Politica | Aus dem Blog von Christoph Moar

Grüne Transformationen

Lifestyles Of Health And Sustainability. Kurz: LOHAS. Das war der 1999 von den Marktforschern von “Conscious Media” in einer aufsehenerregenden Studie entwickelte Begriff für Menschen, die aktiv nach einem gesünderen und nachhaltigeren Lebensstil suchen, und die ihren Lebensstil und ihre Kaufentscheidungen danach ausrichten. Der Markt reagierte sofort. Regionale Produkte, sanfter Tourismus, cradle-to-cradle Design sind im Aufwind. Auch in Südtirol. Aber eine solche Lifestyle-Nachhaltigkeit reicht nicht aus: Unsere ganze Gesellschaft muss ökologischer und sozialer werden. Es sind mutige Reformen nötig, denen sich unser Land nicht entziehen darf. Ein Plädoyer für eine Erneuerung in der nächsten Dekade.
Avvertenza: Questo contributo rispecchia l’opinione personale dell’autore e non necessariamente quella della redazione di SALTO.

Nach den Wahlen spielen Journalisten gern mit Buntstiften. Rote, Grüne, Blaue Koalitionen werden skizziert. Die Fragen der Medien drehen sich tagelang um Mehrheiten, um Wahlarithmetik, um das “wer mit wem”. Um die Stimmung anzuheizen, werden PolitikerInnen aller Couleur auf Braut- und Bräutigamschau getrimmt. Das Boulevardeske gipfelt in Bettfotomontagen bekannter SpitzenpolitikerInnen. Selten geht es um Programmatisches, um die zentrale Frage etwa, wie sich Südtirol in den nächsten fünf Jahren entwickeln soll. Allenfalls werden Inhalte als Bedingungen spekuliert, unter denen zum Beispiel die Grünen einem SVP Landeshauptmann in Spe ins Amt verhelfen könnten. Viel mehr als die Grüne Position zur Flughafenfinanzierung kommt dabei nicht aufs Blatt. Als wäre das die zentrale Sorge Südtirols in den nächsten fünf Jahren.

Was viele nicht verstehen: Das Spiel spielen derzeit ausschliesslich die Medien. Noch finden nämlich gar keine Koalitionsgespräche statt, wie man unumwunden zugibt. Der Grund ist ganz einfach: SVP intern müssen erst die verschiedenen Parteiflügeln und Interessensvertretungen werkeln, damit “ihre” Themen im künftigen Regierungsprogramm enthalten sind. Da ist derzeit wenig Luft, um auch “Externe” mit ins Boot zu ziehen. Und doch - die Tagespresse will berichten. Und darum all diese Fragen, Mutmaßungen, Interpretationen, Gerüchte die die Presse täglich präsentiert. Da werden beispielsweise Gräben aufgetan zwischen den Grünen Aussagen, “kein fünftes Rad am Wagen sein zu wollen” und “Partner auf Augenhöhe” sein zu wollen. Die erste Aussage ziele auf eine Zweier-, die letzte schon auf eine Dreierkoalition hinaus. Faszinierende Interpretation, in ihrem Tiefgang den Eingeweideschauen der römischen Haruspices und Auguren mindestens ebenbürtig.

Im Prinzip ist alles egal. Sagt man nichts, wird munter weiterspekuliert, und alles Mögliche in irgendwelche Aussagen hineininterpretiert. Meldet man sich mit einem Communiquè zu Wort, um den Mutmaßungen eine offizielle Stellungnahme entgegenzustellen, empfinden es andere (ref. Ulli Mair, NSTZ 08.11.2013) als überflüssig oder anbiedernd. So what! Dabei wären für jeden Journalisten die Inhalte schnell benannt, um die es hier gehen müsste. Ein Blick auf das Wahlprogramm der Grünen liefert Anregung genug, wo in diesem Land Hand angelegt werden müsste: Transit und Mobilität, Energiepolitik, Gestaltung der Autonomie, Schule, Entwicklung von Wirtschaft, Tourismus und Landwirtschaft und Vieles mehr. Und gleich journalistisch vorweggewarnt: Ich schreibe hier übrigens nur ganz privat aus dem Bauch, und nicht an einem Grünen Regierungs- oder Koalitionsprogramm.

 

Und was ist mit sozialer Gerechtigkeit?

Genau. Jetzt bitte nicht überrascht sein, wenn über all das der Wandel für mehr soziale Gerechtigkeit das Thema Grüner Politik ist. Jürgen Trittin bringt es neulich in seinem Beitrag “Grün muss sozial sein” auf den Punkt: Die ewigen Klischees über die angebliche Partei der Besserverdienenden oder der Lebensstilpolitik dürfen nicht über die soziale und ökologische Dimension Grüner Politik hinwegtäuschen.

