Schmierige Symptome
“Sammelbegriff für thematisch und gestalterisch unterschiedliche sichtbare Elemente, zum Beispiel Bilder, Schriftzüge oder Zeichen, die mit verschiedenen Techniken auf Oberflächen (…) im privaten und öffentlichen Raum erstellt wurden.” So werden “Graffiti” auf Wikipedia definiert. Für die einen Kunst, für die anderen Vandalismus – so klar ist die Grenze nicht immer zu ziehen. Bei den jüngst in Lana aufgetauchten Schriften ist die Sache allerdings glasklar. Mit Kunst haben die herzlich wenig zu tun. “Ich habe die Schriftzüge heute (gestern, Anm.d.Red.) an mehreren Orten entdeckt und gleich abfotografiert”, berichtet Ivo Passler. Der Lananer Sozialpädagoge hat die Bilder dann auf Facebook gestellt. Darauf zu sehen: Krakelige blaue Buchstaben, die die Wörter “Neger Huren” bilden. Kein Einzelfall. Und Anlass, Fragen zu stellen.
Unschöne Begegnungen in Lana. Fotos: Ivo Passler
Bereits Anfang Mai werden Eltern in Lana auf zwei Schriftzüge aufmerksam, die sich unter anderem an einem Schulgebäude befinden. Dieselbe Krakelschrift, dieselbe beschämende Botschaft, wie sie seither öfters im Dorf aufgetaucht ist. Gut sichtbar, an Stellen, an denen täglich viele Menschen vorbeikommen. Auch Passler hat davon gehört. “Mir wurde berichtet, dass es solche Schmierereien schon vor wenigen Wochen gegeben hat”, bestätigt er. Innerhalb kurzer Zeit seien die Schriftzüge aber wieder entfernt worden. Eigentlich gut so. Oder? Für Ivo Passler nicht unbedingt. Zu schnell greift für ihn in diesem Fall das Sprichwort “Aus den Augen, aus dem Sinn”.
Rassismus an der Wand.
Wie schnell vergessen wir?
“Rassismus ist real! Auch in Lana.” So betitelt der Lananer eine kleine Collage, die er aus den Fotos der Sprüche kreiert und auf Facebook postet. Dabei stellt er sich die Frage, wie mit Fremdenfeindlichkeit, die im 21. Jahrhundert in der Mitte der Gesellschaft angekommen zu sein scheint, und für die die Schmierereien “nur ein Symptom” seien, umgegangen wird. Und: (Wie) wird in diesem konkreten Fall der “Neger Huren” die Verbindung von Rassismus und Sexismus gelesen?
Schnell darüber pinseln ohne die Problematiken, die dahinterstecken zu thematisieren – “dadurch gelangen wir nicht an die Wurzeln der Sache”, meint Passler. Das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen in Österreich (“knapp 50 Prozent wählen eine fremdenfeindliche Partei”), das Wahlergebnis in Bozen (“Faschisten im Gemeinderat der Südtiroler Landeshauptstadt”), die jüngste Demonstration von Forza Italia und NPD (“NPD-Funktionäre, die ohne großen Widerspruch in Bozen aufmarschieren”) – für den Sozialpädagogen allesamt Beweise, dass Rassismus und demokratiefeindliches Gedankengut salonfähig geworden und breit verankert sind. “Auch in Südtirol”, ist Passler überzeugt.
Ivo Passlers Weckruf auf Facebook.
Als weiteres Beispiel fällt ihm eine Episode ein, die er vor zwei Jahren erlebt hat. In der Vitrine eines Geschäftes in Lana entdeckt er eine Schürze, auf der ein Schweinchen mit einem Vierer-Klee abgebildet war. Verziert mit dem Spruch “Arbeit macht frei”. Er erinnert sich: “Ich habe die Ladenbesitzerin darauf angesprochen und gefragt, ob ihr bewusst sei, dass sie Schürzen mit den Worten, die über Konzentrationslagern des Dritten Reichs prangten, verkauft”. Als Antwort habe er erhalten: “Ah, ja. Aber die Schürze kommt an, wir verkaufen sie gut.” Zwar sei besagte Schürze wenige Wochen später aus dem Sortiment genommen worden. Doch auch dieses Mal – “Aus den Augen, aus dem Sinn”?
“In Südtirol gibt es großen Nachholbedarf was die Aufarbeitung der NS-Zeit betrifft. Außerdem scheint es heute in manchen Fällen einfacher, sich als Faschist zu deklarieren denn sich als Anti-Faschist zu erklären”, stellt Passler für sich fest. Angesichts der traumatischen Geschichte, die Südtirol in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts durchlebt habe – “absolut bedenklich”.
