Südtiroler Leidensfähigkeit
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SALTO: Herr Sint, in Südtirol wird zunehmend auch von politischer Seite eine Abkehr Tirols von den Fahrverboten gefordert.
Markus Sint: Wenn der italienische Verkehrsminister Matteo Salvini erklärt, dass das einzige Problem am Transitverkehr die einschränkenden Maßnahmen sind, die Tirol ergriffen hat, um dem Problem Herr zu werden, dann ist das für uns völliger Quatsch! Auch im Dreier-Landtag nehmen wir wahr, dass die Positionen – beispielsweise zwischen Tirol und Trient – meilenweit auseinanderliegen und auch Südtirol, wohl aufgrund der Koalition mit den italienischen Rechts-Parteien, umschwenkt.
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Anfang November wurde von der Handelskammer Bozen eine Studie zu den Folgen der Einschränkungen durch die Sanierung der Luegbrücke vorgestellt. In diesem Zusammenhang forderten politische wie auch Vertreter der Wirtschaft zumindest eine zeitweilige Aufhebung des Nachtfahrverbots, weil in ihrer Wahrnehmung vor allem Südtirol und Bayern die Zeche für die einseitigen Maßnahmen zu zahlen haben.
Meine Antwort wird jetzt wenig verwunderlich sein. Ich sehe das natürlich vollkommen konträr und auch pragmatisch. Ich wüsste überhaupt keinen Grund, warum Tirol irgendeine Maßnahme zurücknehmen sollte. Ich wüsste auch gar nicht, welcher Verhandlungsspielraum hier gegeben wäre. Wenn ich heute mit jemandem verhandeln will, dann muss ich etwas ...
… anbieten? Und Südtirol hat nichts anzubieten, weil Tirol am längeren Hebel sitzt?
Wir versuchen, zwei Dinge umzusetzen. Zum einen wollen wir jene Gesetze einhalten, welche die Europäische Union erlassen hat und die von allen Mitgliedstaaten ratifiziert wurden, wie beispielsweise das Immissionsschutzgesetz-Luft (IG-L). Dieses besagt, dass Maßnahmen gesetzt werden müssen, wenn die Luftschadstoffgrenzwerte kontinuierlich überschritten werden. Aus diesem Grund ist das Tiroler Inntal seit über zwei Jahrzehnten ein Luftsanierungsgebiet. Wir wissen, dass der Verkehr für mehr als ein Drittel der Luftschadstoffe verantwortlich ist. Deshalb haben wir diese verkehrsbeschränkenden Maßnahmen gesetzt, die in Wahrheit bei uns als Notwehrmaßnahme gesehen werden. Wir schützen die Bevölkerung und der Druck aus der Bevölkerung führt zu einer Geschlossenheit in der Politik.
„Wir schützen die Bevölkerung und der Druck aus der Bevölkerung führt zu einer Geschlossenheit in der Politik.“
Das bedeutet?
Parteiübergreifend herrscht Konsens darüber, dass wir weitere Maßnahmen brauchen. Diskussionen bzw. Forderungen von außen treffen deshalb bei uns auf völliges Unverständnis, weil unsere Position lautet, dass wir zusätzliche Maßnahmen brauchen. Mich verwundert, dass in den Südtiroler Medien Interviews von Spediteuren wie beispielsweise Thomas Baumgartner veröffentlicht werden. Bei uns würden Frächter, die Positionen wie die Aufhebung des Nachtfahrverbots fordern, „gelyncht“ werden. So eine Position wäre bei uns nicht konsens- oder gar mehrheitsfähig.
Wie wird Südtirol hier gesehen?
Wir wundern uns über die Leidensfähigkeit der Südtiroler – oder generell über die Leidensfähigkeit der Autobahn-Anrainer südlich des Brenners. Wenn ich Richtung Bozen fahre, dann ist die rechte Fahrspur voll Lkws und viele, die an den Gardasee fahren und im Stau stehen, fragen sich, weshalb Südtirol, das Trentino und andere Regionen nicht stärker in Rom intervenieren und eine Erleichterung für die Anrainer fordern. Das ist bei uns ganz anders, was vielleicht auch daran liegt, dass in Tirol die A13 unmittelbar an die Dörfer bzw. an bewohntes Gebiet angrenzt.
