Economia | Fremdenverkehr

Südtirol, eine Insel im Atlantik

Die Einwohner von Gran Canaria und Co. haben den Massentourismus satt. Ihre Anliegen spiegeln in gewisser Weise auch jene der Südtiroler Bevölkerung wieder.
Massentourismus
Foto: Seehauserfoto
  • Sie forderten eine Obergrenze für Touristen sowie bezahlbares Wohnen: Über 50.000 Demonstranten gingen am vergangenen Samstag auf den Kanarischen Inseln Teneriffa, Gran Canaria, Lanzarote, Fuerteventura, El Hierro, La Gomera und La Palma auf die Straße. Protestiert wurde gegen den Massentourismus und die Preisexplosion auf dem Wohnungsmarkt. Problematiken, die dem ein oder anderen bekannt vorkommen könnten. Zwar ging aus genannten Gründen in Südtirol bis dato noch niemand auf die Straße, das Thema ist jedoch auch hierzulande ein heißes Eisen. Vor allem das leistbare Wohnen wird auch in Südtirol stark diskutiert. Als Mitverantwortlicher wird hierbei oft der Tourismus genannt. Konkret forderten die Kanarier, dass die Behörden die Vorschriften für die Vermietung von Urlauber-Unterkünften besser kontrollieren, den Kauf von Immobilien durch Personen ohne Wohnsitz auf den Inseln reglementieren sowie, dass eine Umweltsteuer für Touristen eingeführt wird.

  • Südtiroler Gehorsam

    Paolo Berloffa: Kein großer Fan des derzeitigen Tourismus in Südtirol. Foto: Privat

    Auf den Kanaren leben etwa 2,2 Millionen Menschen. Im vergangenen Jahr besuchten nach Angaben des italienischen Pressamtes ANSA circa 14 Millionen Touristen die Inseln. Südtirol hat etwas mehr als 500.000 Einwohner. Dieser Zahl standen 2023 der IDM zufolge gut 8,4 Millionen Gästeankünfte gegenüber. Mehr als die Hälfte der Kanaren bei weniger als einem Viertel der Einwohnerzahl. Die Tourismusgesinnung scheint zwar auch in Südtirol abzunehmen, Demonstrationen mit mehreren tausenden von Teilnehmern sind jedoch nicht absehbar. Oder vielleicht doch? Nein, meint Paolo Berloffa, Bozner Ex-Gemeinderat der Margherita: „Ich glaube, es ist aus politischer und anthropologischer Sicht nicht möglich. Hier gibt es viel mehr Kontrollen, das ist auf der einen Seite positiv und auf der anderen Seite negativ.“ Positiv sei Berloffa zufolge, dass es die Menschen in Südtirol gewohnt seien zu gehorchen und sich über den Tourismus und seine Vorteile bewusst seien, weshalb solches Unbehagen der Bevölkerung oft stärker gefiltert würde. Ein klassisches Beispiel hierfür sei der Bau des Brennerbasistunnels, bei dem es in anderen Teilen Italiens zu Demonstrationen kam. Hier verläuft hingegen alles ruhig. „Auf der anderen Seite, das ist das Negative, ist dieses System eines, das auch die Bevölkerung viel stärker kontrolliert und man daher versuchen kann, diese Protestinitiativen zu blockieren“, so Berloffa. In diesem Zusammenhang spricht er die Lobby des Tourismussektors an, die seiner Meinung nach eine sehr starke sei. „Es gibt Interessensvereinigungen, die gewisse Wirtschaftsgruppen zusammenfassen und dann gebündelt ihre Interessen vertreten.“ Das Problem sei schlichtweg, dass die Politik derzeit zu viel Druck erfahre und deshalb ihrer eigentlichen Tätigkeit, nämlich dem Finden von Kompromissen, nicht nachgehen könne. Es sei normal, dass verschiedene Gruppierungen ihre Interessen in die Politik einbringen wollen, es gelte dann jedoch, auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, so der Ex-Gemeinderat. 

