Politica | Interview

„Ein Dorn im Auge der Rechten“

Das Recht auf Abtreibung ist aktuell nicht nur in Italien Thema. SVP-Senatorin Julia Unterberger verurteilt die Regierung in Rom – und das Abstimmungsverhalten ihres Parteikollegen Dorfmann, der sich in Brüssel zu den (extremen) Rechten gesellt.
Julia Unterberger
Foto: SVP
  • In der Abgeordnetenkammer steht diese Woche die Abstimmung über das Gesetzesdekret auf der Tagesordnung, mit dem der italienische Aufbau- und Resilienzplan PNRR umgesetzt werden soll. In dessen Schatten hat die Partei von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni einen Abänderungsantrag vorgelegt, der für viel Kritik und mediale Aufmerksamkeit weltweit sorgt: Vertretern des dritten Sektors soll künftig der Zutritt zu Beratungsstellen erlaubt werden, an die sich Frauen wenden, die einen Schwangerschaftsabbruch erwägen. Die Befürchtung von Opposition und Frauenrechtlerinnen: So wird Abtreibungsgegnern die Tür geöffnet. Meloni hat das Votum über das PNRR-Dekret an die Vertrauensfrage geknüpft. Über die einzelnen Maßnahmen wird daher nicht gesondert abgestimmt. Die Mehrheit der Kammerabgeordneten hat der Regierung am Dienstag (16. April) mit 185 Ja, 115 Nein und 4 Enthaltungen das Vertrauen ausgesprochen. Somit gilt der Abänderungsantrag als so gut wie genehmigt.

    SVP-Senatorin Julia Unterberger – von 1999 bis 2008 war die Meranerin Präsidentin des Landesbeirats für Chancengleichheit – ist eine vehemente Verfechterin des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch, das in Italien 1978 mit Gesetz Nr. 194 eingeführt wurde. Warum sie die aktuelle Maßnahme der Regierung verurteilt – und was sie dazu sagt, dass ihr Parteikollege, SVP-Europaparlamentarier Herbert Dorfmann, dagegen gestimmt hat, das Recht auf Abtreibung EU-weit als Grundrecht einzuführen.

  • SALTO: Frau Unterberger, die Opposition im Parlament kritisiert die Maßnahme der Regierung Meloni, mit der Abtreibungsgegnern Zutritt zu den entsprechenden Beratungsstellen erhalten, als „Angriff“ auf das Gesetz 194 und die Freiheit und Rechte der Frauen. Sind diese Befürchtungen begründet oder setzt die Regierung, so wie Verfechter des Antrags behaupten, tatsächlich nur das um, was im Gesetz bereits vorgesehen ist?

    Julia Unterberger: Die Beratungsstellen sollten eine nüchterne Beratung bereit stellen, um den Frauen eventuell Alternativen zu einem Schwangerschaftsabbruch aufzuzeigen und mit ihnen ihre Situation zu besprechen. Wenn dort nun Leute aus der „Bewegung für das Leben“ hinzugezogen werden können, so wie es der Abänderungsantrag besagt und wie es die von rechten Parteien regierten Regionen sicherlich machen werden, dann werden die Beratungsstellen zum ideologischen Schlachtfeld. Und man kann sich vorstellen, wie eine Beratung ausschaut, wenn dort jemand sitzt, der sagt, „Abtreibung ist Mord“.

    In einer ohnehin für sie belastenden Situation könnte noch mehr Druck auf Frauen ausgeübt werden?

    Den Frauen werden Schuldgefühle vermittelt und es gibt sicher keine objektive Beratung im Sinne des Gesetzes 194.

    Es ist klar, dass manche Kollegen in meiner Partei nicht gerade zu den Fortschrittlichsten gehören.

    Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und Familienministerin Eugenia Roccella – beide gehören Fratelli d’Italia (FdI) an – hatten zugesichert, das Gesetz 194 nicht antasten zu wollen.

    Sie haben das zwar versprochen – und formal wird das Versprechen jetzt auch eingehalten. Aber in der Substanz wird das Gesetz nun sehr wohl ausgehöhlt: Wenn militante Abtreibungsgegner auf Frauen losgelassen werden, ist das ein Widerspruch in sich.

    Der Einbringer des Abänderungsantrages zum PNRR-Dekret Lorenzo Malagola – auch FdI – hat eine gewisse Nähe zum Anti-Abtreibungsverein „Pro Vita & Famiglia“. Das bestätigt die Richtung, in die es gehen soll?

    Diese Nähe haben viele Rechte und Ultrarechte. In Südtirol wollte Marco Galateo eine Vertreterin dieser Gruppe im Beirat für Chancengleichheit unterbringen. Es ist bezeichnend, dass Rechte an der Regierung immer als erstes im Kopf haben, den Frauen die Entscheidungsfreiheit über den eigenen Körper zu nehmen.

    Wie erklären Sie sich das?

    Diese Freiheit – dass Frauen diese wichtigen Entscheidungen über Geburt oder Nicht-Geburt alleine treffen können – ist ihnen offenbar ein derartiger Dorn im Auge, dass sie mit allen Mitteln versuchen, die Kontrolle darüber zu erhalten. Dass dieselben Leute, die Kinder im Mittelmeer ertrinken lassen, sich plötzlich um – man muss es so sagen – befruchtete Eizellen solche Sorgen machen, ist doch ein Paradox.

    Meloni versucht mit solchen Maßnahmen, die eine extrem rechten Handschrift tragen, ihr Wählerpotential bei Laune zu halten.

