Palcoscenico | Monolog

Drei mal Leben bis zum Sterben

Baudelaire, Dante und „die Griechen“ brachte Toni Servillo im Bozner Stadttheater für „Tre modi per non morire“ mit auf die Bühne. Divulgation von Literatur und Leben.
Tre modi per non morire, Toni Servillo
Foto: Masiar Pasquali
  • Ein 90-minütiger Literaturabend zu etwas ungleichen Teilen aus den „Fleurs du Mal“ von Baudelaire, Dantes „Göttlicher Komödie“ und verschiedenen Ideen aus Literatur und Philosophie der alten Griechen, in eben dieser nach Gewichtung absteigenden Reihung war gestern erstmals im Bozner Stadttheater zu sehen. Es folgen Aufführungen heute und morgen (jeweils 19 Uhr) sowie übermorgen (um 16 Uhr). Toni Servillo begann auf seiner Bühne – einer schwarzen Schräge im schwarzen Bühnenraum – mit lediglich Notenständer, Text und Stehmikrofon bewaffnet seine Exkursion am Abend. Die Anrufung „Oh sera“ sollte die erste von einigen weiteren Anaphern sein, mit denen der quasi-Oscar-Preisträger (Die Beteiligung als Hauptdarsteller an Paolo Sorrentinos „Grande Bellezza“ zählt hierzulande emotional mindestens als halber Oscar) seinen Vortrag rhythmisierte. Derweil schwindet das Saallicht, ein Spot von oben stellt Servillo in der kargen Bühnenlandschaft allein, als er sich gerade beginnt zu fragen, vom Geiste Baudelaires beseelt, wann diese Nacht enden mag. Sie beginnt gerade. Der Schauspieler spürt im raschen Tempo, das bei einer nur unwesentlich undeutlicheren Aussprache für einen Nichtmuttersprachler schwierig werden hätte können. Wer sind diese Menschen, von denen er sich umgeben sieht und die wie Geister existieren, ohne zu leben? Servillo schließt das Publikum in seine Bühnenüberlegungen ein.
    Den Text zum Stück „Tre modi per non morire – Baudelaire, Dante, i Greci“ lieferte Giuseppe Montesano, dessen Buch gleichen Namens der Aufführung zugrunde liegt. Von den Luxus- und Genussexzessen des schließlich beim Vornamen angerufenen Charles, dem sich Bühnenprediger Sorvillo weiter und weiter annähert, spannt man den Bogen ins Heute zu Geld, Unfreiheit und Überleben, statt dem „Aussaugen des Marks des Lebens“ (um Thoreau meinerseits dazu zu holen) geht es weiter zum Nationalheiligtum der italienischsprachigen Literatur. Hier wäre es vermutlich zu einem stärkeren Bruch mit der bisherigen Sprache gekommen, hätte der variierende Duktus des Schauspielers nicht zuvor schon etwas von einem Straßenprediger gehabt. Sorvillo spricht seinen Text im Brustton der Überzeugung.

  • Toni Servillo: Etwas weniger Haupthaar auf den Pressebildern brachte ein in Höchstform agierender Servillo mit auf die Bühne. Das Bühnenbild war das selbe, nicht-existente, das lediglich Claudio De Pace
s Lichtregie immer wieder auflockerte. Foto: Masiar Pasquali

    Dante, wie er auf die Bühne gebracht wird, das sind zumindest in den Zitaten – für mich und wohl auch weitere Besucher:innen – genau jene Terzinen, die in der Oberschule am Lehrplan standen und nichts wirklich Unerwartetes, sondern die „Greatest Hits“ eines Dante Kanons: Die ersten Zeilen in der „selva oscura“, die Inschrift auf der Höllenpforte, Paolo und Francesca, die „orazione picciola“, in der sich der Odysseus von Dante an seine Schiffsmannschaft richtet, um mit ihnen ans Ende der Welt aufzubrechen … und natürlich folgt noch „L'amor che move il sole e l'altre stelle“ mit dem bei Dante alles enden muss. Vertiefend geht man auf die „ignavi“ ein, jene Personen ohne Ambitionen, die fremdbestimmt in ihren Handlungen zu träge sind. Neudeutsch würde man NPC sagen. Die menschlichen Gespenster Baudelaires, unfähig zu leben, geistern wieder durchs Bild. Dafür, dass es galt, Neugier und Abenteuerlust zu unterstreichen, war mit Ausnahme von letzterem der Textschwerpunkt die Wahl auf Nummer sicher eine antithetische.
    Marco Antonio „Toni“ Servillo hält mit mehr Inbrunst dagegen, als sie jemals in einer Italienischstunde an den Tag gelegt wurde. Dennoch muss er, beim Übersetzen nach Griechenland, die Bühnenschräge verlassend und an den Rand der eigentlichen Stadttheaterbühne tretend, seinen Notenständer geräuschvoll abstellen. Einige Personen schrecken sichtlich auf, geschnarcht hatte noch niemand.
    Sehr bald skizziert Servillo, was an den „alten Griechen“, einer Gruppierung post-hoc von Menschen verschiedener Ufer, Disziplinen und Kontinenten, das Gemeinsame ist. In der Produktion des Piccolo Teatro di Milano –Teatro d’Europa ist es ein Mut zum radikalen Denken, der diese Menschen verbindet. Als Metaphern dafür darf neben dem abschließenden Höhlengleichnis auch das Theater selbst – als fester Bestandteil jeder Polis – herhalten. Kein Inzest, keine Gewalttat und keine Form der Sexualität waren gerade im Theater Tabu. Darauf folgt Katharsis, die Reinigung und Wiedergeburt durch den Theaterbesuch, mit welcher man das Publikum nach Hause schicken hätten können. Stattdessen gab es eine schon oft gehörte Metapher dazu, dass (Bild-)Schirme schlecht sind und es sich von ihnen zu lösen gilt. Das zuvor angebotene Bild vom Theater als Modus zu denken und der Dinge gewahr zu werden war in Spuckdistanz zur ersten Reihe das stärkere und optimistischere Bild. Der Blick geht weiter starr nach vorne zur Bühne, statt auf einen eventuellen Ursprung der Schatten. Servillos Vortrag hält – mehr als die Textcollage selbst – die Zuseher so lange gebannt, bis der Schlussapplaus im voll besetzten großen Saal des Stadttheaters folgt, anhaltend und warm.

  • „Tre modi per non morire“ ist heute (6. Dezember, 19 Uhr), morgen (7. Dezember, 19 Uhr) und übermorgen (8. Dezember, 16 Uhr) im Stadttheater Bozen zu sehen. Tickets und weitere Informationen finden Sie hier.