Wohnbaugenossenschaften als Lösung?
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Wohnen in Südtirol ist ein schwieriges Unterfangen. Wer nicht das Glück hat zu erben, für den bleibt der Wunsch vom Eigenheim oftmals nur ein Traum. Auch der Mietmarkt kann die hohe Nachfrage nach leistbarem Wohnraum nicht befriedigen.
Dabei herrscht nicht unbedingt ein Mangel an Wohnraum, weiß Michael Paler vom AFI | Arbeitsförderungsinstitut.Herr Paler, wie ist die Lage am Wohnungsmarkt?
Die Preise für Immobilien liegen seit Jahren jenseits der Schmerzgrenze. Die Daten des ASTAT zeigen, dass in Bozen für Wohnungen Quadratmeterpreise von 4.000 bis 5.000 Euro erzielt werden. In zentralen Lagen ist der Preis nochmal höher. Und Bozen ist nicht die Ausnahme. In mindestens 25 Gemeinden Südtirols liegen die Höchstpreise pro m² über der Schwelle von 4.000 Euro. Auch die Mieten bewegen sich in den Ballungszentren und angrenzenden Gemeinden zwischen 10 und 15 Euro/m². Bereits 2020 betrug der Anteil der Wohnkosten an den Haushaltseinkommen rund 41%. Allgemein werden 30-35% als Schmerzgrenze angesehen.
Sich eine Wohnung aus eigener (Finanz-)Kraft heraus zu kaufen, wird also immer schwieriger bzw. fast unmöglich.
Nun ja, würde die Entwicklung der Löhne und Gehälter mit jener der Preise schritthalten, dann wäre das kein Problem, aber dem ist nun mal nicht so. Vor allem der Mittelstand, der bisher das Zielobjekt der Wohnbauförderung in Südtirol war, kommt zunehmend in die Lage, sich trotz der Fördermaßnahmen, wie zum Beispiel der Schenkungsbeiträge für Kauf oder Bau der Erstwohnung , keine Eigentumswohnung mehr leisten zu können.
Gibt es günstigere Möglichkeiten, eine Eigentumswohnung zu erwerben?
Beim Bauen in einer Wohnbaugenossenschaft können die Kosten etwas niedriger gehalten werden. Es handelt sich um Zusammenschlüsse von Menschen zum Zwecke der Errichtung von Wohnungen zum Selbstkostenpreis. Warum tun das die Menschen? Weil es bis zum Schluss vielfach günstiger ist, als in Eigenregie zu bauen. Es ergibt sich eine Kostenersparnis aufgrund klassischer Skaleneffekte. Wenn beispielsweise 10 Mitglieder einer Genossenschaft zusammen die Planung finanzieren und Ausführungsarbeiten an Handwerker und Baufirmen vergeben, erzielen sie gemeinsam einen deutlich besseren Preis. Und dann kommen noch – neben den Beiträgen der Wohnbauförderung von Land und Gemeinden - steuerliche Vorteile für Genossenschaften dazu.
Wie funktioniert das genau?
In Südtirol gibt es eben in erster Linie „Errichtungsgenossenschaften“, die gemeinschaftlich und mit weitgehendem Mitspracherecht der Mitglieder ein Wohnhaus errichten. Nach Fertigstellung des Baus werden die Wohnungen wie vorher vereinbart auf die Mitglieder verteilt. Danach wird die Genossenschaft aufgelöst. Man nennt diese Form auch „Genossenschaft mit geteiltem Eigentum“.
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Bereits 2020 betrug der Anteil der Wohnkosten an den Haushaltseinkommen rund 41%
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Und wer kann da mitmachen?
Da gibt es eine Reihe an Kriterien, die im Grunde jenen des geförderten Wohnbaus entsprechen. Zum Beispiel liegt das Mindestalter für Antragstellende bei 23 Jahren. Zudem muss man seit 5 Jahren den Wohnsitz oder Arbeitsplatz in Südtirol bzw. in derselben Gemeinde haben, in der man das Gesuch einreicht. Es gibt auch Grenzen für das Höchst- und das Mindesteinkommen. Je nach Familienstand und -zusammensetzung, Ansässigkeitsdauer und wirtschaftlicher Lage werden Punkte vergeben. Mindestens 16 Punkte muss man haben, um mitmachen zu können.
An wen kann man sich wenden, wenn man sich dafür interessiert?
Es gibt diverse Anlaufstellen. Genossenschaftsverbände und der Verein Arche im KVW bieten beispielsweise Beratung und Betreuung für Interessenten an. Dort kann man sich auch als Einzelperson hinwenden, bekommt Hilfestellungen und Kontakte vermittelt. Denn oft gibt es bereits Leute im gleichen Dorf, die ebenso interessiert sind, aber man weiß nichts davon.
