seiner Geschichte, in der es nicht um 10 Führerscheinpunkte gehen sollte, sondern ums Prinzip. Nebenbei merkt Kofler an, dass er üblicherweise Nagellack tragen würde, aufgrund der Anwesenheit des Bischofs darauf verzichtet habe. Der Bischof nahm es in der ersten Reihe mit Humor. Was blieb, war ein junger Mann auf der Bühne, der sich seiner eigenen, wie auch der Privilegien von Beamten durchaus bewusst ist.
Die Nachfolgepoetin Olivia Kaufmann (im Titelbild bei ihrem Auftritt zu sehen) sollte mehr Glück in Sachen Jurywertung haben als ihr - unserer Meinung nach - unterbewerteter Vorgänger. Kaufmann begann zwar, was sich noch wiederholen sollte, mit einer Google-Definition des Begriffs „Zivilcourage“, arbeitete sich beim „femininen Substantiv“ dann aber doch noch in einen mitreißenden Slamtext ein, der noch einmal klar Ängste ihrer Generation thematisierensollte und den „Mut“ nach Kategorien differenziert wahrnahmen ließ. Es braucht Mut im Denken, wie auch im Sprechen und schließlich im Tun. Der mutige Auftritt war am Ende 29,3 Punkte für die Jury wert.
Gerechtigkeit und ein ökosozialer MoonwalkDas letzte Drittel eines auch durch nicht ganz runde Abläufe in der Organisation etwas lang geratenen Poetry Slams, sollte Emily Brunner einleiten. Dabei schlug sie in eine ähnliche Kerbe wie ihre Vorgängerin und begann ebenfalls mit dem Versuch einer Definition, konzentrierte sich aber stärker auf Fragen rund um das Thema Zukunft, wie etwa der Frage, ob es für sie überhaupt noch eine Zukunft gäbe. Gegen Ende ihres Vortrages bestärkt Brunner auch noch einmal den Fakt, dass sich zu öffnen und mutig zu sein ein allmählicher Prozess ist.
Kayra Marquardt betrat mit dem kürzesten Text des Abends die Slambühne, mit einem kurzen Gedicht im mehrheitlich männlichen Paarreim. Sie brachte Zivilcourage mit einer neuen Begrifflichkeit in Verbindung, jener der Gerechtigkeit und hatte er ein pluraleres Verständnis des Wortes, als dass Zivilcourage den Einzelnen in die Verantwortung rufen würde.
Ein weiteres Highlight des Abends sollte von Verena Clara an vorletzter Stelle gesetzt werden. Eine selbsterklärte Weltverbesserin fasst sich dabei selbst an die Nase und erklärt, wo es beim Angehen von theoretisch Möglichem auch mal praktisch schiefgehen kann. Mit viel Selbstironie stellte sie rasch klar, dass sie keineswegs moralisieren wolle. Statt sich einen Batman vorzustellen, der beim Kaffee sitzt, will Clara lieber auf die Straße gehen. Mit einem „ökosozialen Moonwalk“ verlässt die Slammerin, mit 28,5 Punkten im Gepäck, die Bühne.
Den Abend abschließen durfte Hannes Hellweger, der sich ebenfalls selbst erklärte, und zwar als „überzeugter Christ“. In einer Sprache, die zum Teil ungute, national kontierte Assoziationen bei mirauslöste, sprach der letzte Teilnehmer dann nicht von der Zivilcourage, die es heute braucht, sondern vom Leben und Wirken Josef Mayr-Nussers, in dem er mit seinem Text „Der gebrochene Gehorsam“ auf drei Punkte besonderen Wert legte: Widerstand, Freiheit, Gerechtigkeit.
Außer Konkurrenz: Muser und KompatscherNachdem man nach jeweils 5 Sekunden Biltzapplaus Olivia Kaufmann vor Verena Clara sah (Prunner hatte den Bunker vorzeitig verlassen und wurde automatisch auf Platz 3 gereiht), sollten noch zwei „Slam-Auftritte“ außer Konkurrenz stattfinden.
Zuerst trat Ivo Muser an das vorgewärmte Gedenktags-Mikrophon und erinnerte daran, dass Josef Mayr-Nusser eigentlich als jemand, der „Ja“ und nicht „Nein“ gesagt hatte in Erinnerung bleiben müsse. Muser zitierte den gläubigen Christen, der vor seinem „Nein“ ein „doppeltes Ja“ zu Gott und zur Würde des Menschen gesprochen habe: „Wenn nie jemand den Mut aufbringt, ihnen zu sagen, dass er mit ihren nationalsozialistischen Anschauungen nicht einverstanden ist, dann wird es nicht anders.“, zitierte der Bischof den seligen Mayr-Nusser. Muser unterstrich, wie wichtig es sei, dass gerade jetzt viele (junge) Menschen ihr Gewissen formen und schärfen würden. Nach einer eindringlichen Warnung zu den Versprechungen des Populismus und „dass es nicht beim (Nein) sagen bleibt“.
„Was noch sagen?“, fragte sich anschließend Landeshauptmann Arno Kompatscher und fing an mit den Fingern zu schnippen. Das Fingerschnippen an Textstellen, die man persönlich mitfühlt, etabliert sich seit einiger Zeit auch in Südtirol und kommt aus der Slam-Szene jenseits des Brenners. Ohne den Vortrag zu sehr zu stören, soll dadurch der Poet oder die Poetin auf der Bühne mitgeteilt bekommen, dass gerade ein „Magic Moment“, also ein magischer Moment stattfindet. Geschnippt und mitgefühlt wurde im Bunker viel, gerade rund um den Begriff der Ohnmacht, stellte Arno Kompatscher fest. Es gelte, auch gegen die Mächtigen anzutreten, meinte der, so die Selbstbezeichnung, „vermeintlich mächtige“ Landeshauptmann. Auch er fühle sich oft ohnmächtig und es gelte aus der eigenen Opferrolle auszubrechen, schloss Kompatscher den Bogen zum Anfang des Abends, an dem er sich keiner Publikumswertung stellen brauchte.