     

    „Man sieht doch jetzt schon, dass der Sektor keine Mitarbeiter mehr findet.“

     

    Laut Berloffa könne es in Südtirol nur zu ähnlichen Protesten wie auf den Kanaren kommen, wenn sich die Bevölkerung in einer Zeit der Krise befindet und unter wirtschaftlichen Problemen leidet. Diese Entwicklung würde jedoch unabhängig vom Tourismus stattfinden. Wie Berloffa erklärt, würden bereits jetzt erste soziale Ungleichheiten sichtbar werden, so etwa die Wohnpreise, die schon aus dem Ruder laufen würden. Er ist davon überzeugt, dass die Abneigung gegenüber dem Tourismus weiter zunehmen wird, da er von vielen als Gegner der eigenen Interessen wahrgenommen wird. Für die Zukunft sieht er jedoch auch, dass der Tourismus stehen bleibt: „Man sieht doch jetzt schon, dass der Sektor keine Mitarbeiter mehr findet.“

  • Der Massentourismus: Ein weltweit diskutiertes Thema. Foto: (c) pixabay
  • „Haben ein gutes Regelkwerk“

    HGV-Direktor Raffael Mooswalder stimmt Berloffa zu. Auch er ist der Meinung, dass es in Südtirol nicht zu Protesten aufgrund des Tourismus kommen wird: „Wir haben jetzt ein gutes Regelwerk eingeführt. Wir sehen jetzt bereits, dass die Nächtigungen in den Hochsaisonen nicht mehr steigen, sondern gleich bleiben, wenn nicht sogar sinken.“ Wie er erklärt, gebe es in der Vermarktung bereits ein Umdenken: „Die IDM hat ihre Strategie geändert. Die Bewerbung der Hauptsaisonen wurde auf null gesetzt und bewirbt stattdessen die Nebensaisonen.“ Ein komplettes Aussetzen des Marketings der Region werde es jedoch nicht geben. 

     

    „Natürlich versuchen wir als zuständiger Branchen- und Fachverband, uns für die Interessen unserer Mitglieder auf allen Ebenen einzusetzen.“

     

    Der Tourismus könne nur funktionieren, wenn er von der Gesellschaft mitgetragen wird, deshalb sei alles daranzusetzen, die entsprechenden Maßnahmen zu treffen, damit es nicht so weit kommt wie auf den Kanarischen Inseln. Mooswalder erkennt einen Zusammenhang zwischen den beiden Destinationen: „Sowohl auf den Kanaren als auch in Südtirol macht sich der Wunsch der Bevölkerung nach Veränderung bemerkbar. Zumindest soll es kein Mehr an Tourismus geben.“ Eine weitere Gemeinsamkeit sei, dass beide Bevölkerungen mehr Vorschriften und Kontrollen für die Vermietung fordern. Vor allem eine bessere Reglementierung beim Kauf von Immobilien werde verlangt. Das kanarische Phänomen der Langzeitvermietung, das dort die Wohnungspreise enorm in die Höhe treibt, könne auch in Südtirol beobachtet werden. Stichwort Privatzimmervermietung und Airbnb. Mooswalder unterstreicht aber auch die Unterschiede zwischen den beiden Urlaubsgebieten: „Das Rückgrat des Südtiroler Tourismus sind die Klein- und Familienbetriebe. Auf den Kanaren werden viele private Strukturen vermietet. Außerdem gibt es dort sehr große Hotelanlagen. Überdimensionale Ressorts oder Ketten gibt es bei uns nicht.“ Auch der Fakt, dass auf den spanischen Inseln umstrittene Tourismusprojekte, die in Südtirol nicht umsetzbar wären, realisiert wurden, sei ein entscheidender Unterschied. Ein letzter springender Punkt sei, dass auf den Kanaren, trotz des starken Fremdenverkehrs, große Armut herrscht, von der in Südtirol nicht die Rede sein könne.

