FPÖ ohne Partner
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Der Wahlausgang ist am Sonntagabend nicht wirklich überraschend. Zum ersten Mal seit ihrer Gründung vor 68 Jahren ist die FPÖ die stärkste politische Kraft im Land. Das ist spektakulär und zugleich besorgniserregend. Seit mehr als einem Jahr landeten die Freiheitlichen in den Meinungsumfragen immer zwischen 25 und 30%. Auch hat die FPÖ schon seit drei Jahrzehnten bei allen Schwankungen ein gutes Viertel der Wähler*innen als Gefolgschaft.
Immerhin hatte Jörg Haider bei der Nationalratswahl 1999 schon 26,91% der Stimmen erhalten und mit der ÖVP unter Wolfgang Schüssel die erste schwarz-blaue Regierung gebildet – gefolgt von Protesten und symbolischen Sanktionen der EU. Dann errang Heinz-Christian Strache 2017 immerhin 25,97% und das Amt des Vizekanzlers unter dem türkisen Wunderknaben Sebastian Kurz. Das berühmte Ibiza-Video zwang ihn zwei Jahre später zum Rücktritt. Der damalige Innenminister Herbert Kickl wurde gegen seinen Willen von Bundespräsident Alexander Van der Bellen seines Amtes enthoben. Und 2021 zwangen gerichtliche Untersuchungen wegen Korruption Kanzler Kurz zum Rücktritt. Keine ruhmreiche Bilanz der so erfolgreichen Populisten. -
Das historische Wahlergebnis Jörg Haiders um fast 2 Prozentpunkte getoppt zu haben, mag am Wahlabend den Jubel der FPÖ-Fans rechtfertigen. Auch dass die Regierung abgestraft wurde und die SPÖ gleich schlecht abgeschnitten hat wie vor fünf Jahren, ist Grund zur Freude, Schadensfreude eben. Nur kann all die Euphorie nicht darüber hinwegtäuschen, dass im Unterschied zu den vergangenen Wahlsiegen, diesmal die FPÖ isolierter dasteht als je zuvor.
Dass SPÖ, Grüne und NEOS zu keiner Zusammenarbeit bereit sind und die FPÖ ihrerseits nichts mit ihnen zu tun haben möchte, steht fest. Bleibt also die ÖVP. -
Die ambivalente Haltung der ÖVP
Seit Monaten posaunt der ÖVP-Parteichef und Bundeskanzler Karl Nehammer, eine Koalition mit dem FPÖ-Chef in irgendeiner Regierungsfunktion sei undenkbar. Weil Herbert Kickl reale Probleme wie Kriminalität, Unsicherheit, Migration und Integration bewusst benütze, um Angst zu schüren und die Bevölkerung zu spalten. Weil Kickl andauernd gegen die EU, gegen die Unterstützung der Ukraine und gegen die Teilnahme Österreichs an der europäischen militärischen Sicherheitspolitik – Stichwort Flugraumüberwachung – wettere. Und vor allem, weil Kickl der Regierung vorwerfe, gegen das Volk zu regieren, während der Corona-Pandemie das Land in einen autoritären Zwangs- und Ausnahmezustand versetzt zu haben.
In der Tat hat der ehemalige Redenschreiber Jörg Haiders und findige Schöpfer der FPÖ-Werbeslogans die FPÖ weitaus radikaler in das rechtsextreme Eck geführt, als es Haider gemacht hatte. Der Titel des Wahlprogramms lautet „Festung Österreich“ und gefordert wird etwa keinen einzigen Asylwerber mehr ins Land zu lassen, Geflüchteten die Sozialhilfe zu streichen und vor allem ganz offiziell die Umsetzung der „Remigration“ – also die Ausweisung von Migranten wie sie von den in Österreich verbotenen „Identitären“ gefordert wird.
