Gesellschaft | Gastbeitrag

Der Journalist des Konzils

Zum Tod des trentinischen Rebellen Don Vittorio Cristelli. Ein Nachruf von Florian Kronbichler.
Vittorio Cristelli
Foto: FNSI
  • Was für ein Priester! Was für ein Journalist! Das ruhmreiche Wallstreet-Journal hat eine Weile mit dem Spruch geworben: „In all things first, in many alone“ – in allem erster und oft allein. Der Trentiner Priester und Journalist Vittorio Cristelli vermochte solchem Ehrgeiz zwar zeitlebens nicht zu genügen, aber seinen Tod richtete er so ein, als hätte er ihn. Er starb letzten Mittwoch so rechtzeitig früh am Morgen, dass seine „Vita Trentina“, die Wochenzeitung der Diözese, die Nachricht vom Tod samt allerhand ehrenden Nachrufen noch zum Redaktionsschluss ins Hausblatt brachte und damit sogar die Tageszeitungen löcherte. Soviel zum Beweis des „Sinns für die Notiz“ des Verstorbenen.   

    Don Vittorio Cristelli war 93 Jahre alt geworden. Diesen Freitag wurde er in seinem Heimatort Miola di Pinè, einem kleinen Nest am Hochplateau östlich von Trient, begraben. Der immer fleißige Begräbnisgänger Marco Boato beanstandete am Friedhof, „das Begräbnis für Don Vittorio hätte in den Dom zu Trient gehört“. Der rotgrüne, kirchennahe Multiparlamentarier wollte damit die überörtliche Bedeutung des Verstorbenen anmahnen. Der 1930 als Kind einer ausgewanderten Bergwerksarbeiterfamilie in Belgien geborene Cristelli war in der Tat eine prägende Gestalt sowohl der Seelsorge als auch des Journalismus des gesamten Trentinos. „Der Priester“ und wahlweise „der Journalist des Konzils“ wurde er geheißen. Er war eine Ausnahme-Gestalt, sowohl was sein Äußeres betraf als auch die Inhalte, für die er stand.

    Vittorio Cristelli, der schon Philosophie studiert hatte, Ethikprofessor in Trient war und einige Jahre lang als Kooperator im Bozner Stadtviertel Oberau wirkte, wurde 1967 von Erzbischof Alessandro Maria Gottardi zum Chefredakteur des Diözesanblattes „Vita trentina“ bestellt. Ein Konzilsbischof vertraute damit die Stimme seiner Kirche einem überzeugten Konzilsjournalisten an. Die End-60er Jahre waren bewegte Zeiten gerade in Trient. Die hier erst damals gegründete Soziologie-Fakultät war zusammen mit der Universität Pisa die Brutstatt der sogenannten 68er-Studentenbewegung. Bischof Gottardis konzilseuphorisierte Trientner Kirche, so wie übrigens auch der damalige Trentiner Landeshauptmann Bruno Kessler, scheute nicht den Dialog mit den Revoluzzern am Domplatz. Vittorio Cristellis „Vita Trentina“ wurde zu einem offenen Blatt, offen für Dialog auch der kirchenkritischen Gesellschaft gegenüber. Cristelli stellte junge Journalisten ein, die im Lauf der Jahre alle in größeren Medien Karriere machten. Er achtete dabei weniger auf kirchliche Linientreue als auf Engagement und schreiberische Qualität. Und wie es sich gehört für den Chef, ging er in beidem mit gutem Beispiel voran. Seine mit „Civi“ (für Cristelli Vittorio) gezeichneten Leitartikel waren mitunter politische Brandsätze.

