Sport | Neuerscheinung

„La Paula“ und das belgische Königshaus

Autor Mark Sebille aus Brüssel wollte ein Buch über kletternde Könige aus Belgien schreiben. Am Ende ist eine Erzählung über Italiens erste Skirennläuferin herausgekommen.
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Foto: SALTO/HM
  • „Meine ursprüngliche Absicht war es, ein Buch über die beiden kletternden Könige zu schreiben. Doch dann wurde mir klar, dass es sich nicht nur um zwei Könige handelte, sondern um zwei Generationen der königlichen Familie. Und bei meinen Recherchen bin ich natürlich auf die Namen Steger und Wiesinger gestoßen“, erzählt der Belgier Mark Sebille unmittelbar vor der Erstpräsentation seines Buches über die Kletter- und Skipionierin Paula Wiesinger. 

    Es ist ein emotionaler Tag für Sebille, denn der Tag, an welchem das Gespräch mit SALTO stattfindet, wäre der 100. Geburtstag seiner Mutter gewesen. 1964 war er als kleiner Junge erstmals in Südtirol gewesen und hatte sich immer wieder gefragt, weshalb die Einheimischen das Geröll am Bergfuß nicht wegräumen. Dass er später einmal die lückenhafte Biografie von Südtirols bekannter Pionierin Paula Wiesinger „aufräumen“ würde, hätte er sich niemals ausmalen können. Doch der Zufall wollte es so.

  • 10. Dezember 1934: Sonderbeilage in „La Gazzetta dello Sport” Foto: Edition Raetia

    Der 1955 in Brüssel geborene Buchautor schrieb bereits zahlreiche Beiträge über den Bergsport und seine historischen Aspekte. Und nun überraschend ein Buch über Italiens erste Skirennläuferin. „Soll ich mit Hans anfangen, oder mit den Olympischen Spielen? Oder mit den belgischen Königen?“ heißt es gleich am Anfang des Buches. Es ist Paula Wiesinger die da spricht und erzählt. Der Autor hat sich in die begeisterte Sportlerin und ihre Zeit hineinversetzt und verwebt die vielen Originaldokumente mit Fiktion zu einem Lesevergnügen, welches wie ein eleganter Super-G direkt ins Ziel führt. Besser gesagt in zwei Ziele. Nämlich ins belgische Königshaus und in die Berge der Alpen. Auch wenn die finale Entstehung des Buches mit einigen Extraschwüngen seitens des Autors verbunden war, Sebille erzählt mit großer Begeisterung über Gipfelerlebnisse, Abfahrten und anhaltende Freundschaften.
     

    Ich wuchs mit vier jüngeren Schwestern und einem Bruder in der Rauschertorgasse auf, unweit der Talfer. Sechs Kinder in sieben Jahren…


    „Diese außergewöhnliche Geschichte in einer erzählerischen Form zu verfassen, war für mich die beste Option“, betont Sebille, der Paula Wiesinger seine Erzählstimme leiht. Diese Form des Erzählens ermöglichte dem Autor, „unbekannt gebliebene Elemente nach Empfinden zu ergänzen.“ Neuland auch für den Verlag. „Es mag im ersten Moment ungewöhnlich sein, aber es ist einfach gut geschrieben“, gibt sich Verleger Thomas Kager überzeugt. 

  • König und Pionierin: König Albert und Paula Wiesinger in der Grigna in den Lombardischen Alpen, Oktober 1931 Foto: Edition Raetia

    Aus drei verschiedenen Archiven oder Sammlungen hat der Autor aus Belgien die verschiedenen biografischen Aspekte aus dem Leben Paula Wiesingers zusammengetragen. Sein ursprünglich auf Niederländisch verfasstes Buch wurde ins Deutsche übertragen und mit vielen Fotos für die Neuerscheinung versehen. Der packende Monolog, aus der Perspektive Paulas, über die knapp 330 Seiten klettert mal steile Wände hoch oder rockt in atemberaubender Geschwindigkeit ins Tal. Wiesingers Kraft, Unabhängigkeit und Freiheitsliebe machten sie zu einer außergewöhnlichen Frau in einer männerdominierten (Sport-)Welt. An ihrer Seite lebte, wirkte und betätigte sich überaus bergvernarrt Hans Steger, ebenfalls Kletterer und Skifahrer aus Leidenschaft. Mark Sebille erzählt neben den Adeligen und Wiesinger natürlich auch viel über Steger, dessen politische Verfehlungen und immer wieder von den gemeinsamen Gipfelerlebnissen mit der Königsfamilie aus Belgien.
     

    Übrigens waren beide Könige bessere Kletterer als Skifahrer. Besonders Leopold zeigte im Skifahren kein großes Talent, aber er machte Fortschritte… 

  • Olympia mit Wiesinger: Die italienische Delegation bei der Eröffnungsfeier der IV. Olympischen Winterspiele in Garmisch-Partenkirchen, 6. Februar 1936 Foto: Edition Raetia
  • Hier in Südtirol wollten die Könige das Königsein den Bergen überlassen und unerkannt sowie in Ruhe mit Steger und Wiesinger unterwegs sein. Diese führten kaum Buch über ihre Begehungen. Zum Glück wurde in Belgien dokumentiert. „Über König Albert wissen wir dank des Buches von René Mallieux aus dem Jahr 1956 besser Bescheid, da er bei der Abfassung persönlich von dessen Sohn – König Leopold III. – sowie von Alberts Frau, Königin Elisabeth, und von Graf Aldo Bonacossa unterstützt wurde“, erzählt Sebille. „Von König Leopold III. hingegen ging während des Krieges, nach der Befreiung oder im Exil in der Schweiz vieles verloren. Beide Könige unternahmen kurze Ausflüge, für die es zwar Indizien gibt, aber keine einzige schriftliche Notiz existiert.“ Auch Olympia kommt vor. La Paula Wiesinger war bei den Olympischen Spielen 1936 am Start, schied dort aber nach Stürzen aus. Weitere Erfolge bei Welt- und Italienmeisterschaften sind im Buch gelistet. Auch viele Besteigungen. 

    Zeitnah königlich das Vorwort des Buches. Es wurde von Prinzessin Esmeralda von Belgien, der Enkelin von König Albert, verfasst. „Diese außergewöhnliche Frau und – gelinde ausgedrückt – faszinierende Persönlichkeit erzählt uns aus ihrer Erinnerung“, schreibt sie zum Paula Wiesinger-Buch. „Entstanden ist so eine fesselnde Geschichte an der Grenze zwischen Realität und Mysterium.“

  • Königliches Wiesinger-Zitat: „Eines Tages sagte mir ein Journalist, dass ich eigentlich besser kletterte als die Männer, dass ich ihnen also überlegen war. Ich antwortete ihm, dass ich das manchmal auch glaube, untersagte ihm aber, darüber zu schreiben.“ Foto: Edition Raetia