Gesellschaft | Bildung

Minderheitenschule

Peter Hilpold und Oskar Peterlini stellten heute das Heft von europa ethnica vor, in welchem das Minderheitenschulrecht zum Schwerpunkt gemacht wurde. Dabei wurde das Hauptaugenmerk auf die Zweisprachigkeit und Migration gerichtet.
Heft von europa ethnic
Foto: SALTO
  • Wenn man die Problematik der Minderheitenschulen bespricht, sollte man differenziert diskutieren. „Es wird mit Schlagworten um sich geworfen, die zwar zutreffend sind, aber kontextbezogen verwendet werden müssen“, sagt Peter Hilpold. Beispielsweise wird der Begriff der „Sonderschulen“ als diskriminierend wahrgenommen, wobei dies früher ein gängiger Ausdruck war. Die Fachbegriffe seien eben noch nicht endgültig geklärt. So verwendet man „Sprachtrennung“, wenn ein fördernder Hintergrund vorhanden ist. Die „Separierung“ habe jedoch den Zweck, Gruppen ab- und auszugrenzen. Daher müsse man stets auf die Intentionen und Implikationen von Maßnahmen achten. Der Ausdruck „positive Diskriminierung“ beschreibe dabei den Fokus auf die Förderung.

    Im Heft wird aufgezeigt, dass sich der Europarat bereits intensiv mit diesem Thema beschäftigt hat. Lösungen sind dabei stets situationsspezifisch ausgefallen. Die ungarische Sprachförderung durch getrennten Sprachunterricht wurde in vielen europäischen Ländern befürwortet, jedoch hat man die Sprachseparierung, im Sinne diskriminierender Maßnahmen, klar verurteilt. Daher gebe es kein universelles Lösungsmodell.

  • „Es wird mit Schlagworten um sich geworfen, die zwar zutreffend sind, aber kontextbezogen verwendet werden müssen.“

  • Was das Südtiroler Schulmodell betrifft, so spricht man in der Fachliteratur von „Sprachtrennung“, sprich von einer einsprachigen Schule. Die Vereinten Nationen befürworten dies ganz klar. Im Mittelpunkt müsse das Kinderwohl stehen, also was für deren weitere Laufbahn zuträglich ist. In Kärnten wurde beispielsweise nach dem Zweiten Weltkrieg eine zweisprachige Schule eingeführt, welche slowenischen und deutschen Unterricht anbot. Von deutschsprachigen Eltern traf diese auf massive Ablehnung, weil die Sprache für den Nachwuchs nicht als relevant genug erachtet wurde. In Italien stellt die deutsche Sprachgruppe mit Abstand die größte Minderheit dar und stützt sich zudem auf wirtschaftliche Faktoren. Im DACH-Raum bieten gute Deutschkenntnisse reichlich Arbeitsmöglichkeiten für junge Menschen. Südtirols Schulen stellen daher eine Sonderstellung dar. Auf Grundlage des 19. Artikels des Autonomiestatutes wird die Absicht verfolgt, den Kindern die deutsche Sprache beizubringen. Jahrzehntelang habe dies gut funktioniert, bis 1976 die Durchführungsbestimmungen zum Autonomiestatut in Kraft traten. Dies habe einen großen Schock in der italienischen Bevölkerung ausgelöst, weshalb alle dazu verpflichtet wurden, einen Nachweis der Sprachkenntnisse zu erbringen. Jedoch fielen die Werte bei der Zweisprachigkeitsprüfung nicht zu Gunsten der Italiener aus. Während die italienische Sprachgruppe in Laufbahn D noch mit einer Quote von 75 % bestanden hat, fielen die restlichen Laufbahnen nicht besonders positiv aus. Die Werte lauteten:

    • Laufbahn C - 23 %
    • Laufbahn B - 27 %
    • Laufbahn A - 37 %

     

    Zum Vergleich schnitt die deutsche Sprachgruppe folgendermaßen ab:

    • Laufbahn D - 94 %
    • Laufbahn C - 46 %
    • Laufbahn B - 42 %
    • Laufbahn A - 64 %

     

