Das Geschäft mit der virtuellen Kubatur
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„Das hätte man schon vor 20 Jahren machen können“, erklärt Martin Ausserdorfer, Bürgermeister von St. Lorenzen. Dass Südtiroler Gemeinden angesichts von Wohnungsnot, knappen Baugrund und steigenden Immobilienpreisen kreativ werden, ist kein Geheimnis.
Etwa hat der Fall des ehemaligen SVP-Landtagsabgeordneten Manfred Vallazza das „Gadertaler System“ an die breite Öffentlichkeit gebracht: Über Jahre haben Gemeindepolitiker von Wengen, Enneberg und St. Martin in Thurn mithilfe von Anwälten beim geförderten Wohnbau öffentliche Gelder veruntreut. Im Vergleich dazu hat St. Lorenzen einen beinahe schon vorbildlichen Weg gewählt, um an neue Baukubatur zu kommen.
Mit der Umwidmung einer Gemeindestraße in eine Wohnbauzone versteigert die Gemeinde rund 10.000 Kubikmeter Baufläche – auch wenn es die Fläche gar nicht gibt. Schließlich ist die Josef-Renzler-Straße im historischen Ortskern immer noch befahrbar. Die vom Gemeinderat einstimmig beschlossene Umwidmung im Jahr 2020 ermöglicht lediglich, dass die Fläche mit einer Baudichte von 2,5 Quadratmeter pro Kubikmeter versteigert werden kann. Das hat auch das Amt für Gemeindeplanung in Bozen mit einem positiven Gutachten abgesegnet.
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Einen richtigen Ansturm hat die Umwidmung aber nicht ausgelöst. Bis auf den Besitzer des ehemaligen Hotels Mondschein und einer jungen Familie gibt es keine weiteren Antragsteller. Mit der zusätzlichen Kubatur von 3.000 Kubikmeter will die Firma Paul Gasser die alte Hotelstruktur samt Stadel abreißen und stattdessen Wohnungen und Gewerbeflächen errichten. Die Wohnungen sollen zu 60 Prozent konventioniert werden und sind damit Ansässigen vorbehalten. In dem ehemaligen großen Hotelgebäude ein soziales Projekt umzusetzen, etwa eine Seniorenmensa und betreutes Wohnen, blieb hingegen ein Wunschtraum der Opposition.
„Dieses städtebauliche Instrument dient dazu, die Baugeschichte zu säubern und klare Regeln zu schaffen“, erklärt Bürgermeister Ausserdorfer. Zudem sei die Versteigerung von Baufläche eine zusätzliche Einnahmequelle für die Gemeinde, einige Hunderttausend Euro seien so bereits eingenommen worden. Die Preise pro Kubikmeter Kubatur variieren zwischen 220 Euro für konventionierten Wohnbau und 260 Euro für den freien Markt, sie werden vom Landeschätzamt festgelegt und gelten für zwei Jahre.
Auch die Freie Liste in der Opposition unterstützt die Umwidmung der Gemeindestraße als Wohnbauzone. „Wir stehen für die Verdichtung von Ortskernen“, erklärt Gemeinderat Dietmar Demichiel von der Freien Liste. Ebenso die Veräußerung der Kubatur begrüßt Demichiel, allerdings würden klare Regeln fehlen, um Spekulationen einzudämmen. „Gebaut wird im Grünen aber trotzdem“, merkt der Gemeinderat kritsch an. Gemeint ist die neue Mischzone mit 18 Wohnungen in der Fraktion Pflaurenz.
Das Bauprojekt auf 0,6 Hektar Fläche soll auf landwirtschaftlichem Grün entstehen, um Wohnraum für junge Menschen aus St. Lorenzen zu schaffen, die in der Gemeinde bleiben wollen. Einer der beiden Grundbesitzer will gegen die Enteignung vorgehen, das Verfahren ist auf Gemeindeebene noch nicht abgeschlossen und soll der Landesregierung frühestens nächstes Jahr zur Genehmigung vorgelegt werden. Acht Alternativen für eine andere Baufläche seien laut Ausserdorfer geprüft worden.
„Anstatt im Grünen zu bauen, sollte die Gemeinde den Leerstand erheben wie im Gemeindeentwicklungsprogramm (GEP) vorgesehen“, sagt hingegen Demichiel von der Opposition. Diese Kritik weist der Bürgermeister von St. Lorenzen zurück, da der Leerstand in Privateigentum schwer wieder nutzbar gemacht werden könne.
Auch an der Ausarbeitung des GEP hat Ausserdorfer Zweifel: Unter den bei Bürgerabenden vorgebrachten Vorschlägen der Bevölkerung sei wenig Neues gewesen, außerdem kenne er als langjähriger Bürgermeister die Begebenheiten und Herausforderungen in seiner Gemeinde bereits. „Wenn ich während der neun Jahre als Bürgermeister nicht imstande bin, Projekte umzusetzen, dann bin ich fehl am Platz. In St. Lorenzen bin ich aufgewachsen und in einer so kleinen Gemeinde kenne ich die meisten persönlich.“ Ein Grundsatzprogramm wie das GEP würde eher Sinn machen, wenn er plötzlich Bürgermeister einer Gemeinde im Vinschgau wäre, wo er sich nicht auskenne. Das GEP bezeichnet er deshalb als Symptom einer „Sinnkrise“, von der auch die Bozner Landespolitik betroffen sei.
Also alles gut so weit in St. Lorenzen. Das GEP dürfte dort erst nach den Gemeindewahlen fertig werden.