Orban- und Putin-freundlich, mit den Rechtsextremen von Frankreichs Marine Le Pen, über die spanischen Franco-Nostalgiker VOX, dem Niederländer Geert Wilders, Salvini und der ANO des tschechischen Milliardärs Babis verbündet, bis hin zu den euphorischen Glückwünschen für die Wahlerfolge der AfD – wenn Herbert Kickl täglich zum Kampf gegen das „System“ aufruft, weiß man, was ihm vorschwebt. -
All das geht Karl Nehammer und seinem Kreis innerhalb der ÖVP-Führung zu weit. Das ist sogar glaubhaft. Aber im selben Atemzug betont der Noch-Kanzler, es gebe auch vernünftige Leute in der FPÖ und mit denen sei man durchaus bereit, über eine gemeinsame Regierungskoalition zu reden. Vor allem beim Wirtschaftsprogramm, bei der Ablehnung zu konsequenter Maßnahmen des Klima- und Naturschutzes (Stichwort Verbrennermotor, Straßenbau etc.), und selbst bei der Verschärfung gewisser Migrationsauflagen sind die Programme von FPÖ und ÖVP in vieler Hinsicht deckungsgleich. Aber wer sind die „vernünftigen Kräfte in der FPÖ“ mit denen diese Vorhaben verwirklicht werden könnten? Diese Antwort blieb Nehammer bis jetzt schuldig. Und gibt er sich wirklich der Illusion hin, die von Kickl in jahrelanger zentralistischer Ausrichtung zum Aufstieg und Erfolg von 16% auf knapp 29% der Wählerstimmen geführten FPÖ ließe sich ihren Spitzenmann „abschießen“?
„Viele ÖVP-Insider sind überzeugt, dass ein ‚Einknicken‘ vor Kickl und eine Koalition mit ihm auf Bundesebene die ÖVP zerreißen würde.“
Da scheinen die Skepsis und Befürchtungen der anderen Parteien, dass es entgegen allen Beteuerungen letztlich doch zu einer Wiederauflage von Schwarz-Blau oder gar Blau-Schwarz kommen könnte, durchaus verständlich. Schließlich haben die niederösterreichische ÖVP-Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner und der ÖVP-Landeshauptmann von Salzburg Wilfried Haslauer erst vor nicht zu langer Zeit ein Regieren mit der FPÖ lautstark ausgeschlossen, um sich dann im Handumdrehen doch auf eine Koalition mit ihr zu einigen.
Viele ÖVP-Insider sind hingegen überzeugt, dass ein „Einknicken“ vor Kickl und eine Koalition mit ihm auf Bundesebene die ÖVP zerreißen würde. -
Die Rolle des Bundespräsidenten
Sollte die FPÖ bei der Wahl erste Kraft werden, meinte Bundespräsident Alexander Van der Bellen in einem Interview, bedeute das nicht unbedingt, dass er Herbert Kickl den Regierungsbildungsauftrag erteilen würde. Seither läuft Kickl Sturm, spricht von Missachtung des Wählerwillens und stellt im Stile Donald Trumps die „Absicht der Eliten und des Systems“, seine Wahl zum „Volkskanzler“ stehlen zu wollen, in den Raum. Dazu hat sich Van der Bellen am Sonntagabend mit einer kurzen TV-Ansprache zur Klärung seiner Absichten an die „Österreicher und Österreicherinnen und alle die in Österreich leben“ gewandt.