    Aufgrund dieser Ergebnisse suchten italienische Eltern nach Lösungen für die Verbesserung der Sprachkenntnisse ihrer Kinder. Peterlini stellt im Zuge dieser Zahlen eine Frage in den Raum: „Warum haben die Südtiroler Volkspartei und die Landesregierung jahrzehntelang verhindert, dass italienische Schulen ein Modell entwickeln, um die deutsche Sprache ebenbürtig zu erlernen?“

  • Peter Hilpold: „Aus Südtiroler Perspektive steht die Diskussion erst am Anfang.“ Foto: Facebook

    Ebenso spielt die Migration eine zentrale Rolle im Rahmen der Minderheitenrechte. Denn auch die Aufnahmegesellschaft hat Rechte. Sowohl auf internationaler (Vereinte Nationen), als auch auf europäischer und nationaler Ebene. „Aus Südtiroler Perspektive steht die Diskussion erst am Anfang“, so Peter Hilpold. Während sich in den deutschen Grundschulen 10 % ausländische Schüler befinden, kommen sie in italienischen Grundschulen 24,5 % gleich. Oskar Peterlini zufolge stehe den Lehrpersonen ein großes Kompliment zu, da sie hervorragende Integrationsarbeit leisten, aber die Lösung liege nicht darin, Kinder in Klassen zu werfen, um sie dann im Nachtrag zu integrieren. Viel eher sollten sie Sprachkurse vor dem Schuleintritt besuchen, um das sprachliche Niveau zu nivellieren.

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Profil für Benutzer △rtim post
△rtim post Di., 22.10.2024 - 09:29

Die derzeitige "Sprachschule" vor der Grundschule heißt in Italien bekanntlich, anders als im Deutschen, "Scuola materna" (Kinderkrippe), Scuola dell'infanzia" (Kindergarten).
Ob eine zusätzliche 'reine Sprachschule vor der Grundschule' (Peterlini) geeignet ist, damit die völkerrechtlich eigens verankerte dt. Minderheitenschule in Italien überhaupt eine Chance hat als solche fortzubestehen, besonders in den Zentren, wo es bereits jetzt Klassen mit kaum oder gar keine Angehörige der Minderheit selbst und Deutsch als Bildungstransfer auf Substandardniveau hat, das ist die Frage.
Hilpold hat korrekterweise mit seinem Positionspapier auf die zentrale Grundlage, it. Schule mit völlig gleichwertigen Recht der Natives auf Schule (pre&scuola, avanti-los!) mit Deutsch als Bildungstransfer hingewiesen.
Ja, das Südtirol. Es bleibt spannend.
Dabei sind Bildungsverhandlungen zurzeit nicht mal auf der Agenda. Vgl. nur: https://salto.bz/de/comment/151783#comment-151783
Peterlinis Vorschlag der (propädeutischen) dt. Sprachschule und Annahme beinhaltet, wenn ich ihn richtig verstehe, wie von LH Kompatscher bereits signalisiert, auch Zustimmung für die Errichtung einer Immersionsschule ganz im Sinne eines Urziis von Fratelli d'Italia, einer Foppa von "Verdi.bz.it", eines Köllenspergers (TK) italienischerseits.
Ob und wie das in der Praxis ressourcenmäßig mit spezialisiertem Personal überhaupt umgesetzt werden kann, werden Urzii, Foppa, Köllensperger gewiss beantworten können.
Es stimmt. Auch im Bereich Schule und Bildung gibt es Wettbewerb.
In einer Wissensgesellschaft gilt dies in einem besonderen Maß. Bei ungleichen Voraussetzungen geht es in einem demokratischen Gemeinwohlwesen darum, für Frauen und vulnerable Bevölkerungsgruppen, wie Minderheiten, zumindest gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen Es geht auch um den derzeitigen Bildungsstandort Südtirols.
Bereits heute gibt es "Bildungsmigration". Südtiroler Eltern, die es sich leisten können, bringen ihre Kinder zu anderen, auch weit entfernten Schulen. Ab der Oberstufe melden sie ihre Heranwachsenden dann z.B. auch in der Schweiz (Stichwort: "Hotelfachschule"), England ... an.
Bildung als Türöffner für Beruf und Karriere hat mittlerweile einen sehr hohen Preis. Es ist eine Investition.

Di., 22.10.2024 - 09:29 Permalink