Ein triviales Beispiel liegt in den Auswirkungen ökologischer Schäden: alle Menschen sind davon betroffen. Und doch trifft es Ärmere und Schwächere in der Regel härter als Reichere und Stärkere, die sich in ihrer “heilen Welt” noch etwas abschotten können. Das gilt international: die Zerstörung der Böden, die Vergiftung der Umwelt, die Schäden durch den Klimawandel treffen die Bevölkerung in vielen armen Ländern hart. Aber es gilt auch lokal: die privilegierten Wohngebiete sind weniger von Verkehrslärm, Feinstaub, Stickoxyden oder Siedlungsdruck betroffen. Und es gilt zeitlich verschoben: Umweltschäden treffen auch Generationen, die sie nicht verursacht haben. Eine ökologische und nachhaltige Politik ist damit per se auch sozialer und gerechter als der status quo.

 

Veränderung tut Not

Die Arbeitsgruppe Grüne Wirtschaft “verdECOnomia” hat es in diesem Wahlkampf thematisiert: Eine nachhaltige Wirtschaft ist gleichzeitig innovativ und sozial. Südtirol hat zum Beispiel Chancen auf einen ehrlichen Tourismus und einem Angebot an regionalen Lebensmitteln, der für alle zugänglich ist. Wir können in der Landwirtschaft auf eine Prämierung der Qualität statt der Quantität setzen. Und den Fortbestand handwerklicher Qualitäten in einem globalisierten Markt stützen. Um das zu erreichen, müssen wir Vieles verändern: Unsere Gesellschaft muss sich Fragen stellen, wie sich beispielsweise unser Energieverbrauch, unser Transitverkehr und die Mobilität, unsere industriell gefertigten Nahrungsmittel, unsere Ressourcenverwendung umgestalten lassen.

Wir müssen uns transformieren, und stehen doch erst ganz am Anfang. Es ist kein Zufall, dass dieser Umbau derzeit auch in Deutschland und in vielen anderen Ländern der Welt stattfindet. Es ist ein wichtiges Projekt, vermutlich eines mit historischer Dimension, sobald es in der Mitte der Gesellschaft ankommt. Und es bringt auch den sozialen Ausgleich mit sich: So profitieren zum Beispiel gerade Menschen mit geringen Einkommen davon, wenn wir auch in Südtirol bei Strom, Wärme und Mobilität nicht von teuren fossilen Brennstoffen abhängig sind. Und das regionale und ökologische Wirtschaften kann Arbeitsplätze bereitstellen, die für Wohlstand und sozialen Zusammenhalt sorgen. Aber nichts geht von alleine: Wir müssen uns umstellen, und auch auf neue Verhaltensweisen einstellen. Und wir müssen das Soll und Haben, den dieser Wandel mit sich bringt, auf viele Schultern gerecht verteilen.

Auch zeigt zum Beispiel das Modell zur Gemeinwohlökonomie (Christian Felber, vor Kurzem auch bei den “Toblacher Gesprächen”) sehr eindringlich, wie es schließlich nötig sein wird, zwei ungleiche Säulen unserer Gesellschaft zu verändern: den Kapitalismus und die Demokratie. Der Kapitalismus steuert unsere Gesellschaft im Wesentlichen über die Preisgestaltung, dem Prinzip der Konkurrenz und dem Ziel des maximalen Profits. Die Demokratie handelt über Debatte, Konsens und Gesetzgebung. Wie passt das zusammen? Der Kapitalismus erzeugt zwar Wohlstand - aber gleichzeitig immer auch Verlierer, während die Demokratie den sozialen Ausgleich versprechen muss. Wo die Politik den sozialen Ausgleich nicht über Steuern erreichen konnte, wurden aber Tricks angewandt: Typisch sind das Schuldenmachen und die erhofften Wachstumsanreize durch öffentliche Investitionen. Allein: dieser Ansatz ist nicht wirklich nachhaltig, und langfristig vermutlich ungerecht.


