Economia | Interview

“Wie eine aufgewärmte Suppe”

Die Tourismusreferentin von Abtei stellt sich gegen eine Ski-WM in ihrer Heimat. Eine solche Veranstaltung könne nie und nimmer nachhaltig sein, sagt Elide Mussner.
Elide Mussner
Foto: Privat

Es ist der Traum vieler im Grödner und im Gadertal: gemeinsam eine alpine Ski-WM austragen. Bestenfalls schon 2029. Die letzte und bisher einzige Südtiroler Ski-WM liegt mit Gröden 1970 mehr als 50 Jahre zurück. Elide Mussner hat einen anderen Traum. Die Tourismusreferentin der Gadertaler Gemeinde Abtei – sie war lange Zeit die rechte Hand von Michil Costa in seinem Hotelbetrieb in Corvara – hat diese Woche Nein zu einer Bewerbung für die Austragung der Ski-WM 2029 gesagt.

salto.bz: Frau Mussner, der Gemeinderat von Abtei hat sich am Dienstag mehrheitlich gegen die Ski-WM 2029 ausgesprochen. Worüber wurde genau abgestimmt?

Elide Mussner: Die Frage, die zur Abstimmung stand, war, ob man einverstanden ist, eine Kandidatur Alta Badia-Gröden für die Weltmeisterschaften 2029 zu unterstützen. Für diese Unterstützung hat es keine Mehrheit gegeben. Fünf Gemeinderäte haben dafür gestimmt, zehn dagegen, drei haben sich enthalten.

Eine der zehn Nein-Stimmen war Ihre. Jetzt hätte man sich von Ihnen als Tourismusreferentin erwarten können, dass Sie hinter der Austragung einer Ski-WM stehen. Warum lehnen Sie sie ab?

Das ist interessant: Man geht immer davon aus, dass ein Tourismusassessor oder eine Tourismusassessorin für das “immer Mehr” ist. Ich sage immer: Zuallererst bin ich von der Bevölkerung gewählt worden und vertrete sie, erst in einem zweiten Moment bin ich Tourismusassessorin. Meine Begeisterung für die WM war nicht da, weil ich sie für nicht zeitgemäß oder visionär erachte – das habe ich auch im Gemeinderat gesagt. Ich sehe sie eher wie eine aufgewärmte Suppe: Schon wieder spricht man über diese Weltmeisterschaften, schon wieder will man es damit versuchen – fast schon so, als wären sie die Lösung für all die Probleme, die wir im Tal haben. Was den Tourismus anbelangt, da müsste ich erst verstehen, wo der Mehrwert sein soll, wenn eine Weltmeisterschaft im Februar ausgetragen wird? Da ist bei uns Hochsaison. Und wir legen noch einen drauf?

Sobald man von Massen-Events redet, hört die Nachhaltigkeit auf

Gerade weil das Gadertal und Gröden Hochburgen des Wintertourismus sind und auch Bewerbe des Alpinen Ski-Weltcups austragen, hätte man davon ausgehen können, dass eine Ski-WM von allen mit offenen Armen empfangen wird. Nun stehen Sie nicht alleine mit Ihrer Meinung da, wie die Abstimmung im Gemeinderat gezeigt hat. Wurde im Vorfeld der Sitzung darüber diskutiert? Oder war es eine Ad-hoc-Entscheidung?

Ich habe mitgekriegt, dass viele jetzt kritisieren, es sei eine Entscheidung aus dem Bauch heraus gewesen. Dem war nicht so. Wir haben uns vorab sehr wohl damit auseinandergesetzt. Zugleich hatten wir wenig Zeit, weil die beiden Organisationskomitees Gröden und Alta Badia ziemlich Druck gemacht haben. Schon gleich am Anfang, als die Kandidatur ins Gespräch kam, hieß es, “wir brauchen eine Entscheidung” – zuerst hieß es Mitte, dann Ende Mai. Der Bürgermeister hat sich fast ein wenig gewehrt und gesagt, Moment, diese Entscheidung treffe ich jetzt nicht so schnell-schnell. Sondern er wollte eine Auseinandersetzung und Diskussion. Im Gemeindeausschuss haben wir natürlich ausführlich diskutiert, genauso in den jeweiligen Listen und jeder für sich persönlich. Und dann haben wir auch im Gemeinderat eine ziemlich lange – und ich muss sagen eine im Grunde sehr konstruktive – Diskussion geführt, bei der jedes Gemeinderatsmitglied offen und ehrlich die eigene Meinung vorgetragen hat. Letztendlich hat man gesehen, dass die Mehrheit einfach nicht dafür ist. Drei Gemeinderäte hätten sich auch ein Referendum gewünscht. Das wäre aber zeitlich nicht möglich.

