Für eine Welt ohne Atomwaffen
Wohl viele von uns haben vergessen, welche Gefahr die 27.000 aus dem Kalten Krieg verbliebenen und auch später noch entwickelten Atomwaffen für Frieden und die Sicherheit darstellen. Einige werden sich zur Behauptung versteigen – und die sitzen an den Schalthebeln der Macht in den Atomwaffenstaaten – dass diese Waffen den Frieden durch Abschreckung sichern. Doch vor einer Woche ist die Menschheit auf dem Weg zum Verbot dieser Waffen einen wichtigen Schritt weiter. Gestützt auf eine möglichst breite Basis an Unterstützern, von den Gewerkschaften über Religionsgemeinschaften bis zu humanitären Institutionen, hat die ICAN (Internationale Kampagne zur Abschaffung der Atomwaffen) das Inkrafttreten des Atomwaffenverbotsvertrag verkündet. 2007 von der IPPNW (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs) und anderen Organisationen gegründet, hat die ICAN heute mindestens 470 Mitgliedsorganisationen in 101 Ländern. Für ihren Einsatz für die weltweite und komplette Abschaffung der Atomwaffen ist die ICAN 2017 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden.
Den größten politischen Durchbruch erzielte die ICAN am 7. Juli 2017. 122 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen stimmten für den Vertrag zum völkerrechtlichen Verbot von Atomwaffen, nicht zu verwechseln mit dem Atomwaffensperrvertrag. Während die Schweiz und Österreich als neutrale Länder für den Vertrag stimmten, nahmen Deutschland und Italien an den Verhandlungen gar nicht teil, weil sie sog. „Staaten der nuklearen Teilhabe“ im Rahmen der NATO sind. Wir leben unter einem nuklearen Schutzschild, würde die Regierung in Rom sagen, und könnten nur damit atomarer Bedrohung begegnen. Die Mehrheit der Staaten will aber eine Welt ohne Atomwaffen. Blickt man auf die Weltkarte der Unterstützer, wird klar: der globale Süden ist fast geschlossen dafür, mit Ausnahme der beiden Atommächte Indien und Pakistan. Auf der anderen Seit sind die fünf historischen Atommächte dagegen, aber auch jene Staaten, die Teil einer nuklearen Allianz bilden, also die NATO.
Der Atomwaffensperrvertrag ist 1967 von den historischen Atommächten selbst initiiert worden und mit 191 Vertragsstaaten (2015) haben ihn fast alle UN-Mitgliedsstaaten unterzeichnet. Darin verpflichten sich die Unterzeichner, einen „Vertrag zur allgemeinen und vollständigen Abrüstung unter strenger und wirksamer internationaler Kontrolle“ anzustreben. Also genau das, was der heutige Atomwaffenverbotsvertrag bezweckt. Es gibt also seit über 50 Jahren eine bindende Verpflichtung zur vollständigen nuklearen Abrüstung, doch hüten sich heute die Atommächte, dieser Pflicht konkret nachzukommen und ihr Atomarsenal zu verschrotten. Im Gegenteil: einer der wichtigsten Abrüstungsverträge überhaupt, der Washingtoner Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme INF vom 1. Juni 1988 ist seit 2007 zuerst von Russland, dann von den USA in Frage gestellt worden. Weil mehrere neue Atommächte wie Israel, Nordkorea, Indien, Pakistan über Mittelstreckenraketen mit Atomsprengköpfen verfügen, sagt Russland. Der eigentliche Grund war aber wohl die Stationierung des europäischen Raketenabwehrprogramms, das die alten russischen Mittelstreckenraketen unwirksam macht und die gegenseitige Abschreckung unterminiert. Russland wurde verdächtigt, vertragswidrig neue Raketen zu entwickeln und zu stationieren. Nachdem die NATO 2019 festgestellt hatte, dass Russland den INF-Vertrag breche, erklärten die USA am 1. Februar 2019 ihren Austritt. Es entstand im Grunde dieselbe Konfliktlage wie vor 40 Jahren beim Protest der Friedensbewegung gegen die Mittelstreckenraketen in Europa: die NATO will aufrüsten, um Russland zur Abrüstung zu zwingen. Nun hat US-Präsident Biden den Austritt der USA rückgängig gemacht und den INF-Vertrag verlängert.
Fazit: die ICAN ist nach der Ratifizierung des Atomwaffenverbotsvertrags noch lange nicht am Ziel. Die immer noch atomwaffenstrotzenden Atommächte denken nicht daran, diese verheerendste Waffengattung aller Zeiten außer Hand zu geben, sondern arbeiten eifrig an ihrer Modernisierung und Erweiterung, z.B. für ihren Einsatz im Weltraum. In Zeiten des Klimawandels und der enorm hohen Kosten des Klimaschutzes finden diese Staaten, mit Unterstützung der europäischen NATO-Partner, die Mittel für die Aufrüstung statt gemeinsam abzurüsten. Widerstand ist immer noch angesagt. So fordert z.B. Azione Nonviolenta, dass Italien das weltweite Atomwaffenverbot unterstützt und aktiv für die Entfernung aller Atomwaffen von seinem Staatsgebiet eintritt.