Einleiten des qualitativen Wachstums

Die reine quantitative Wachstumsperspektive ist unstrittig veraltet, nur wenige glauben noch unbegrenzt an die Mär der zukünftigen Teilhabe. Der Turbokapitalismus handelt nachweislich im hier und jetzt. Und wenn er morgen einen profitableren Weg findet, schließt und verlagert er wieder einen Betrieb, der eigentlich die versprochene Zukunftsperspektive vieler Menschen war. Dies geschieht tagtäglich, auch in Südtirol. Die “Alte Wirtschaft” achtet nicht auf Gerechtigkeit, sie ködert mit dem Versprechen, dass es in Zukunft “für alle” wieder aufwärts geht. Diese Perspektive kann aber nicht ewig weitergedacht werden. Es gibt Grenzen: Sowohl ökologischer Natur als auch durch das bereits erreichte Niveau in unserer Gesellschaft. Und wir können nicht ständig der Versuchung nachgeben, Wachstum künstlich zu erzeugen. Die Instrumente dafür sind schädlich und bringen kein echtes Mehr an Wohlstand und Lebensqualität. Oder benötigen wir wirklich die ganzen leerstehenden “Tremonti” Immobilien, die vor über zehn Jahren landauf, landab gebaut wurden?

Wir müssen ein neues Jahrzehnt einläuten, das Jahrzehnt des Wachstums im qualitativen Sinne: Wir könnten unsere Gesellschaft auf ihre Regionalität zurückbesinnen, ausgeglichen mit Natur und Ressourcen wirtschaften, und auf jene Strohfeuer-Wachstumsmaßnahmen verzichten, die nur Gewinnperspektiven in der Zukunft versprechen. Wir müssen: ökologisch und sozial handeln und unsere Gesellschaft zukunftsfähig gestalten.

 

Puzzlesteine

Aus meiner Sicht müssten viele passende Puzzlesteine in einem Regierungsprogramm zu finden sein. Beispielsweise die Einführung territorialer Zusatzverträge für eine gerechte Lohnentwicklung, oder die Verteilung der Einnahmen aus den Wasserkraftwerken an die Bevölkerung - in Form einer substantiellen Beteiligung durch die Gemeinden. Ein Umdenken in Mobilität und Transit, und eine sofortige Entlastung der Menschen durch Investitionen in Technologien und Bauvorhaben im Bereich Lärm- und Emissionsschutz wären wichtig. Aber auch eine neue Wirtschaftspolitik, die einen Entwicklungsplan für eine regionale Wirtschaft erarbeitet und Gestaltungsmöglichkeiten nutzt, um diejenigen aus der Realwirtschaft zu fördern, die auch auf das Gemeinwohl achten. Und nicht zu vergessen:  Die Weiterentwicklung der Autonomie und eine gut ausgestattete und an der Zukunft unserer Kinder orientierte Bildungspolitik. Ich wäre an dieser Stelle aber beileibe nicht fertig.

Sicher ist: Grüne Politik ist, wie schon vorhin erwähnt, per se sozial orientiert. Wenn wir nun koalitionspolitisch tatsächlich anecken sollten, dann wohl am ehesten mit den konservativsten oder den ausschließlich marktliberalen Tendenzen - das sind die mit dem typisch hierarchischen Gesellschaftsbild und dem unbeirrten Wachstumsglauben. Auch das ist wohl wahrscheinlich. Aber ich frage mich ganz ehrlich: wäre denn ein solches Anecken überhaupt ein Verlust für unser Land?


Schließlich müssen wir bereit sein, viel zu verändern.

Bild
Profile picture for user Monika Mallojer
Monika Mallojer Mar, 11/12/2013 - 18:26

Lieber Christoph, vielen Dank für deine einfühlsamen Beobachtungen, die ich nur unterstreichen möchte; man kann zu diesem Thema nicht häufig genug Stellung beziehen und an das Bewusstsein der Handlungsträger appellieren. Es ist auch höchst an der Zeit, dem Begriff "Wirtschaft" wieder jene Bedeutung zurückzugeben, die er ursprünglich hatte und ihn von der Gleichschaltung mit jenem des "Unternehmers" abzukoppeln: Wirtschaft ist an viele Akteure gebunden, damit sie funktionieren kann und die sollte man nicht aus den Augen verlieren.

Mar, 11/12/2013 - 18:26 Collegamento permanente
Bild
Profile picture for user Günther Mair
Günther Mair Mar, 11/12/2013 - 19:32

Von daher stimme ich dem Gesagten auch durchwegs zu.

Gerade wenn es darum geht Ideen für die Zukunft zu entwickeln, lassen sich viele Neuerungen allein schon in dem Moment vorstellen, in dem man damit beginnt, über das Wachstum als eine qualitative Dimension nachzudenken... allem voran ist mein Gedanke zwar in Richtung der Landwirtschaft abgeschweift, aber es gibt genau so viele Übereinstimmungen in kleinen Dingen in einem Unternehmen, wie z.B. der stetigen, qualitativen Leistungsverbesserung, welche einem die Kunden sichern und zufrieden stellen.

