Gesellschaft | Sucht

Alles kann zur Sucht werden

Noch nie war es so leicht, an Drogen zu kommen, berichtet Sucht-Experte Martin Fuchs. Am Innsbrucker Bahnhof sind an jeder Ecke die verschiedensten Drogen erhältlich – und das teilweise mit Rabatt. Eine Bestandsaufnahme.
Veranstaltung La Strada - Der Weg
Foto: SALTO
  • Anlässlich einer Vortragsreihe vom im Sozialbereich tätigen Verein La Strada – Der Weg hat der Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapeutische Medizin Martin Fuchs einen Vortrag  über stoffgebundenes und stoffungebundenes Suchtverhalten bei Jugendlichen gehalten.

    Wie Fuchs eingangs erklärte, gäbe es Unterschiede zwischen stoffgebundenen und stoffungebundenen Suchtverhalten: Als stoffgebundenes Suchtverhalten bezeichnet man Verhalten, welches zum Beispiel durch Drogen, Alkohol oder Nikotin ausgelöst wird. Stoffungebundenes Suchtverhalten kann zum Beispiel auf Sport, Meditation, Musik, Sex oder auf das Glückspiel zurückgeführt werden. Unter anderem machte der Mediziner auf den Missbrauch von pharmaindustriell hergestellten Medikamenten aufmerksam, zum Beispiel angstlösende Medikamente, Schmerzmittel und Opiate, aber auch auf Medikamente für Anästhesie, wie zum Beispiel Ketamin. Vor allem in Nordtirol ist dies zu einem Problem geworden. 

     

  • Martin Fuchs: „Der überwiegende Teil aller Menschen kommt das erste Mal im Jugendalter mit Drogen in Kontakt." Foto: Tirol Kliniken

    Laut Fuchs sei das Gehirn des Menschen normalerweise in der Lage, unser Verhalten zu steuern, da auf gewisse Impulse Glückshormone ausgeschüttet werden. Bei einer Sucht wird dieser Stoffwechsel durcheinander gebracht: Das Nachgehen einer Sucht löst sogenannte „Spikes“ aus, wobei abnormal große Mengen an Glückshormonen ausgeschüttet werden. Dies bezeichnet man als Rausch. Bewirkt wird dadurch, dass alltägliche Impulse, wie zum Beispiel Körperkontakt, Sex, Zeit mit Freunden und Familie verbringen, völlig untergeordnet werden, da das Belohnungssystem an einen plötzlichen enormen Schub an Glückshormonen gewöhnt ist.

    Nicht nur die Abänderung des Belohnungssystems kann eine Sucht begründen, sondern auch weitere Faktoren, die mit dem sogenannten „Suchtdreieck“ beschrieben werden, haben einen Einfluss darauf, und zwar Persönlichkeitsfaktoren, soziale Faktoren und die jeweiligen Drogen selbst. 

    Die Persönlichkeitsfaktoren beinhalten die genetische Veranlagung, Frustrationstoleranz und Charakteristika der Person. Gemeinsam mit sozialen Faktoren, zum Beispiel schlechte Vorbilder, ungesunde Familienbeziehung, Trauma, Gruppenzwang, und die Verfügbarkeit von Drogen, wird das Risiko für eine Sucht stark erhöht. Eine Sucht beeinflusst grundlegende Funktionen des menschlichen Gehirns wie lernen, Urteilsfähigkeit, Entscheidungsfindung, Gedächtnis und Impulskontrolle.

  • Sucht: Der Großteil der Drogensüchtigen kommen im Jugendalter erstmals in Kontakt. Foto: Mart Production (www.pexels.com)
  • Aufgrund der beschleunigten Entwicklung der Belohnungsareale und der deutlich langsameren Entwicklung des präfrontalen Kortex’, der für die Vernunft und für die Kontrolle zuständig ist, reagieren Jugendliche in der Adoleszenz deutlich sensibler auf Belohnung, was bedeutet, dass sie bereit sind, Risiken einzugehen und zusätzlich diese schlechter eingeschätzt werden können. Jugendliche zwischen 13 und 21 Jahren sind viel impulsiver und deutlich schlechter in der Lage, vernünftige oder ruhige Entscheidungen zu treffen. Der überwiegende Teil aller Menschen kommt das erste Mal im Jugendalter mit Drogen in Kontakt. Weitere Gründe dafür sind die Rebellion im Jugendalter, der Protest und das bewusste Verstoßen gegen das Gesetz. Der „jugendliche Narzissmus“, wie Fuchs ihn beschreibt, verleiht jungen Menschen das Gefühl der Unverwundbarkeit. 

