„Für Füße und Geist“
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SALTO: Welches Buch hat Sie in Ihrer Kindheit nachhaltiger geprägt, als Sie damals je geglaubt hätten?
Julia Aufderklamm: Meine frühen Leseerfahrungen wurden durch einen Namen geprägt: Erich Kästner. Es waren seine lebendigen Figuren, die mich faszinierten: Kinder, die mutig, klug und solidarisch waren, stets bereit, Abenteuer zu bestehen. Emil und seine Detektive, Pünktchen und Anton – sie nahmen mich mit in eine Welt, in der Freundschaft und Zusammenhalt über alles siegten. Seine Bücher lehrten mich, mit offenen Augen durchs Leben zu gehen und daran zu glauben, dass Geschichten die Welt verändern können – zumindest ein bisschen.
Welcher letzte Satz eines Romans ist und bleibt für Sie ganz großes Kopfkino?
Der letzte Satz aus der Neuübersetzung “Vom Wind verweht”: „Ich will morgen darüber nachdenken […]. Schließlich: Morgen ist ein neuer Tag.“ Scarlett O’Hara, nach all den Wirren und Verlusten ihrer Reise, fasst in diesen Worten den unerschütterlichen Lebenswillen zusammen, der sie so unvergesslich macht. Es ist ein Satz, der für mich weit über das Ende des Romans hinausgeht – eine Einladung, nie den Mut zu verlieren. Dieses schlichte, doch tiefgründige Versprechen auf einen neuen Anfang, ein neues Morgen, hat sich mir eingebrannt: Hoffnung, in ihrer klarsten Form.
Es mag Millionen Leser*innen unterhalten haben. Ganz nach dem Motto: Sex sells. Literarisch ist es flach und hat für mich keinen bleibenden Wert.
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Reimen ist doof, Schleimen ist noch doofer… Auf welches – anscheinend gute – Buch konnten Sie sich nie wirklich einen Reim machen?
Ein Buch, das mich zugleich beeindruckt und ratlos zurücklässt, ist “Meister und Margarita” von Michail Bulgakow. Trotz seiner schillernden Figuren und der kunstvollen Verbindung von Realität und Fantastik konnte ich nie ganz in diese ungewöhnliche Welt eintauchen. Die Mischung aus Satire und Mystik wirkt faszinierend, aber auch so vielschichtig, dass mir der Zugang stets schwerfiel. Sein Werk bleibt für mich ein Rätsel, das sich nicht vollständig lösen lässt – vielleicht liegt sein Zauber gerade darin.
Ein Fall für Commissario Vernatschio. Wie erklären Sie einem Außerirdischen die geheimnisvolle Banalität von Lokalkrimis?
Gute Lokalkrimis brauchen zwei Zutaten: Ein kleines Dorf und einen großen Skandal. Zuerst ist alles friedlich, jeder kennt jeden, und plötzlich: Mord und Totschlag. Die Faszination liegt darin, dass das Verbrechen immer direkt vor der Haustür passieren könnte, und der Täter womöglich jemand ist, den man regelmäßig grüßt. Es ist die Mischung aus alltäglicher Banalität und dem Geheimnis, das sich darunter verbirgt, die uns fesselt – und jeder fragt sich am Ende: Wer hätte das gedacht?
Gewichtig! Welchen Buch-Tipps schenken Sie noch uneingeschränkt Vertrauen?
Das Vertrauen gehört meinen geschätzten Kolleginnen und Literaturliebhaberinnen. Wer Bücher liebt und sich intensiv mit ihnen auseinandersetzt, hat ein feines Gespür dafür, welches Buch einen wirklich bereichern und überraschen wird.
Was für ein Fehlschlag! Welches Buch würden Sie auf einer einsamen Insel zurücklassen?
Fifty Shades of Grey von E. L. James. Es mag Millionen Leser*innen unterhalten haben. Ganz nach dem Motto: Sex sells. Literarisch ist es flach und hat für mich keinen bleibenden Wert. Auf einer einsamen Insel aber immerhin nützlich zum Feueranzünden.
Das Rauschen des Blätterns. Welches Buch würden Sie auf keinen Fall am E-Book-Reader lesen?
Kunstvoll illustrierte Bilderbücher, Leporellos und Popup-Bücher. Für mich und für Kinder ist das haptische Erlebnis beim Umblättern und Aufklappen der Seiten genauso wichtig wie der Inhalt. Diese Bücher sind darauf ausgelegt, im physischen Format erlebt zu werden, und das sollte auch so bleiben. Der digitale Bildschirm kann die Magie dieser Werke nicht einfangen.
Welches Buch zu Südtirol oder eines/einer Autors/Autorin aus Südtirol würden Sie unbedingt weiterempfehlen?
Südtirol ist ein Land, das von seiner Vielfalt lebt – und genau diese spiegelt sich auch in seiner Literatur wider. Natürlich könnte ich Klassiker wie Joseph Zoderer oder Sabine Gruber nennen, deren Werke tief in unseren Seelenlandschaften wurzeln. Doch möchte ich die Gelegenheit nutzen, einen anderen Blick zu empfehlen: die Wanderführer des Folio Verlags. Sie sind Literatur für die Füße – und für den Geist. Wer Südtirol wirklich begreifen will, dem sei ans Herz gelegt, es zu erlesen und zu erwandern.
Julia Aufderklamm ist Leiterin des Jugend- und Kinderbuchzentrums im Südtiroler Kulturinstitutes. Zudem ist sie für die Auswahl der Kinder- und Jugendliteratur bei den Bücherwelten verantwortlich und für die Rahmenveranstaltungen, sprich Autorenlesungen und Workshops.
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