Dem rücksichtsloses Hinterher-Hechten von Quantität steht - eben am Ende - oft ein um so jäheres Ende gegenüber. Zu weit gegangen, zu viel riskiert - geplatzte Blasen, geplatzte Träume und eine zu schnelle und zu harte Bruchlandung. So lange sich das "nur" in nominalen Größen im Entfernten "Kapitalmarkt" manifestiert und (bei uns) unmerklich auf viele verteilt, mag das akzeptabel sein. Aber wie so oft passiert dann etwas, das wirklich weh tut, in "der" Wirtschaft, wie auch in unsrer Umwelt. Dann wird es schwierig zurück zu rudern, ab und zu gar unmöglich.

Deshalb sollte man sich absichern, die Risiken verteilen. Einerseits in Grundeinstellungen wie dem Wachstum, andererseits im sozialen Denken. Steuern sollten wieder steuern und das in einem guten Gleichgewicht verteilt: im Rahmen des Verfügbaren und mit Blick in die Zukunft - von der anfänglichen Bildung der Jüngsten bis hin zur Pension und der Absicherung im Lebensabend bei den Ältesten. Es ist ein Rad das sich dreht, ohne Wichtigeres und weniger Wichtiges. Wir, unsere Kinder und deren Kinder wiederum werden es durchlaufen.

Die Frage die sich mir am Ende stellt: werden wir als Gesellschaft und Politik es schaffen, uns dem heutigen "Teufels-Kreis" der positiven Vorsätze, der polarisierenden Versprechungen und des persönlichen Verlangens zu entziehen? (habe bei der Wortwahl etwas nachgeholfen, jetzt könnte man das als "die 3 PV's" bezeichnen)

Womöglich liegt der Schlüssel in der Bewusstseinsbildung darüber, was uns zum Status Quo hinbewegt (hat) und darüber wo wir uns in Zukunft wiederfinden wollen.

Mar, 11/12/2013 - 19:32 Collegamento permanente
Bild
Profile picture for user Christoph Moar
Christoph Moar Mer, 11/13/2013 - 20:45

In risposta a di Günther Mair

von dir, Günther. Und leider hast Du recht, dass immer wieder "etwas" passiert, "was weh tut". In Umwelt und Gesellschaft - Tchernobyl und Fukushima lassen grüßen. Aber noch viel häufiger auch im kleineren Maßstab. Das tut aber nicht weniger weh. Ob sich die Gesellschaft und Politik dem Teufelskreis der (quantitiven) Wachstumsfetischisten entziehen lassen wird, ist die Gretchenfrage. Zu verlockend sind die Versprechungen auf zukünftige Teilhabe, die ja zum Zeitpunkt der Entscheidung jeder Entscheider gern glauben möchte. Bewusstseinsbildung tut hier bei Entscheidern, UnternehmerInnen und KonsumentInnen wirklich not...

Mer, 11/13/2013 - 20:45 Collegamento permanente
Bild
Profile picture for user Christoph Moar
Christoph Moar Gio, 11/14/2013 - 10:19

Hallo Oliver,
danke für die Rückmeldung! Zwei Präzisierungen/Fragen, die du stellst, möchte ich dir beantworten:

1) "Die These dass Kapitalismus zwangsläufig Verlierer produziert ist falsch".

Von mir ist folgendes gemeint und geschrieben: Der Kapitalismus, oder der Markt, erzeugt nachweislich Wohlstand, aber eben auch Gewinner und Verlierer. Das ist für mich eine inherente Logik der Marktwirtschaft, die ich auch nicht kritisiere. Wer die richtigen Skills hat, den richtigen Riecher, die richtigen Produktionsmittel, der gewinnt. Wer das nicht hat, verliert. Darum gibt es ja, zum Glück, den gegensteuernden Staat. In der Bundesrepublik heisst das dann "unsere soziale Marktwirtschaft", ein historischer Begriff. Wenn du Kapitalismus oder reine Marktwirtschaft ohne staatliche Einmischung zu Ende denkst, dann führt es zwangsläufig zu Gewinnern und Verlierern. Das ist nicht böse gemeint, aber aus meiner Sicht absolut korrekt.

2) "Grüne Politik ist, wie schon vorhin erwähnt, per se sozial orientiert." Hier stellt sich mir die Frage: Was ist sozial?

