Politica | Gastbeitrag von Günther Pallaver

Landtagswahlen 2013: Rechtsruck mit Folgen

Der Rechtsruck in Südtirol nach den Landtagswahlen 2013 stellt die Autonomie des Landes in Frage, schreibt Politikwissenschaftler Günther Pallaver. Die Mitte-Links-Wählerschaft ist von 80 Prozent im Jahr 1988 auf rund 64 Prozent im Jahr 2013 zurückgegangen.

Die Landtagswahlen 2013 haben einen bereits seit Jahren anhaltenden Rechtsruck bestätigt, während das politische Zentrum immer mehr ausgehöhlt wird.

Insgesamt kann man sagen, dass sich die Südtiroler Wählerschaft im Jahre 1988 zu rund 80 Prozent mit den Mitte-Links-Parteien identifiziert hat (SVP und DC auf der einen Seite, PSI, Grüne Alternative Liste/Lista Verde Alternativi auf der anderen Seite, wobei auch der PCI in jenen Jahren seine Anti-System-Haltung längst abgelegt hatte). Diese breite elektorale Mehrheit drückte sich auch in der Regierungskoalition der Mitte-Links-Parteien aus (SVP, DC, PSI). Seit damals ist die Mitte-Links-Wählerschaft von 80 Prozent auf rund 64 Prozent zurückgegangen.

Unter den fünf Mitte-Rechts-Parteien befinden sich drei deutsch- und zwei italienischsprachige Parteien. Ziehen wir den Anteil der beiden italienischen Parteien von Alto Adige nel cuore  (2,1%) und Forza Alto Adige/Lega Nord/Team Autonomie (2,5%) ab (4,6%), so sehen wir, dass der Großteil der Mitte-Rechts-WählerInnen bei den deutschsprachigen Parteien angesiedelt ist. Freiheitliche (17,9%), Süd-Tiroler Freiheit (7,2%) und das Bündnis BürgerUnion – Ladins Dolomites – Wir Südtiroler (2,1%) kommen auf 27,2%.

Was hat dies für Konsequenzen? Neben Vorstellungen, die die Wirtschaft betreffen (es handelt sich um Parteien, die primär die Interessen des Kapitals vertreten), die bürgerlichen Grundrechte (Probleme der Migration) oder die Europäische Union (zumindest euroskeptisch, wenn nicht eurofeindlich), betrifft dies vor allem die Haltung zur Autonomie. Denn der Großteil des WählerInnen der Mitte-Rechts-Parteien kehrt der Autonomie immer mehr den Rücken.

1988 gab es im Landtag außer dem Movimento Sociale Italiano (10,3%) und dem Südtiroler Heimatbund (2,3%), die als Anti-Autonomiepartei galten, ausschließlich Autonomieparteien (ca.  85 Prozent). Darunter befanden sich 61,7 Prozent deutschsprachige, 16,4 Prozent italienischsprachige und 6,7 Prozent interethnische Parteien.

Semi-Autonomie-Parteien gab es 1988 noch keine. Darunter verstehen wir Parteien, welche die Autonomie als Zwischenlösung bejahen, aber nur als Ausgangspunkt für einen sezessionistischen Neustart (bei italienischen Parteien bedeutet dies umgekehrt die Forderung nach einer stärkeren Rückkehr des Staates).

Mit den Landtagswahlen 2013 hat sich dieses Bild geändert. Den Autonomieparteien (SVP, PD, Grüne, Movimento 5 Stelle, Team Autonomie, L'Alto Adige nel cuore) mit insgesamt 68,2 Prozent stehen die Freiheitlichen und das Wahlbündnis BürgerUnion mit 20,0 Prozent als Semi-Autonomieparteien gegenüber. Deren Ziel ist die Errichtung eines Freistaates, die Freiheitlichen wollen dies mit dem Konsens der italienischen Sprachgruppe. Die Südtiroler Freiheit (7,2%) will hingegen die Loslösung von Italien und (als naheliegenden zweiten Schritt) den Anschluss an Österreich auch ohne Konsens der italienischsprachigen SüdtirolerInnen. Den rund 68 Prozent an Autonomieparteien stehen rund 27 Prozent an Semi- und Anti-Autonomieparteien gegenüber. (der fehlende Prozentsatz auf 100 liegt bei den Parteien, die den Sprung in den Landtag nicht geschafft haben).

Der Rechtsruck stellt somit neben vielen anderen Konsequenzen die mit vielen Konflikten und Opfern erreichte Autonomie in Frage, eine Autonomie, die noch lange nicht den Idealzustand erreicht hat und reformbedürftig ist, aber gegenüber der die Selbstbestimmung keine Alternative darstellt.  

