Lieber Alex
Lieber Alex,
du weißt gar nicht, wie sehr du mir fehlst, wie sehr ich deinen Humor vermisse. „Heute haben meine Beine nicht gewollt“, hast du augenzwinkernd gesagt, nachdem du erfolgreich die Maratona dles Dolomites absolviert hattest – 138 Kilometer und 4.200 Höhenmeter, die du allein mit Hilfe deiner Arme bewältigt hast. Du warst umgeben von Leuten, die dir zujubelten, dich hochleben ließen, Selfies mit dir machten, und du hast es zugelassen, hast mit deinem Lächeln und deinen Worten auch all jenen Mut gemacht, denen es zwar nicht an den Beinen fehlt, dafür aber an all dem, was dich so unverwechselbar macht – enorme Willenskraft, psychologische Stärke, Selbstvertrauen.
Dein Leben hing an einem seidenen Faden, doch schon damals muss das Dutzend Schutzengel, das um dein Krankenbett schwirrte, über deinen Lebenswillen gestaunt haben.
Viele Menschen wissen heute vielleicht gar nicht mehr, was im Jahr 2001 auf dem Lausitzring geschehen ist, als du nach einem Unfall bei einem Autorennen beinahe verblutet wärest. Du hattest bereits die letzte Ölung erhalten, lagst vier Tage im künstlichen Koma, wurdest 15 Mal operiert. Dein Leben hing an einem seidenen Faden, doch schon damals muss das Dutzend Schutzengel, das um dein Krankenbett schwirrte, über deinen Lebenswillen gestaunt haben. Trotz zwei amputierter Beine machtest du mit den Autorennen weiter – und gewannst. Es gelang dir, den schwierigsten, schmerzhaftesten Moment deines Lebens in eine Chance zu verwandeln. Du warst ungekrönter Weltmeister in der Kategorie „Leben“. Denn du bist nun mal kein Mensch, der außen vor bleiben will. Du hast wieder richtig Besitz ergriffen von deinem Leben, hast es in die eigenen Hände genommen, nicht als passiver Zuschauer, sondern als quicklebendiger Protagonist. Erst im Rennwagen, dann auf dem Handbike. Hast WM-Titel gewinnen, paraolympische Medaillen, warst immer unter den Besten.
Du fehlst mir, Alex. Gleich nach deinem zweiten, dramatischen Unfall vor eineinhalb Jahren zwischen Pienza und San Quirico im Val d’Orcia, wo auch ich zufälligerweise viel Zeit verbringe, habe ich dir einen Blumenstrauß vorbeigebracht und dir einen Brief geschrieben. Dieser furchtbare Zusammenstoß mit dem Lastwagen, die rasende Fahrt ins Krankenhaus, dein erneuter Kampf zwischen Leben und Tod, immer wieder muss ich daran denken. Natürlich konntest du meinen Brief nicht lesen und auch die Blumen nicht sehen, doch ich bin sicher, dass du mit deiner großen Sensibilität ihre Präsenz wahrgenommen hast und vor allem die Botschaft, die dahintersteckte. Und ja, es ist ein Lächeln von dir zurückgekommen, das habe ich ganz deutlich gespürt.
Du hast eine Mission auf dieser Erde. Du hast Botschaften zu überbringen, verkörperst auf ideale Weise das kostbarste Gute, das wir haben – das Leben
Lieber Alex, deine Hartnäckigkeit und Ausdauer berühren mich zutiefst. Du bist ein ganz besonderer Mensch, bist wie eine Pflanze, der man einen Zweig abschneidet und noch einen, und die sich jedes Mal davon erholt und einfach weiterwächst. Und trotzdem: Was du mitmachen musst, erscheint mir zugleich auch furchtbar ungerecht.
Doch die Welt braucht dich, Alex! Du hast eine Mission auf dieser Erde. Du hast Botschaften zu überbringen, verkörperst auf ideale Weise das kostbarste Gute, das wir haben – das Leben. Ich wünsche mir, dass du mit deinem mitreißenden Enthusiasmus auch weiterhin Menschen beflügelst, die sich in einer ähnlichen Situation befinden wie du, oder die sich einsam fühlen oder unterdrückt, die das Gefühl haben, dass die ganze Welt gegen sie ist. Und die vielleicht doch nur ein gutes Wort von jemandem brauchen, der mehr, ungleich viel mehr erlitten hat als sie selbst.
Du musst in unsere Mitte zurückkehren, Alex, denn du bist etwas Wunderbares. Ein Lichtstrahl, der jeden illuminiert und aufrichtet, der das Glück hat, dir auch nur einen Augenblick lang zu begegnen. Jetzt bist du nach langer Zeit im Krankenhaus endlich wieder zuhause, bei deiner Frau Daniela und deinem Sohn Niccolò, und darüber freue ich mich bereits ganz außerordentlich.
Ich möchte dich umarmen, lieber Alex, möchte dich wieder mit deinem unverwechselbaren Akzent reden hören. Bitte, Alex, bring mich wieder zum Lachen, mache einen besseren Menschen aus mir. Und glaub mir: Trotz allem, was auf unserer Erde schief läuft, trotz der ganzen Umweltproblematik, der schlechten Menschen, den vielen hässlichen Dingen und diesem Virus, der übrigens keine Strafe Gottes ist: Diese Welt und dieses Leben haben dir noch unendlich viel zu geben! Auf was du dich nicht alles freuen kannst! Auf enorme Zuneigung, auf das Lächeln deiner Lieben und ganz Bolognas, auf Dolomiten, Tortellini und Knödel, auf die Musik von Tom Waits, einem Poeten wie du einer bist, und auf meine Umarmung, was für einen Wert sie auch immer haben mag.
2022 wird ein gutes Jahr. Jetzt, wo ich weiß, dass du es schaffen wirst, wird es sogar ein sehr gutes Jahr. Ich hab dich gern, Alex. Bis bald.
Michil Costa
Ein schöner Text für eine
Ein schöner Text für eine große Persönlichkeit - Danke für beides.
Sehr schön und feinfühlig.
Sehr schön und feinfühlig. Wollen wir hoffen, dass Herr Zanardi es schafft.
Sehr schön und feinfühlig.
Sehr schön und feinfühlig. Wollen wir hoffen, dass Herr Zanardi es schafft.