Geht es in der Debatte nur um die Ski-WM? Oder nicht auch um die grundsätzliche Frage welchen Tourismus wollen, vertragen wir?

Ja, absolut. Wir sind an einem Punkt angelangt, wo Tourismus eine unglaubliche soziale Verantwortung trägt. Man kann nicht mehr über den Tourismus als isolierte Sparte denken, die für sich alleine entscheiden kann, was passiert. Denn alles, was im Tourismus passiert, hat Auswirkungen auf das Leben aller Menschen, die in dem betroffenen Ort wohnen. Umso mehr in Tourismus-Hochburgen. Deshalb: Wenn es um Tourismus geht, geht es um die Gesellschaft, um soziale Fragen, um die Umwelt, um die Mobilität, um Arbeitsplätze. Man kann sich nicht nur auf ein irgendein Event oder eine Marketingstrategie fokussieren, ohne all diese Aspekte mit einzubeziehen. Und das hat man genau an dieser Diskussion gesehen: Im Gemeinderat war Umwelt ein Thema, Bauspekulation, Bodenkonsum und Mobilität sowieso. Wir haben aktuell ein riesiges Mobilitätsproblem in unseren Tälern. Bevor man sich mit einer WM noch mehr Verkehr zumutet, muss man sich zuerst einmal überlegen, wie man dieses Problem angehen will. Das kann nicht die WM lösen.

Wir müssen mit mehr Qualität punkten – und das heißt nicht größere Zimmer oder größere Spa-Anlagen, sondern mehr Bewusstsein

Das Nein aus dem Gemeinderat von Abtei hat viele Sport- und Tourismusfunktionäre aufgeschreckt. Der Präsident des Weltcup-Organisationskomitee Alta Badia Andy Varallo meint: “Eine Kandidatur würde uns die Chance auf eine tolle sportliche Veranstaltung geben, aber noch mehr auf eine gesunde, umweltfreundliche Entwicklung.” Für die HGV-Gebietsobfrau im Gadertal und ehemalige Gemeinderätin von Abtei Marina Rubatscher Crazzolara ist die Bewerbung “auch eine Chance, sich als Organisatoren eines Green Event beweisen zu können”. Was sagen Sie dazu?

Damit bin ich absolut nicht einverstanden. Ja, es sind wunderbare Worte, schöne Ideale und Marketingstrategien, aber nicht reelle Überlegungen. So viel Erfahrung habe ich im Tourismus und auch mit nachhaltigem Tourismus, um sagen zu können: Sobald man von Massen-Events redet – und eine Ski-WM ist ein Massen-Event –, hört die Nachhaltigkeit auf. Natürlich kann man von einem Green Event sprechen, weil kein Plastik benutzt wird, weil alle eingesetzten Fahrzeuge elektrisch betrieben werden – ok, aber es bleibt ein Massen-Event. Dafür werden vielleicht Bäume gefällt – um Varianten der Skipisten zu schaffen –, wir müssen neue Lifte bauen, es kommen Unmengen an Autos… Man kann es schon “green” verpacken, aber man muss aufpassen, weil man schnell ins Greenwashing reinrutscht.

Ein Argument der WM-Befürworter ist, dass eben keine neuen Infrastrukturen errichtet werden müssten, sondern die vorhandenen genutzt werden könnten. Warum sprechen Sie von neuen Eingriffen?

Man sagt schon, es muss nichts mehr gebaut werden. Dabei hat es bei einem Treffen mit den OK-Vertretern geheißen, es braucht einen neuen Lift, ein Stadion im Zielraum, eventuell noch eine Variante der Gran-Risa-Piste. Was versteht man darunter? Ist eine Variante eine neue Piste oder nur eine Variante? Es war leider so, dass uns nicht die Informationen gegeben wurden, die wir uns gewünscht hätten. Wir haben öfters gesagt, dass wir schwarz auf weiß sehen möchten, was gebaut werden muss und was nicht. Man hat uns da keine klare Antwort gegeben. Also wenn jemand kommt und sagt, ich möchte ein Haus bauen und ich frage, wie hoch es ist, und kriege als Antwort “weiß ich nicht”, dann sage ich auch nicht Ja, bau halt mal, dann werden wir schon sehen, wie hoch es wird.