Er werde mit den Vertretern aller Parteien Gespräche führen, um zu erfahren, wer welche Vorstellungen und Absichten hat und um zu sehen, welche Kompromisse möglich sind, um die beste Regierung für das Land zu bilden. Nachdem keine Partei alleine eine 50%-Mehrheit errungen hat, müsste derjenige, der regieren will, in Verhandlungen und Beratungen zusätzliche Partner und ihn, den Bundespräsidenten, von seinem Vorschlag überzeugen. -
Und wörtlich zitierte Van der Bellen die Verfassung:
„In der Verfassung Artikel 70, Absatz 1 heißt es: ‚der Bundeskanzler und auf dessen Vorschlag die Minister werden vom Bundespräsidenten ernannt‘. Diese Ernennung setzt ein gewisses Vertrauen in die handelnden Personen voraus. Ich werde nach bestem Wissen und Gewissen darauf achten, dass bei der Regierungsbildung die Grundpfeiler unserer liberalen Demokratie respektiert werden – also Rechtsstaat, Gewaltenteilung, Menschen- und Minderheitenrechte, unabhängige Medien und die EU-Mitgliedschaft.“
Die Frage, an wen er den Auftrag der Regierungsbildung erteilen werde, ließ Van der Bellen unerwähnt. Dass dieser Auftrag an die stimmenstärkste Partei geht, ist zwar eine Usance, aber keine in der Verfassung festgelegte Pflicht. Wann immer sich Parteien im Parlament auf eine Mehrheit einigen können, ist das ausschlaggebend.
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Eine Zweier- oder Dreier-Koalition
Sicher ist schon jetzt, dass die ÖVP in jedem Fall regieren wird. Entweder kommt es entgegen aller Wahrscheinlichkeit doch zu einem rechten Schulterschluss mit der FPÖ oder zu einer Koalition mit einer oder zwei der anderen Parteien. Bei 183 Sitzen in der Nationalversammlung beträgt die nötige Mehrheit mindestens 92 Abgeordnete.
Eine Koalition aus ÖVP (52) und SPÖ (41) hätte mit 93 Abgeordneten eine hauchdünne und riskante Mehrheit – zwei abwesende oder abspenstige Abgeordnete würden jedes Gesetz zu Fall bringen können.
Eine Koalition aus ÖVP (52) und SPÖ (41) plus den Grünen (16) wäre zwar zahlenmäßig komfortabel – 109. Aufgrund der vielen Konflikte während der gemeinsamen bisherigen Regierungsarbeit, lehnt die ÖVP jedoch eine weitere Zusammenarbeit mit den Grünen ab.
Bleibt also die wahrscheinlichste Variante: ÖVP + SPÖ + NEOS (17) = 110. -
Am wahrscheinlichsten ist diese Koalition, weil sich die ÖVP und die wirtschaftsliberalen NEOS in Wirtschaftsfragen, EU und Außenpolitik nahe stehen. Sehr schwierig wird hingegen das Verhältnis dieser beiden Parteien mit der SPÖ.
Der vor anderthalb Jahren als Vertreter der Basis in einer knappen Kampfabstimmung zum Parteichef gewählte Andreas Babler hat die Partei prononciert links-sozialdemokratisch ausgerichtet. Er will mehr soziale Gerechtigkeit und, dass Reiche und sehr Wohlhabende zur Finanzierung mehr beitragen. Also höhere Besteuerung, Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer, Investitionen im Gesundheits- und Bildungswesen, Bekämpfung der Kinderarmut, höhere Löhne, Verkürzung der Arbeitszeit, keine Kürzungen bei Mindestsicherung und Sozialhilfe, humaner Umgang mit Geflüchteten – er ist ja sehr erfolgreicher und populärer Bürgermeister von Traiskirchen, der Stadt mit einem der größten Flüchtlingslager Europas.„Am wahrscheinlichsten ist diese Koalition, weil sich die ÖVP und die wirtschaftsliberalen NEOS in Wirtschaftsfragen, EU und Außenpolitik nahe stehen.“
Aber Babler hat sich – wohl auch aufgrund des schlechten Wahlergebnisses (21%) – bei der ersten Konfrontation aller Parteichefs am Wahlabend gedämpft und kooperationswillig gezeigt. Zudem ist es Babler nicht gelungen, die SPÖ hinter sich zu einen und von seinem Kurs zu überzeugen.
Es gibt zumindest drei Fraktionen, darunter die mächtige Wiener SPÖ (sie hat bei den Wahlen 3% dazugewonnen), die eine gemäßigtere Politik vertreten.
Also bleibt sehr vieles ungewiss, außer der Aussicht auf sehr lange und reibungsvolle Konsultationen und Verhandlungen. -
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