Politica | Land & Raum

Gesetz mit Grenzen

Für Richard Theiner rückt die Umsetzung seines größten politischen Vorhabens näher. Für die Grünen ist der Gesetzentwurf für Raum und Landschaft “ein Zwitter”.
Richard Theiner
Foto: Salto.bz

Es soll Richard Theiners Sternstunde werden. “Ich bin mir der großen Herausforderung und der Tatsache bewusst, dass uns noch viele Diskussionen zu diesem Gesetzentwurf bevorstehen werden.” Mit diesen Worten zog der Landesrat im Juli 2016 zur Halbzeit der Amtsdauer der Landesregierung Zwischenbilanz. Das größte Vorhaben Theiners: das neue Landesgesetz für Raum und Landschaft.
Ein Jahr später als im Sommer 2016 angekündigt, hat der Gesetzentwurf am gestrigen Donnerstag eine der letzten Hürden genommen. Die Landesregierung hat den 104 Artikel starken Entwurf genehmigt. Nun geht das Dokument an den Landtag, wo es “im Frühjahr” verabschiedet werden soll, wie der Landesrat am Donnerstag verkündet. Doch das über 100 Seiten starke Papier wirft bereits jetzt seinen Schatten voraus.
Es sind die Grünen, die sich nach dem Ja der Landesregierung als erste politische Kraft im Landtag zu Wort melden: “Der neue Gesetzentwurf zur Raumordnung ist ein Zwitter.”

 

Sparen ist angesagt

Warum es ein neues Landesgesetz Raum und Landschaft braucht, liegt auf der Hand: Die derzeit geltenden beiden Gesetze für Raumordnung und Landschaftsschutz stammen aus den frühen 1970er Jahren. Seither haben sich das Land und die Gesellschaft stark verändert: über 100.000 Einwohner mehr, die Anzahl der Familien hat sich auf 220.000 verdoppelt. “Aus einem wirtschaftlichen Entwicklungsland ist ein Vorzeigeland geworden, der Tourismus boomt (und hat mancherorts die Grenze des Zumutbaren überschritten, die Infrastruktur ist auf dem neuesten Stand.” So fasst es Theiners Ressort auf einem fünfseitigen Papier zusammen, das die Eckpunkte des Gesetzentwurfes festhält.

Doch für den wirtschaftlichen Aufschwung hat Südtirol einen Preis bezahlt: Aufgrund der enormen Bautätigkeit ist heute ein Drittel der Fläche, die zur Besiedelung geeignet ist – es handelt sich dabei ohnehin nur um 5,5 Prozent der Landesfläche – bereits verbraucht. “Unsere Aufgabe ist es daher, sehr sparsam mit den verbleibenden zwei Dritteln umzugehen, denn würde diese Entwicklung ungebremst weitergehen, bliebe künftigen Generationen kaum noch Platz, um sich zu entwickeln”, erklärt Landesrat Theiner die Absicht hinter dem neuen Gesetz Raum und Landschaft, das, wie der Name verrät, die Bestimmungen der beiden Gesetze zu Raumordnung und Landschaftsschutz vereinen wird.

 

Mehr Kompetenzen und Verantwortung für Gemeinden

Eines der erklärten obersten Ziele des Gesetzentwurfes ist entsprechend: Eindämmung von Flächenverbrauch und Zersiedelung. Eine bedeutende Rolle bei der Umsetzung dieser Vorgabe sollen künftig die 116 Gemeinden im Land spielen. “Wie ein roter Faden zieht sich die Aufwertung der Gemeinden durch den Gesetzentwurf”, fasst Theiner zusammen.
Die Gemeinden sollen bei der Siedlungsentwicklung mehr planen können, dafür werden ihnen einige neue Instrumente in die Hand gelegt: So sollen es in Zukunft die Gemeinden sein, die Siedlungsgrenzen in ihrem Gemeindegebiet festlegen.

Neues Bauland kann nur innerhalb der Siedlungsgrenzen ausgewiesen werden – mit Ausnahme von Gewerbe- oder Sondernutzungsgebieten wie Kläranlagen, Schotterwerken oder Skigebieten, die laut Theiner “aus nachvollziehbaren Gründen nicht in der Nähe von Wohngebieten ausgewiesen werden können”. Außerhalb der von den Gemeinden festgelegten Siedlungsgrenzen bestimmt das Land, Bauen soll dort “zur Ausnahme für wenige, klar definierte Fälle” werden, verspricht der Landesrat. “Grundsätzlich gilt: Neuen Flächenverbrauch außerhalb der Siedlungsgrenzen wird es nur dann geben, wenn es keine ökologisch und ökonomisch vernünftige Alternativen dazu gibt.”

 

Für die Bürger

“Innen flexibel, außen penibel”, so resümmiert Theiner die Ausrichtung der neuen Siedlungspolitik: “Innerhalb der Siedlungsgrenze liegt der Fokus auf dem Nutzen, außerhalb auf dem Schützen.” Dadurch soll auch der Trend der letzten Jahre, in denen nirgendwo so intensiv gebaut wurde wie im landwirtschaftlichen Grün, gestoppt werden.