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Zusammenfassung eines Kapitels aus dem Beitrag: Hermann Atz/Günther Pallaver: Die Normalisierung Südtirols. Die Landtagswahlen 2013: Ergebnisse, Trends und Perspektiven, in: Pallaver, Günther (Hg.): Politika14. Südtiroler Jahrbuch für Politik/Annuario di politica dell’Alto Adige/Anuar de politica dl Südtirol (Südtiroler Gesellschaft für Politikwissenschaft/Società di Scienza Politica dell'Alto Adige/Sozietà de scienza politica de Südtirol), Bozen: Edition Raetia/Nomos Verlag149-191.

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Martin B. Dom, 05/04/2014 - 19:47

Was hier als "Rechtsruck" stilisiert wird ist m.M. viel mehr ein Versagen der M.L-Parteien, sowohl regierend als auch in Opposition. Außer einer Nicht- oder Weißwahl, blieben eben nur die M.R.-Parteien, da es keine oft von der Mittelschicht gewünschte Alternative in der Mitte gibt.

Dom, 05/04/2014 - 19:47 Collegamento permanente
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Hartmuth Staffler Dom, 05/04/2014 - 21:43

Es ist absurd, die STF als "Mitte-Rechts-Partei" zu bezeichnen, da sie sich von rechtem Gedenkengut immer deutlich und überzeugend distanziert hat. Die Forderung nach Selbstbestimmung wird auf europäischer Ebene vor allem von linken Parteien und von den Grünen vorangetragen, daher ist es auch kein Zufall, dass die Europaparlamntarier der Europäischen Freien Allianz (EFA), zu der die STF gehört, im Europaparlament mit den Grünen eine Fraktion bilden. Das scheint Herr Pallaver entweder nicht zu wissen oder bewusst zu ignorieren. Die STF ist zudem von allen Parteien in Südtirol die europafreundlichste und damit das genaue Gegenstück zu den Freiheitlichen.

Dom, 05/04/2014 - 21:43 Collegamento permanente
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Mensch Ärgerdi… Lun, 05/05/2014 - 12:08

Habe ich das im Artikel richtig verstanden, die SVP ist eine mittelinks Partei? Wenn man sich die Machtverhältnisse in der Partei zwischen Arbeitnehmern und den verschiedenen Lobbys (Wirtschaft, Tourismus und Landwirtschaft) ansieht ist doch mehr als klar wer die Hosen an hat.

Lun, 05/05/2014 - 12:08 Collegamento permanente
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Harald Knoflach Mar, 05/06/2014 - 00:25

Den einzigen Schluss, den ich teilen kann, ist der, dass es einen Rechtsruck gegeben hat, der mehr oder weniger zur Gänze dem Erfolg der Freiheitlichen geschuldet ist. Alles andere in der Analyse ist doch etwas komisch:

1. Auf welchem Planeten sind STF und Freiheitliche Parteien, die primär die Interessen des Kapitals vertreten?????
2. Meines Wissens gibt es keine Anti-Autonomie-Parteien in Südtirol. Jedenfalls sind alle genannten maximal Semi-Autonomie-Parteien nach obiger Definition. Gemeint ist wohl die STF als Anti-Autonomie-Partei. Dennoch lese ich von dieser anlässlich der Landtagswahl: "Die Autonomie ist als Übergangslösung für Südtirol von großer Bedeutung. Ein Ausbau der Autonomie wäre auf jeden Fall zu begrüßen, auch wenn die Autonomie nicht die Abtrennung von Italien ersetzen kann."
3. Inwiefern haben sich Südtiroler Parteien europafeindlich geäußert? Gibt es da Belege?
4. Was Migration betrifft ist die Kritik an den Freiheitlichen gerechtfertigt. Anlässlich der Landtagswahlen schreibt die STF jedoch auf die Frage, ob Sozialleistungen Einheimischen vorbehalten bleiben sollen: "Nein. Wer in Südtirol lebt, soll auch Anrecht auf Sozialleistungen haben. Das System sollte aber so gestaltet werden,
dass es nicht Anreiz für eine Einwanderung bildet, die nur der Sozialleistungen wegen erfolgt."
5. "Eine Autonomie, die noch lange nicht den Idealzustand erreicht hat und reformbedürftig ist, aber gegenüber der die Selbstbestimmung keine Alternative darstellt."
Gibt es für diese Behauptung auch nur den Hauch einer Begründung, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen fußt oder ist es so, weil es so ist?
6. Die SVP ist eine Mitte-links-Partei? Hab ich was versäumt?
7. Was macht "Wir Südtiroler" und "Ladins" zu Rechtsparteien?

Mar, 05/06/2014 - 00:25 Collegamento permanente