Politica | Türkei und NATO

Trügerischer Handel

Lässt sich Erdogan nur mit einigen F-16 abfinden? Womit hat die NATO tatsächlich die Zustimmung der Türkei zur Aufnahme Finnlands und Schwedens in die Allianz erkauft?
Avvertenza: Questo contributo rispecchia l’opinione personale dell’autore e non necessariamente quella della redazione di SALTO.

Seit Jahren terrorisiert die Türkei die Kurden nicht nur im Innern, sondern auch in Nordirak und Nordsyrien. Permanente Luftangriffe auf kurdische Lager im Nordirak (auch auf die Jesiden in Sinjar), der Einmarsch in syrischen Afrin 2018, der Überfall auf das autonome Rojava in Nordsyrien, wo die Türkei heute noch einen 30 km tiefen Streifen völkerrechtswidrig besetzt hält. Sie hat dort nicht nur die angestammte Bevölkerung vertrieben und syrische Extremisten angesiedelt, sondern fördert auch die Neuformierung des IS, der in Rojava Anschläge verübt. Jetzt verdichten sich die Anzeichen und Drohungen des Erdogan-Regimes eines neuen direkten Angriffs auf die Föderation Nordsyrien. Doch hat kein NATO-Mitglied diese Kriegsverbrechen vor die UNO gebracht. Waren die bisherigen türkischen Angriffe gar die Blaupause für den russischen Überfall lauf die Ukraine, wie Wolfgang Mayr auf Voices schreibt?

Auf diesem Hintergrund ist der heutige NATO-Gipfel in Madrid ein Tag großer Skepsis und Sorge für die Kurden in Syrien. Die demokratischen Parteien Rojavas haben sich gegen die übliche Verunglimpfung durch Erdogan gewehrt und Schweden und Finnland vor rechtswidrigen Zugeständnissen an die Türkei gewarnt. Die Kurdenparteien verlangen ganz zu Recht mehr Konsequenz der NATO: wenn seit dem 24.2. der Überfall des Putin-Regimes auf die Ukraine mit (fast) allen Mitteln bekämpft wird, muss dieselbe Art der Verletzung des Völkerrechts und der territorialen Integrität eines Nachbarstaats auch für die NATO selbst gelten.

Doch lässt das beharrliche Schweigen der NATO-Partner zur Bedrohung der Kurden durch Erdogan größte Sorgen aufkommen. 2018 und 2019 hatte Europa nicht nur die türkische Invasion in Nordsyrien nur verbal lau kritisiert, sondern auch munter weiter mit Waffen beliefert. Da das Gewicht der Rolle der Türkei an der Südflanke der NATO im Zuge des russischen Angriffs auf die Ukraine gewachsen ist, wird sich die NATO heute umso mehr opportunistisch verhalten. Meist nennen die Regierungschefs dieses Verhalten „strategisch“. Doch zumindest von den USA, die in Truppen ein kleines Truppenkontingent stationiert haben, wäre ein klares Signal Richtung Ankara zu erwarten.

Auf dem Spiel steht vor allem das Schicksal von 4,5 Millionen Menschen im autonomen Rojava und die Freiheit und Sicherheit der Kurden allgemein, wie auch die GfbV heute betont. Auf dem Spiel steht auch die Glaubwürdigkeit der NATO als Allianz, die die demokratische Welt verteidigt, und schließlich steht die Völkerrechtsordnung selbst auf dem Spiel. Wenn die NATO während eines laufenden Angriffs auf die Ukraine den türkischen Staatsterror gegen die Nachbarn unwidersprochen zulässt, hat sie ihre eigene Legitimation untergraben.