  • Vittorio Cristelli: Diesen Freitag wurde er in seinem Heimatort Miola di Pinè, einem kleinen Nest am Hochplateau östlich von Trient, begraben. Foto: Ordine dei Giornalisti
  • Unvermeidlich, dass es zu Konflikten mit einem Teil des Klerus und der doch großteils konservativen Mehrheit des Trentiner Kirchenvolks kam. Bischof Gottardi aber ließ gewähren und hielt bis zu seiner Abdankung 1987 seinem theologisch wie pastoral progressiven, wenn nicht unkonventionellen Chefredakteur die Stange. Das waren lange 20 Jahre. Gottardis Nachfolger Giovanni Maria Sartori war von weniger Konzilsgeist beseelt und schon mehr dem restaurativen Polenpapst Johannes Paul II. zugeneigt. Er setzte Cristelli ab, den Provokateur, als welchen er ihn befand. Das war 1989. Die Redaktion trat in den Streik. Aufgebrachte Vita-trentina-Leser zogen im Protestzug vor den Bischofspalast. Am Domplatz bezog eine Gruppe ein „Zelt des Widerstands“ und biwakierte hier. 

    Don Cristelli hatte nur ein Amt verloren, nicht jedoch seine Mission. Er schrieb weiter. In anderen Zeitungen, und als einfacher Gastautor gelegentlich auch in „seiner“ natürlich domestizierten Vita trentina. Dem Rebellen „das Maul“ zu verbieten, traute sich die wieder konformistischer gewordene Trentiner Kirche nicht. Dafür war er zu bekannt und für seine klare Aussprache für Soziales, den Frieden und ganz allgemein die Schwachen zu geschätzt.

     Das derbe Wort vom „Maul verbieten“ sei erlaubt, weil es zum Menschen Cristelli passt. Er war Trentiner durch und durch. Der Spruch von „scarpe grosse, cervello fino“ passt auf ihn. Ein Intellektueller, aber gut geerdet. Und so sah er aus: Ein überdimensional ausgeprägter Schädel. Darüber das Haar, solang er eins trug, ohne Frisur wild wuchernd. Mehr Bauer als Bürger. Die Zigarette, unvermeidlich filterlos. Über dem groben Wollpullover die schwarze Lederjacke, die zum Markenzeichen für ihn wurde. Und über allem: das riesen Kruzifix um den Hals, baumelnd bis zum Bauch. Zusammengefasst: eine Egger-Lienz-Gestalt. So trat „der Cristelli“ auf, egal ob unter seinen Priesterkollegen (mit denen er bis zuletzt nie gebrochen hat), auf Gewerkschaftsversammlungen, im Rat der Journalistenkammer, der er an leitender Stelle angehörte. Ein laikaler Kleriker war er, stets offener als die vielen klerikalen Laien, wie sie in den Standesorganisationen so sitzen. 

    Beim Begräbnis, Freitag Nachmittag in dem Kirchlein von Miola, war wenig trentinische Öffentlichkeit anwesend. Weniger als verdient. Aber Bischof Lauro Tisi, der den widerspenstigen Wortführer von einst persönlich nicht mehr ertragen musste, fand schöne Worte zum Abschied. Einen „hilfreichen Provokateur“ nannte er ihn. Einen, der „die Zeichen der Zeit erkannt“ habe. Offenbar im Unterschied zur Kurie jener Zeit. Der Bischof fand klare Worte kirchlicher Selbstkritik in seiner Predigt. Sie war, wenn es je einer solchen bedurft hätte, die amtliche Rehabilitierung und Entschuldigung vor einem Unverstandenen. Anschließend trugen Verwandte und Vertreter diverser Vereinigungen ehrende Wortspenden vor. Zum Abschluss standen alle auf und beteten „das Jägergebet“. Das gibt es, und Don Vittorio war Jäger. Das auch. 

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Paolo Ghezzi So., 28.04.2024 - 15:52

Gran pezzo di Florian per un gran prete-giornalista, bello come Belmondo, corrosivo come un profeta, avvolto in una Zigaretten-Wolke come un caporedattore di Chicago... Una fortuna averlo avuto come direttore. Un maestro di libertà.

So., 28.04.2024 - 15:52 Permalink