Und das Gegenrezept?
Woran es in Südtirol fehle, sei ein Anti-Rassimus-Diskurs. Ebenso wie ein Rassismus-Monitoring oder eine Anlaufstelle für Betroffene. “Es braucht flächendeckende Präventionsarbeit, und das bedeutet in erster Linie Kultur-Brücken und Wertschätzung von kultureller Vielfalt. Rassismus und Kolonialismus sollten wirklich ent-tabuisiert werden. Und natürlich hat auch die Politik eine Mitverantwortung dabei, die Kultur des Anti-Rassismus zu etablieren”, fordert Passler. Gleichzeitig sieht er auch die Zivilgesellschaft in der Pflicht, wachsam zu sein: “Wir können uns nicht damit begnügen, dass nur die Spitzen des grassierenden Rassismus weggezwickt werden oder einfach drübergewischt wird”.
Und die Schmierereien in Lana, jener Gemeinde, in der seit mehreren Jahren das Thema “Zivilcourage” über Projekte und Initiativen lanciert wird? “Ich fände es schon super, wenn nun eine breite, humanistisch orientierte Werte-Debatte losgetreten würde.” Die Schriftzüge, die Passler abfotografiert hat, stehen an Wänden, an denen “schon morgen wieder viele viele Menschen vorbeigehen”. Darunter auch Mütter auf dem Weg zum Kindergarten. “Mal sehen, was mit den Wandsprüchen in den kommenden Tagen passiert.”
Anmerkung der Redaktion: Am Freitag (27. Mai) Morgen waren die am Vortag von Ivo Passler abgelichteten Schriften in Lana bereits übermalt worden.
In Südtirol bedarf es eine
In Südtirol bedarf es eine Aufarbeitung der Geschichte der ersten hälfte des 20. Jahrhundert. Kollaboration und Täterschaft der Bevölkerung während dieser Zeit wurde dank eines dienlichen Opfernarrativs für die deutsche Sprachminderheit verdrängt.
Aber dieser Kampf auf Nebenschauplätzen ist lächerlich. Das in der Südtiroler Gesesellschaft nicht aufgearbeitetem Rassimsus- und Faschismusproblem an einem (wahrscheinlich jugendlichen) rassistischen Spayer auszumachen ist doch fast schon wieder Ableknung.
Haber wir doch promineterere Anzeichen in Mitte unserer Gesellschaft, die nicht in nicht anonymisierter Form aufscheinen.
Der Zigeunersager eines Politikers einer Mainstreampartei der nicht zu einem Parteiausschluss führte sondern zu einem Polularitätsschub der sich in der zweithöchsten Vorzugsstimmenzahl in den nächsten Wahlen manifestierte.
Ein Vizebürgermeister der den Regimewechsel vom italienischen Faschismus zum deutschen Nazionalsozialismus als Befreiung beichnete.
Eine politisch aktive und öffentlichkeitswirksame Organisation wie der Südtiroler Schützenbund, der auf seiner Homepage eine Verlinkung eines Internetauftritts hatte mit deutschem und braun-deutschen Liedgut und dessen Mitglieder in der Nachkriegszeit auf Aufmärschen auf deren Uniformen Naziorden trugen und dies in unserer Gesellschaft keine Bedenken aufwirft, wenn diese sich als Antifaschisten gebären.
Mir kommt vor hier passiert analog das selbe wie es immer wieder passiert wenn man den Alkoholismus nicht als gesamtgesellschaftliches Problem auffasst und adressiert sondern an der Jungend festmachen will. So wie man hier an einem jugendlichen anonymen Sprayer das Thema aufziehen will, wenn es, wie man in Südtirol sagt, doch kapitalere Böcke zu schießen gäbe.
So viel Wind wegen ein Paar
So viel Wind wegen ein Paar Schmierereien die höchst Wahrscheinlich von dummen Kindern stammen.
Eines ist auf jeden Fall klar. Diese Jakobiner Haltung hat Hofer, den Rechtsextremismus und vor allen die Fremdenfeindlichkeit viel mehr unterstützt als geschadet, aber das will einfach nicht in den Köpfen von so manchen politisch orientierten "Studierten". Überhaupt bei Jugendlichen wäre es doch viel fruchttragender wenn man mit einer offenen Hand auf Sie zugeht, anstatt sie mit gehobenen Finger als Rechte oder sonst was abzustempeln.