    Drogenkonsum im Jugendalter wird auch oft als Lösungsversuch für weitere Probleme benutzt. Rund 60 Prozent der Jugendlichen mit problematischen Konsum weisen psychische Krankheiten wie Depressionen, Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS), Angststörungen, Posttraumatische Stressstörung (PTSD), Persönlichkeitsentwicklungsstörungen oder substanzinduzierte Psychosen vor. Meist werden Drogen wie Opiate für die Schmerzlinderung, Benzodiazepine für die angstlösende und schlaffördernde Wirkung, Cannabis für den entspannenden Effekt und Amphetamine für Euphorie konsumiert. 

    Auf die Frage, welche Drogen aktuell am meisten in Europa und in Tirol konsumiert werden, erklärte Fuchs, dass es noch nie eine so breite Palette an Substanzen am Schwarzmarkt gegeben hätte, dazu noch Substanzen mit unbekanntem Gesundheitsrisiko. Hauptsächlich ist Ketamin, Cannabis und Kokain vertreten. Aber nicht nur auf dem Schwarzmarkt, sondern mittlerweile kann man auch über das Internet ohne große Schwierigkeiten schnell an Drogen gelangen. Das Konsumproblem kann in allen Bevölkerungsschichten beobachtet werden. 

     

    „Für eine Tablette zahlt man einen Euro, für zehn Tabletten gibt es sozusagen einen Rabatt, da zahlt man nur sieben Euro."

     

    „Am Hauptbahnhof Innsbruck befindet sich eine Notschlafstelle für suchtkranke Erwachsene. In einem 200 Meter Radius werden rund um die Uhr diverse Substanzen verkauft“, berichtete Fuchs und wies damit anschaulich auf das Problem hin. Besonders vertreten in Tirol sind Benzodiazepine, die teils für einen Euro pro Tablette verkauft werden. „Für eine Tablette zahlt man einen Euro, für zehn Tabletten gibt es sozusagen einen Rabatt, da zahlt man nur sieben Euro", so Fuchs. Auch Substanzen wie Ketamin, MDMA und Pregabalin werden teils im Partykontext, oft aber auch in den eigenen vier Wänden konsumiert. Auch der Mischkonsum stellt in Tirol ein großes Problem dar. So berichtete der Suchtexperte von einer kleinen Szene von circa 30 Jugendlichen, die wahllos verschiedene Substanzen kombinieren. Unter diesen Jugendlichen befinden sich einige mit psychischen Erkrankungen und Gewalterfahrungen, aber auch einige, die vom Gesundheitssystem auf herkömmlichen Weg schlecht erreicht wurden. Auch wurde teilweise wieder ein vermehrter intravenöser Konsum beobachtet, was einen kleinen Hepatitis-C-Cluster ausgelöst hat. 

    In seinem Vortrag ging Fuchs auch auf die Computerspielsucht ein und berichtete, dass aktuell weltweit drei Milliarden Menschen  regelmäßig Videospiele spielen. Diese stimulieren ebenfalls die Areale im Gehirn, die Glückshormone ausschütten. Zudem stellen sie auch eine Möglichkeit der sozialen Vernetzung dar. Hauptsächlich sind Jungen von der Computerspielsucht betroffen. Mädchen neigen eher dazu, eine Social-Media-Sucht zu entwickeln. Computerspiele können aber auch als Ablenkung von Problemen dienen: Viele Betroffene leiden unter Mobbing oder Familienproblemen und wollen durchs Spielen der Realität entfliehen. 

    Abschließend ging Fuchs noch auf seine Arbeit in der Klinik für Suchtbehandlung ein: Für rund acht Wochen werden Jugendliche mit stoffgebundenen und stoffungebundenen Suchtverhalten in einem geschützten Bereich betreut, um sie zu stabilisieren und ihnen wieder eine Struktur zu verleihen. Der Aufenthalt ist vollkommen freiwillig; Ziel ist die Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Angeboten wird ein Bündel an therapeutischen Maßnahmen, von der Psychotherapie in Einzelgesprächen über Sportangebote, Kreativtherapien bis hin zu Naturtherapien.