Man kann nicht mehr über den Tourismus als isolierte Sparte denken

Für die Teilnahme an der WM-Bewerbung braucht es das Ok der Gemeinde als Grundeigentümerin. War die Abstimmung vom Dienstag also keine symbolische, sondern ein definitives Nein? Oder kann am Gemeinderat vorbei trotzdem eine Kandidatur mitgetragen werden?

Ich stelle es mir schon ziemlich schwierig vor, dass das nochmals durchgedrückt wird – wenn eine so große Mehrheit dagegen gestimmt hat. Da geht es doch auch ein bisschen um Hausverstand: Wenn der Gemeinderat und damit die Bevölkerungsvertreter dagegen stimmen, heißt das, die Bevölkerung will das einfach nicht und das muss man irgendwann auch akzeptieren. Ansonsten erinnert es irgendwann an ein trotziges Kind: Ok, ihr habt zwar so entschieden, aber wir probieren es noch einmal.

Nun steht die Überlegung im Raum, dass Gröden die Bewerbung alleine in Angriff nimmt und die Ski-WM auch alleine austragen könnte.

Natürlich kann es Gröden alleine versuchen. Da müssen sie halt schauen, wie das geht. Ich weiß nicht, wie die Gemüter in St. Ulrich sind – ich kann mir vorstellen, ähnlich wie in Abtei. Und Gröden ohne St. Ulrich wird ein bisschen schwierig sein. Wir haben ja lange überlegt… Persönlich sehe ich schon auch Vorteile und könnte sagen, perfekt, wir bewerben uns, bekommen all die Millionen und bauen die Infrastrukturen, die wir brauchen – aber man muss immer abwägen, wie viel wiegt das Pro und wie viel das Contra. Und ich glaube, St. Ulrich ist in einer ähnlichen Situation.

Zuallererst bin ich von der Bevölkerung gewählt worden und vertrete sie, erst in einem zweiten Moment bin ich Tourismusassessorin

Welche Vision haben Sie für Abtei, das Gadertal, die ladinischen Täler und Südtirol insgesamt? In welche Richtung muss, soll, darf der Tourismus gehen?

Man hört es zwar oft, aber es ist wirklich so: Wir müssen uns des Wertes der Dolomiten und des Tourismus, der eigentlich schon so gut funktioniert, bewusst werden. Wir müssen lernen, das selbst wertzuschätzen und dem Wert zu geben. Das heißt, wir müssen mit mehr Qualität punkten. Und mehr Qualität heißt nicht größere Zimmer oder größere Spa-Anlagen. Qualität heißt mehr Bewusstsein, für die Dolomitentäler, aber generell auch für Südtirol: Weg von der Masse, Richtung Nische. In diesem Sinne müssen wir auch bei den Preisen aufpassen: Ich bin überzeugt, sie müssten höher sein. Wir können unsere Heimat nicht ausverkaufen. Mittwoch Abend haben wir es von Heiner Oberrauch bei seiner Antrittsrede als neuer Präsident des Unternehmerverbandes gehört: Es muss nicht immer mehr werden, es muss besser werden. Und das vor allem auch im Tourismus. Wenn wir Tourismus haben, muss es guter Tourismus sein. Wenig, aber gut.

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ulrike Frenademez Sab, 05/29/2021 - 21:28

Ich bin vollkommen einverstanden mit elide mussners aussagen. Ein massen event im winter in alta badia braucht es nun wirklich nicht, um die lebensqualität der einheimischen zu verbessern und um noch mehr touristen ins tal zu locken.

Sab, 05/29/2021 - 21:28 Collegamento permanente
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Albert Willeit Ven, 06/04/2021 - 07:55

Weise Worte von Frau Elide Mussner! Kompliment! Der Heimatpflegeverband Bezirk Pustertal ist höchst erfreut und gratuliert zu dieser zukunftsträchtigen Entscheidung, welche die Promotoren der WM-Bewerbung respektieren sollten. Ein großes Dankeschön an Frau Mussner und die weiteren Gemeinderäte.

Ven, 06/04/2021 - 07:55 Collegamento permanente