    Malagolas Antrag passiert diese Woche die Abgeordnetenkammer und kommt dann in den Senat. Wie werden Sie sich bei der Abstimmung verhalten?

    Ich werde selbstverständlich dagegen stimmen.

    Über das Recht auf und den Zugang zu Schwangerschaftsabbruch wird aktuell nicht nur in Italien diskutiert. Im Jänner hat Frankreich als erstes Land weltweit das Recht auf Abtreibung in die Verfassung aufgenommen. In Deutschland empfiehlt eine Expertenkommission die Reform von Paragraph 218 des Strafgesetzbuches und damit die Entkriminalisierung von Abtreibungen. Das EU-Parlament hat erst vorige Woche zugestimmt, das Recht auf Abtreibung als Grundrecht in die Europäische Grundrechtecharta einzuführen. Ein begrüßenswertes Signal?

    Natürlich ist das begrüßenswert. Es muss zum Grundkonsens liberaler Demokratien gehören, dass Frauen, bis das ungeborene Leben ein bestimmtes Entwicklungsstadium erreicht hat, frei über ihren eigenen Körper entscheiden können. Das gehört einfach zur Zivilisation. Deshalb finde ich sowohl die Tatsache, dass Frankreich das Recht in die Verfassung aufgenommen hat, als auch dass das Europäischen Parlament diese Resolution verabschiedet hat, einen Schritt in die richtige Richtung bzw. den richtigen Weg.

    In Italien hingegen merkt man an diesen Fragen, dass Meloni mit solchen Maßnahmen, die eine extrem rechten Handschrift tragen, ihr Wählerpotential bei Laune zu halten versucht. Außenpolitisch verhält sie sich ansonsten, entgegen allen Befürchtungen, sehr verantwortungsvoll und im europäischen Mainstream. Eine solche Aktion wie die aktuelle allerdings ist absolut nicht mehr im europäischen Geist – das geht eher in Richtung Orbán und Konsorten.

    Was sagen Sie dazu, dass Ihr Parteikollege Herbert Dorfmann im EU-Parlament dagegen gestimmt hat, das Recht auf Abtreibung als europäisches Grundrecht zu verankern (s. Infobox am Ende des Textes)?

    Ich habe mit ihm nie darüber gesprochen.

    Teile der EVP-Fraktion, der auch die SVP mit Dorfmann angehört, vertreten die Position, dass diese Frage weiterhin von den einzelnen 27 EU-Mitgliedsstaaten geregelt werden soll.

    Der Verweis auf die nationale Zuständigkeit und zu sagen, „von mir aus gesehen müssen die Staaten entscheiden“, ist ein bequemer Weg, sich dieser Problematik nicht zu stellen und sich einer Positionierung zu entziehen. Aber dass manche Kollegen in meiner Partei nicht gerade zu den Fortschrittlichsten gehören, ist auch klar.

    Mit Abtreibungsgegnern in Beratungsstellen werden diese zum ideologischen Schlachtfeld

    Meloni verknüpft auch im Senat die Abstimmung über das PNRR-Dekret samt Malagolas Änderungsantrag mit der Vertrauensfrage. Das Votum steht am Montag (22. April) auf der Tagesordnung. Wie wird die Autonomiegruppe, der Sie und die beiden weiteren Südtiroler Senatoren Durnwalder und Spagnolli angehören, abstimmen?

    Sie können davon ausgehen, dass die Mehrheit der Autonomiegruppe mit Nein stimmen wird.

  • Abtreibung für Dorfmann kein europäisches Grundrecht

    Am Donnerstag (11. April) hat das Europäische Parlament bei der letzten Sitzung der aktuellen Legislaturperiode in Brüssel über eine Resolution abgestimmt, mit der das Recht auf Abtreibung in die Europäische Grundrechtecharta aufgenommen werden soll. Eingebracht haben den Antrag Sozialdemokraten, Liberale, Grüne, Linke und schwedische Parlamentarier der Europäischen Volkspartei EVP, der auch Herbert Dorfmann angehört.

    336 der Abgeordneten stimmten für die Resolution, die auch ein Ende der EU-Finanzierung für Abtreibungsgegner fordert. 163 votierten dagegen, 39 enthielten sich.

    Die EVP legte einen Gegenentwurf vor, der auf die Zuständigkeit der einzelnen Mitgliedsstaaten in der Abtreibungsfrage verweist. Dieser Entwurf fand keine Mehrheit. Trotzdem stimmten am Ende 43 der 117 EVP-Parlamentarier für die Resolution der politischen Konkurrenz. Nicht so Herbert Dorfmann. Der Südtiroler SVP-Parlamentarier sprach sich dagegen aus, Schwangerschaftsabbrüche EU-weit als Grundrecht anzuerkennen – und findet sich damit in der zweifelhaften Gesellschaft der Rechten und extremen Rechten im EU-Parlament, die ebenfalls dagegen stimmten.

    Der Bündnispartner der SVP für die EU-Wahlen – Forza Italia gehört ebenfalls der EVP-Fraktion an – zeigte sich gespalten. Alessandra Mussolini und Lucia Vuolo stimmten als einzige FI-Vertreterinnen für den Antrag. Die nationalen Regierungspartner Fratelli d’Italia und Lega (mit einer Ausnahme) hingegen geschlossen dagegen.

    Die Resolution hat keine unmittelbaren Folgen – um das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zu verankern, ist die Zustimmung aller 27 Mitgliedsstaaten erforderlich. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist gering.