Dunst und Denken
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Fürs Kompositum im Titel findet sich kein Wörterbucheintrag, dennoch erzeugt das Wort „Dunstlicht“ (am Cover wie im Buchinneren mit kapitalisiertem L geschrieben) ein spezielles Bild in meinem Kopf, von einem wolkenverhangenen (Bozner) Talkessel, der nachts die Wolkendecke mit diffusem Licht einfärbt. Dieses wechselseitige Strahlen, von einem ins andere, ist ein schönes Motiv und für die Interessen von Streitberger im Band wäre es auch aussagekräftig. Stattdessen findet sich ein scharf-unscharfes Foto am Cover des bei BellingsBooks erschienen Lyrikbands, das Streitberger über die Schulter beim Fotografieren eines Waals zeigt. Schärfe und Unschärfe, Natur und Mensch, das scheinen die Hauptthemen zu sein und dieser Eindruck täuscht nicht.
Auch, dass Streitbergers Lyrik wie ein „Dunstlicht“ mitunter diffus und schwer zu greifen ist, scheint mir an dieser Stelle eine faire Einordnung. Das ist nicht unbedingt etwas Schlechtes, wenn ein Lyrikzyklus in sich stilistisch und thematisch schwer festzumachen ist. Der Lyriker changiert, oft auch innerhalb einer Gedichtgruppierung, zwischen Prosagedichten und freien Versen, da und dort schleichen sich auch Vierzeiler ein. Christlicher Glaube, sowie – ich nehme an – theoretische Überlegungen zu psychoaktiven Drogen und Spiritualität gehen ineinander über und im Schriftdeutsch hat da und dort auch ein doch eher im Dialekt gebräuchliches Wort einen Platz; „spitzig“, etwa. Neben dieser lokalen Ebene finden sich einige selbstübersetzte Texte in deutsch- wie italienischsprachiger Version, für die vielleicht Gerhard Kofler Pate stand. Auch arbeitet der Autor nicht in allen Texten, aber doch in vielen mit Streichungen, gibt verworfene oder doch zumindest leisere oder gegenläufige Stimmen in sein Gedankenprotokoll.
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Als solches liest sich die Lyrik von Martin Streitberger, mit der wir nicht bei jedem Text etwas anfangen können und deren Gedankensprünge mal bei naheliegenden, mal bei an den Antipoden gelegenen Dingen Bezüge herstellt, manchmal auch sperrig. Es ist aber wohl zum Besseren, dass diese teils störrischen Eigenheiten im Lektorat nicht alle einfach ausgebügelt wurden, da sie den authentischen Charakter von Streitbergers (Kopf)Stimme ausmachen. Ob nun bei einer Schreibresidenz auf den Azoren oder als – hier wieder die Annahme beziehungsweise Unschuldsvermutung – theoretischer „Psychonaut“, es gelingt dem Autor uns ein Stück weit mitzunehmen.
Für die animistisch beseelenden Tendenzen Streitbergers ist der Autor dieser Rezension augenscheinlich zu lange nach Hippie-Zeiten geboren und auch in Glaubensfragen kommt der Autor nicht ganz mit bei der Streitbergerschen Doktrin. Dinge, Pflanzen und Tiere werden dabei mehr oder weniger vermenschlicht. Gern gelesen habe ich das Buch trotzdem, das mit schwarz-weiß kolorierten Miniaturen neben den Zeilen fast übervoll scheint und in den Spielarten sehr heterogen ist und so etwas unruhig wirken mag. Vielleicht gerade deswegen, weil mir das Gefühl oft Hummeln im Kopf zu haben vertraut ist, fand ich am Ende doch noch Zugang zu manchen Texten.
Der Schluss des Bandes, für den der Autor auf knapp 20 von 120 Seiten noch einmal „Herbststimmen“ einholt, ist gut gesetzt. In der sich bis „Neujahr“ (womit der Band endet) verändernden Landschaft kommt man zur Ruhe und auch Bezüge zur von Streitberger oft angeschielten Frage nach dem Danach finden sich leicht. Vom Tod lässt sich Streitberger nicht schrecken, er ruft, wie so vieles, die große Neugier des schon im Dokumentarfilm aktiv gewordenen Bozners auf den Plan. Vielleicht geht es Martin Streitberger nicht so sehr darum zu erfassen, „was die Welt im Innersten zusammenhält“ oder dahinter zukommen, welche Quelle(n) hinter dem diffusen Dunstlicht stecken, welches sein Leben erhellt. Vielleicht geht es dem Autor am Ende mehr darum, etwas von seiner Sicht auf das allzu endliche Leben festzuhalten.
Heute Abend, ab 19 Uhr, wird diese sehr persönliche Stimme Martin Streitberger in der Bozner Gärtnerei Schullian bei der ersten Präsentation von „DunstLicht“ mit den beiden Musikern Manni Pardeller und Ivo Ponticello zusammengeführt werden. Die Moderation übernimmt Beatrix Unterhofer. Wer weiß, vielleicht lauschen neben einem geneigten Publikum auch die Pflanzen den lyrisch-musikalischen Klängen.