Società | Gefängnis

„Stille Nacht“ hinter schweren Gittern

Weihnachtslieder erklingen in der Kirche des Gefängnisses: Ein seltener Moment der Hoffnung an einem Ort, an dem hinter schweren Gittern die Zeit stillsteht.
Weihnachtsmesse Gefängnis Bozen Bischof Ivo Muser
Foto: Seehauserfoto
  • Man geht oft an der Bozner Dantestraße vorbei, sieht die hohen Mauern und die vergitterten Fenster. Doch was sich dahinter abspielt, bleibt den meisten verborgen. Zum ersten Mal habe ich dieses Gebäude betreten – als Gast der traditionellen Weihnachtsmesse von Bischof Ivo Muser. Es war ein Besuch, der mich mit einem seltsamen Staunen und einer unerwarteten Befangenheit zurückließ. Schon am Eingang wird klar: Hier gelten andere Regeln. Polizei, wohin man blickt. Die Prozedur ist strikt: Name, Ausweis, Taschen und Handy müssen abgegeben werden. Während man unter polizeilicher Begleitung durch die ersten Gitter und vorbei an schweren Eisentüren tritt, mischt sich unter das Staunen ein gewisses Unbehagen. Wie verhält man sich hier richtig? Was ist angemessen? In Begleitung von Beamten geht es durch lange Gänge, vorbei an Zellentüren und immer mehr Uniformierten. Schließlich erreichen wir den zweiten Stock.

  • In Begleitung von Beamten geht es durch lange Gänge, vorbei an Zellentüren und Uniformierten. Foto: Seehauserfoto
  • Oben angekommen, steht man plötzlich in der Kapelle. Wären da nicht die massiven Gitter vor den Fenstern, könnte man meinen, man sei in einer ganz gewöhnlichen Kirche. Zwar ist das Recht auf Religionsausübung durch die Verfassung und Menschenrechtsverträge geschützt, weshalb auch in jedem Gefängnis-Neubau Räume für das Gebet vorgesehen sind – doch eine so schöne, architektonisch klassische Kirche wie diese hier wird wohl kaum mehr erbaut werden. Hier in der Dantestraße atmet der Raum noch eine Geschichte, die fast im Kontrast zur Härte des restlichen Gebäudes steht. Die Bankreihen sind dicht besetzt: Rund 50 Insassen, Durchschnittsalter etwa 35 Jahre, sitzen dort gemeinsam mit Mitarbeitern, Ehrenamtlichen und Pressevertretern. Auch Bürgermeister Claudio Corrarati und Landesrätin Ulli Mair sind gekommen. Als ein Chor „Stille Nacht“ singt, legt sich eine fast unwirkliche Ruhe über den Raum.

  • Auch Bozens Bürgermeister Claudio Corrarati und Landesrätin Ulli Mair sind zur Weihnachtsmesse gekommen. Foto: Seehauserfoto
  • Bischof Ivo Muser macht in seiner Predigt deutlich, dass Verantwortung für begangenes Unrecht notwendig sei und Schuld nicht relativiert werden dürfe. Gleichzeitig warnt er davor, Menschen auf ihre Fehler zu reduzieren „Auch wer schuldig geworden ist, bleibt Mensch. Jeder braucht Vergebung, Nähe, eine offene Hand und die Chance auf einen neuen Anfang.“ Weihnachten stehe für die Überzeugung, dass niemand verloren gehen müsse.

     

    „Entscheidend ist dabei der menschliche Kontakt, die tägliche Beziehung“

     

    Gefängnisdirektor Giovangiuseppe Monti erinnert in seiner Ansprache daran, dass das gesamte Personal bemüht sei, täglich das Bestmögliche zu leisten, auch wenn die Rahmenbedingungen schwierig sind. „Entscheidend ist dabei der menschliche Kontakt, die tägliche Beziehung“, betont er. Monti verweist zudem auf die Bilanz des Jahres 2025: Zahlreiche Arbeits-, Bildungs-, Kultur- und Sportangebote wurden den Inhaftierten ermöglicht, um den Weg zurück in die Gesellschaft zu ebnen.

     

  • Die Gefangenen erhalten ein kleines Geschenk. Foto: Seehauserfoto
  • Nach der Messe wird ein Film über genau diese Projekte gezeigt. Und dann gibt es einen Moment der Nähe: Die Gefangenen erhalten kleine Geschenke, die Schüler einer Mittelschule aus Meran hergestellt haben. Es sind Säckchen mit Schokolade und jeweils einem netten Spruch. Eine kleine Geste der Außenwelt. Doch hinter dieser feierlichen Fassade bleibt die Distanz gewahrt. Es gibt eine strikte Anweisung: Die Häftlinge dürfen eigentlich nicht mit der Presse sprechen. Doch die menschliche Notwendigkeit, gehört zu werden, ist an diesem Tag stärker als jedes Verbot.

     

    „Die Zeit vergeht hier nicht“

     

    In einem Moment der Begegnung komme ich mit einem Insassen aus Peru ins Gespräch. Er ist seit drei Jahren hier. Es ist ihm ein tiefes Bedürfnis, seine Sicht der Dinge zu schildern, auch wenn er es eigentlich nicht darf. Er erzählt, dass die Fassade des Gebäudes zwar renoviert wurde, die Zellen im Inneren aber wohl noch den Standard von 1895 haben. „Die Zeit vergeht hier nicht“, sagt er. Er hat die erwähnten Kurse bereits mehrfach besucht und sehnt sich nach echter, greifbarer Beschäftigung. Ein kleiner Hoffnungsschimmer für 2026 ist das Projekt „Eine Brücke für den Neuanfang“. In Zusammenarbeit mit der Gemeinde Bozen sollen sechs ausgewählte Häftlinge die Möglichkeit erhalten, durch Garten- und Instandhaltungsarbeiten im Stadtgebiet wieder eine Aufgabe zu finden. Besonders eindringlich bleibt jedoch sein Wunsch nach einer Stimme: Er wäre am liebsten nach der Rede des Direktors aufgestanden, um vor all den Gästen und Kameras das zu sagen, was ihm wirklich auf dem Herzen liegt. Es ist die Frustration darüber, dass über die Insassen gesprochen wird, aber fast nie mit ihnen – er hätte sich gewünscht, dass auch einer von ihnen heute hätte zu Wort kommen dürfen.

  • Zum Hintergrund

    Die Zahlen hinter diesen Mauern bleiben alarmierend: Das Gefängnis ist für 88 Personen konzipiert, beherbergt aber derzeit rund 100 Insassen. Rund 64 % bis 80 % der Inhaftierten stammen nicht aus Italien – oft Menschen ohne festen Wohnsitz, die bis zum Prozess in Untersuchungshaft bleiben müssen. Während Millionen in die Sanierung des maroden Altbaus fließen, bleibt der Neubau in Bozen Süd ein politisches Luftschloss. Rom prüft derzeit, ob das verkleinerte Projekt ohne Neuausschreibung rechtlich haltbar ist. Dass Gelder für das Justizzentrum erst kürzlich anderweitig umgewidmet wurden, macht wenig Hoffnung auf einen baldigen Baustart.

  • Als ich das Gefängnis verlasse und die kühle Luft draußen einatme, bleibt das Bild der Kirche und der Männer in den Kirchenbänken hängen. Es war eine interessante, aber auch bedrückende Erfahrung, diesen Ort einmal von innen zu sehen – ein Ort, an dem die Zeit architektonisch stillzustehen scheint, während draußen das Leben und die Debatten weitergehen.