Der Gedanke hinter dieser Formulierung liegt zur Vorbereitung der Schlussbemerkung, die ich am Ende ziehe. Es geht mir darum zu überlegen, wo theoretisch die Grüne Politik eher angesiedelt ist: liberal/marktwirtschaftlich oder sozialorientiert? Wenn ich ein paar Absätze weiter oben den Gedanken formuliere, dass eben "Naturschutz" oder "Ressourcengenügsamkeit" (als Grüne Kernthemen) per se sozial sind (weil eben besonders die benachteiligten Bevölkerungsschichten von Raubbau in diesen Gebieten am schnellsten/direktesten betroffen sind), dann meine ich das: auch wenn die Grünen kein explizites Sozialprogramm hätten (was sie, übrigens, sehr wohl haben), aber selbst wenn sie keines hätten wären sie sowieso sozial, aus den genannten Beispielen heraus.

Mit "Das Problem ist nicht der Kapitalismus sondern die Instrumentarien der (Um-)Verteilung funktionieren nicht richtig." meinst du eigentlich dasselbe was ich meine. Reine Marktwirtschaft führt zu einem Problem. Und die Instrumenten der Umverteilung sind eben nicht mehr Marktwirtschaft, sondern Sozialpolitik. Beides zusammen ist die soziale Marktwirtschaft, die wir heute kennen. Und diesen ganzen Gedankengang führe ich, damit mir klar wird, dass wenn die Grünen irgendwo anecken (was von den Medien ja stets kolportiert wird, darum gehts mir), wir höchstens "mit den konservativsten oder den ausschließlich marktliberalen Tendenzen - das sind die mit dem typisch hierarchischen Gesellschaftsbild und dem unbeirrten Wachstumsglauben." anecken. Und das fände ich nun gar nicht schlimm, dort anzuecken :)

Im Kern bin ich wie du kein Freund von unsinnigen Regulierungen. Ich würde mich theoretisch gerne als ökoliberal betrachten. Aber auch hier stimme ich der These zu, dass es Ökoliberal eigentlich nicht gibt. Um die Gesellschaft ökologisch und sozial zu modernisieren, bedarf es eines handlungsfähigen Staates. Wer Ökologie ernst nimmt, kann nicht wie die FDP einer Deregulierung das Wort reden.

Dass ich als Unternehmer schreien könnte ob unsinniger Regulierungen ist ein anderes Blatt. Unsere bisherigen politischen Vertreter haben hier allzu häufig Mist gebaut. Eine Arbeitsschutzrichtlinie, die sich auf die teure Erstellung eines tausendseitigen Einsatzsicherheitsplans reduziert, mit dem Verantwortung abgewälzt wird, ist ein Beispiel wie man Regulierung nicht machen sollte. Und dein Verbandskasten sicher genauso. Und ich glaube individuelle Freiheit und Bürgerrechte werden von allen Grünen Bewegungen als höchstes Gut gesehen. Sei es in der persönlichen Entfaltung, im Schutz vor unrechtmäßigen Eingriffen des Staates, bis hin zur informationellen Selbstbestimmung. Wer hat schon vor 30 Jahren gegen der ausufernden Datenerhebung (damals noch Volkszählungen) protestiert? Zu einer Zeit, als es noch keine Piraten auf dem politischen Schirm gab.

Aber eben, hier muss das richtige Mittel getroffen werden. Eine pauschale Reduktion des Staates ist eben das: zu pauschal. Ich glaube, dass in einigen Bereichen sogar "mehr" Staat als heute gefordert ist. Aber vermutlich meinst du dasselbe mit "auf seine sinnvollen Funktionen".

lg!

Gio, 11/14/2013 - 10:19 Collegamento permanente
Bild
Profile picture for user Johannes Engl
Johannes Engl Ven, 11/15/2013 - 09:06

Ihre Ausführungen bringen es auf den Punkt:
Nachhaltigkeit und soziale Erneuerung sind kein Luxus, sondern eine absolute Notwendigkeit. Sie müssen zum Mainstream werden. Dazu braucht es wie immer am Anfang Vorausdenker und Pioniere um später zum Mainstream zu werden. Dazu braucht es mutige Entscheidungen von Unternehmen und Politik, Wirtschaft neu zu denken und das Wirtschaftssystem konsequent umzubauen, um es sozialer und nachhaltiger zu machen. Natürlich ist ein Paradigmenwechsel unausweichlich. Ein bereits gut durchdachtes und zum Teil schon erprobtes neues Wirtschaftssystem ist die Gemeinwohlökonomie, welche schon von über 1000 Unternehmen praktiziert wird.

http://www.gemeinwohl-oekonomie.org/de/content/die-idee-der-gemeinwohl-…

Ven, 11/15/2013 - 09:06 Collegamento permanente