Noch einen weiteren Vorteil habe die Abgrenzung des Siedlungsgebietes, meint Theiner: "Innerhalb werden die bürokratischen Hürden niedriger, Verfahren schlanker, Genehmigungszeiten kürzer. So kann die Zuweisung von Gewerbebauland wesentlich verkürzt, Baurechtstitel dem Umfang der Arbeiten angepasst werden. Darüber hinaus werden die Verfahren bürgernäher, etwa durch die Einrichtung einer Servicestelle für Bau- und Landschaftsangelegenheiten in allen Gemeinden, durch die Einführung des Baugespräches, in dem der Bauherr sein Projekt der zuständigen Kommission vorstellen könne, oder durch das Recht, mit ihr einen Lokalaugenschein durchzuführen.” Neben neuen Baurechtstiteln, die dem Prinzip “je größer der Eingriff, desto größer die sozialen Folgen, desto größer daher der Prüf- und Genehmigungsaufwand” folgen sollen, wird erstmals eine landesweit einheitliche Bauordnung eingeführt, ausgearbeitet gemeinsam mit dem Gemeindenverband.
Derzeit regeln die Gemeinden Vorgaben etwa zu Kubaturberechnung oder Bauabständen ganz verschieden. Solche unterschiedlichen Regelungen wird es nicht mehr geben.

Das zweite große Anliegen des neuen Gesetzes Raum und Landschaft ist neben geschlossenen Siedlungsräumen das leistbare Wohnen. Verschiedene Maßnahmen finden sich dazu im Gesetzentwurf. Als wichtigste nennt Landesrat Theiner die Preisdeckelung. Mit diesem Instrument können Gemeinden künftig Bauland ausweisen und dabei festlegen, “dass ein Teil des neuen Wohnraumes zu festgeschriebenen Preisen verkauft oder vermietet werden muss”, führt Theiner aus. “Schon vor der Ausweisung steht also fest, dass die entstehenden Wohnungen zu sozial verträglichen Preisen zu haben sein werden.”

 

Landschaft gefährdet, Lobby-Interessen geschützt?

Soweit die Darstellungen des Landesrates – für die er nicht zum ersten Mal Kritik erntet. In den vier Jahren, in denen am Gesetzentwurf Raum und Landschaft gebastelt wurde, haben vor allem die Umweltvereine bemängelt, dass kein wirklicher Partizipationsprozess in Gang gesetzt worden sei und der Landschafts- und Umweltschutz zu kurz komme. “Wir teilen diese Kritik”, vermelden die Grünen Landtagsabgeordneten. Die Entstehung des nun genehmigten Gesetzentwurfes sei “kein Beispiel für gelingende Partizipation, sondern weit mehr für gelingendes Lobbying”.

“Wir gestehen Landesrat Theiner zwar die gute Absicht zu, mit diesem Gesetz ein bleibendes Vermächtnis seiner Amtszeit zu hinterlassen”, meinen Brigitte Foppa, Hans Heiss und Riccardo Dello Sbarba, “müssen jedoch aus mehrerer Sicht Kritik vorbringen”. Sie bezeichnen den Gesetzentwurf als “Zwitter”: Einerseits fänden sich “begrüßenswerte Grundsätze wie Einschränkung des Bodenverbrauchs, Einführung einer Siedlungsgrenze und mehr Fachkompetenz in den Gremien” darin. Andererseits aber auch “sorgsam konstrurierte, ja kuriose Ausnahmen, die von der Feinarbeit der Lobbies künden”.

Unterm Strich befürchten die Grünen, dass das neue Gesetz zu einer Steigerung des Bodenverbrauchs führen wird, “entgegen der Versprechungen der Landesregierung”. Denn so sollen etwa Maßnahmen wie Versiegelung, Erschließung und Bebauung für die landwirtschaftliche Produktion nicht als Bodenverbrauch gelten. Und dass Flächenverbrauch aus wirtschaftlichen Gründen erlaubt sein soll, kommentieren die Grünen: “Das heißt also immer.” Auch sehen Foppa, Heiss und Dello Sbarba kritisch, “dass der Bereich Natur und Ökologie kaum Niederschlag im Gesetz findet” – “es scheint so, als habe die Landschaft immer wieder das Nachsehen hinter Wirtschafts- und Landwirtschaftsinteressen”. Deren Mitwirken am Gesetzentwurf sei “jene Partizipation in Südtirol, die wirklich funktioniert”, protestieren die Grünen. Sie selbst wollen sich “bemühen, im Landtag jene öffentliche Auseinandersetzung zu führen, die dieses zentrale Gesetz wirklich bedarf”.

Gelegenheit dazu wird es ab kommendem Jahr geben. Zunächst wird sich die zuständige II. Gesetzgebungskommission mit dem Gesetzentwurf Raum und Landschaft beschäftigen. Auch Anhörungen sollen stattfinden, kündigt Richard Theiner an. “Voraussichtlich im Frühjahr”, so der Landesrat, wird dann der Landtag mit dem Gesetz befasst, das dann mit 1. Jänner 2019 in Kraft treten soll.