  • Raffael Mooswalder: Der Direktor des HGV sieht sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede zwischen Südtirol und den Kanaren. Foto: Seehauserfoto
  • Das Verhältnis zwischen Einwohnern und Touristen ist in Südtirol größer, trotzdem scheint der Unmut hier dem Tourismus gegenüber kleiner zu sein. Der HGV-Direktor erklärt sich dieses Phänomen folgendermaßen: „Wie ich es verstanden habe, konzentriert sich der Tourismus auf den besprochenen Inseln stark auf wenige Hotspots. In Südtirol ist die Verteilung der Gäste weit besser.“ Zudem seien die Touristen viel besser auf das ganze Jahr aufgeteilt. Die Lobbyarbeit des Sektors dementiert Mooswalder nicht: „Natürlich versuchen wir als zuständiger Branchen- und Fachverband, uns für die Interessen unserer Mitglieder auf allen Ebenen einzusetzen.“  Man hätte zwar beim Landestourismusentwicklungskonzept zum Beispiel gerne noch mehr die eigene Handschrift gelesen, die Politik habe aber sehr eigenständig agiert. Er merkt noch an, dass der Verband derzeit nicht in der Politik vertreten ist. Letztlich wiederholt er jedoch, dass Tourismus nur im Einklang mit der Bevölkerung funktionieren kann.

  • Wer ist schuld am Verkehr?

    Der Vekehr: Ein ständiges Thema in der Landeshauptstadt. Foto: Seehauserfoto

    Auch für übermäßigen Verkehr wird der Tourismus häufig verantwortlich gemacht. Die Landeshauptstadt Bozen ist ständiges Opfer dieser Thematik und Diskussion. „Der Tourismus allein ist hierfür nicht schuld“, meint Roland Buratti, Präsident des Verkehrsamts Bozen, „Bozen ist die Hauptstadt, die meisten Tagesbesucher kommen nicht aus touristischen Gründen, sondern aus arbeitstechnischen oder bürokratischen.“ Was den Tourismus in Bozen angeht, so findet ihn der Präsident angemessen. Es gebe natürlich Zeitpunkte, an denen sich die Stadt mehr füllt, wie in der Weihnachtsmarktsaison etwa, das Verhältnis zwischen Betten und Einwohnern sei aber absolut in Ordnung. In Bozen kommen auf ungefähr 110.000 Einwohner, 4.500 Gästebetten. Trotzdem verfolge das Verkehrsamt zwei Prinzipien: Erstens wolle man die durchschnittliche Aufenthaltsdauer, die aktuell bei 2,2 Nächten liegt, erhöhen und zweitens den Tourismus auf die Nebensaison ausweiten. Dies bestätigt auch die geschäftsführende Direktorin des Amtes, Roberta Agosti: „Unsere Arbeit muss dahin führen, dass wir auf Qualitätstourismus setzen.“ Gemeint sei damit, dass auf Gäste gesetzt werden muss, die Bozens Besonderheiten wie die Zweisprachigkeit, die mehreren Kulturen, Museen und so weiter erleben wollen und durch den längeren Aufenthalt besser kennenlernen. Dazu gehöre eben auch die Erweiterung der Aufenthaltsdauer. „Der Tourismus ist ein guter Wirtschaftsfaktor und stört nicht nur. Er bringt indirekte Benefits, die Lokale sind geöffnet, Veranstaltungen finden statt – er bringt Leben“, so Agosti. 

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Josef Fulterer Dom, 04/28/2024 - 06:38

Die Landesregierung stopft die IDM noch immer mit viel zu vielem öffentlichen Geld.
... und der Pinzger & CO. bezahlen die Mitarbeiter so schäbig, dass sie sich das Leben "in den angeblich wunderbaren, vom Tourismus geschaffenen Wirtschafts-Wunderländern nicht leisten können + sogar nicht selten außer Dienstzeit aus dem Haus gejagt werden.

Dom, 04/28/2024 - 06:38 Collegamento permanente