Ist die Haltung gegenüber dem Verkehr grundsätzlich eine andere? In Tirol ist Verkehr Transit, sprich die Verursacher sind die anderen, die über Tirol „drüberfahren“. In Südtirol und dem restlichen Italien gibt es dagegen ein starkes Bewusstsein dafür, wie abhängig die Wirtschaft von dieser Verkehrsverbindung ist und dass zum großen Teil dieser Verkehr Ziel- und Quellverkehr ist.
Bei der letzten Verkehrszählung an der Mautstelle Schönberg wurden 2,4 Millionen Lkw gezählt. Ich kann mich noch an meine Anfangsjahre als Journalist erinnern, bevor Österreich der EU beigetreten ist und mit dem sogenannten Öko-Punktesystem die Obergrenze auf 1,6 Millionen Lkw festgelegt hat. Mit diesem System wurde die Obergrenze nie erreicht, allerdings wurde dann vonseiten der ÖVP miserabel verhandelt bzw. gab es beim Beitritt keine Nachfolgeregelung und etwaige Maßnahmen wurden in die Zukunft verschoben. Daraus ist aus unserer Sicht dieses Dilemma entstanden. Laut unseren Verkehrsberichten sind 800.000 der zweieinhalb Millionen Lkw reiner Umwegverkehr, der durch die Schweiz wesentlich schneller ans Ziel kommen würde. Regierung wie auch Opposition sind sich einig, dass der Transitverkehr eingedämmt werden muss.
„Bei der ÖVP galt bis dato: Transitverkehr böse, Urlauberverkehr gut.“
Was ist mit den 11,2 Millionen Pkws, die im 2023 bei Schönberg gezählt wurden?
Bei der ÖVP galt bis dato: Transitverkehr böse, Urlauberverkehr gut. Aber auch hier ändert sich die Einstellung und man ist inzwischen zur Erkenntnis gekommen, dass Massentourismus auch Massenverkehr bringt. Und wenn Tirol im Jahr 2023 12 Millionen Gäste-Ankünfte verzeichnet hat und man weiß, dass 90 Prozent davon mit dem eigenen Pkw anreisen, dann darf man auch nicht so naiv und scheinheilig sein zu glauben, dass Verkehr immer die anderen sind. Verkehr - das sind wir schon auch selbst. Natürlich nicht jene elf Millionen, die den Brenner überqueren – die machen bei uns höchstens eine Kaffee- oder Rauchpause.
Zur PersonDer aus der Gemeinde Kartitsch (Bezirk Lienz/Osttirol) stammende Markus Sint hat an der Universität Innsbruck Politikwissenschaft und Geschichte studiert. Bis 2008 war Sint als Journalist beim ORF tätig. Anschließend wechselte er als Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zur neu gegründeten Liste Fritz Dinkhauser. 2018 schaffte er als Abgeordneter den Sprung in den Tiroler Landtag.
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POLITISCHER WILLE: Für mich…
POLITISCHER WILLE:
Für mich ist der Unterschied zwischen der Politik in Nord- und Südtirol jener des W i l l e n s !
Nordtirols PolitikerInnen w o l l e n den LKW Transit verringern, um die Lebensqualität seiner Bevölkerung zu erhalten bzw. zu verbessern.
Südtirols PolitikerInnen w o l l e n nicht gegen die Frächterlobby, gegen den HK-Präsidenten (und Zeitungsinhaber) und gegen die italienischen Brutalo-Interessen handeln.
Die eigene Bevölkerung scheint den sich an der Macht befindlichen Südtiroler PolitikerInnen nicht am Herzen zu liegen.
Zumindest stellt sich mir das so dar.