Wie viele Südtiroler wohnen derzeit in Genossenschaftswohnungen?
Dazu habe ich keine genauen Zahlen. Im Landesregister für genossenschaftliche Körperschaften sind derzeit zirka 100 Baugenossenschaften eingetragen, aber deren Mitgliederzahl variiert stark und kann von 5 bis auch 50 Mitglieder reichen, insofern ist eine Schätzung schwierig. Die Zahl der Neugründungen ist jedoch zuletzt zurückgegangen. Das lässt sich darauf zurückführen, dass Leute es sich einfach nicht mehr leisten können zu bauen, auch nicht zu vergleichsweise günstigeren Konditionen.
Also werden in Zukunft immer weniger Menschen in einem Eigenheim wohnen?
Ja, vermutlich schon. Derzeit wohnen etwa 70% der Südtiroler:innen in einem Eigenheim und 30% in Miete. In Städten ist der Mietanteil naturgemäß etwas höher. Zum einen können sich viele eine Eigentumswohnung nicht mehr leisten, zum anderen liegt das aber auch daran, dass es heute andere Lebensrealitäten gibt. Junge Menschen können und wollen sich oft nicht mehr durch den Erwerb einer Immobilie für lange Zeit an einen Ort binden. Sie sind heute viel mobiler und wollen nicht ihr ganzes Leben an einem Ort verbringen. Eine Mietwohnung bietet da mehr Flexibilität. Natürlich ist und bleibt eine Immobilie eine geschätzte Wertanlage und Sicherheit, aber es gibt für jüngere Generationen auch Aspekte, die für das Wohnen in Miete sprechen.
Mieten ist vor allem für kleinere Haushalte und junge Singles interessant und diese Zielgruppe berichtet oft von einem Mangel an passenden Optionen am Südtiroler Wohnungsmarkt. Die Mietoption gibt es beim genossenschaftlichen Bauen aber nicht, oder?
Das Angebot Südtiroler Baugenossenschaften richtet sich vor allem an junge Menschen und Familien, die eine Wohnung bauen und kaufen möchten. Dabei geht es eben um die vorhin genannten Genossenschaften mit geteiltem Eigentum, die sich nach der Errichtung und Aufteilung der Wohnungen auflösen. In anderen Ländern haben auch andere Genossenschaftsmodelle eine durchaus erfolgreiche Tradition. Diese Genossenschaften bauen Wohnungen, deren Eigentum danach bei der Genossenschaft verbleibt. Die Mitglieder können die errichteten Wohnungen danach günstig mieten. In Südtirol ist dieses Modell nicht verbreitet, in Wien oder auch in Zürich sind solche Genossenschaftswohnungen sehr verbreitet und machen bis zu 20% des Mietmarktes aus.
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Genossenschaften bauen Wohnungen, Mitglieder können diese dann günstig mieten
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Das genossenschaftliche Wohnen bietet auch Spielraum für innovative Projekte?
Auf jeden Fall, hier gibt es durch die besondere Organisationsform der Genossenschaften, die auf Gemeinnützigkeit, Solidarität und Partizipation beruht, großes Potenzial für Innovationen. Auf der Tagung „Zukunft Wohnen in Südtirol“, die letzte Woche an der Freien Universität Bozen stattgefunden hat, wurden zahlreiche vielversprechende Projekte aus dem In- und Ausland vorgestellt. In der Schweiz gestalten Wohnbaugenossenschaften ganze Stadtviertel nach sozialen und nachhaltigen Kriterien - es wurden Cohousing-Wohnsituationen geschaffen, die eine soziale Durchmischung der Wohnblöcke fördern. Da gibt es Häuser mit relativ kleinen Wohneinheiten, die aber durch große und vielfältige Gemeinschaftsräume und -flächen kompensiert werden, z.B. einer gemeinsamen Bibliothek, einem Gemeinschaftsgarten und vielem mehr. Jeder hat mit seiner privaten Wohneinheit einen Rückzugsraum und gleichzeitig gibt es Orte der Begegnung, die man aufsuchen kann, wenn man Zeit und Lust hat, andere zu treffen. Hier ergeben sich oft Synergien und Situationen aktiver Nachbarschaftshilfe, die nicht nur Menschen mit besonderen Bedürfnissen, Senior:innen, Alleinerziehenden oder Menschen mit sozioökonomischen Schwierigkeiten entlasten können. Es handelt sich hier explizit nicht um Sozialwohnungen, sondern um gemeinnützige, bezahlbare Wohnungen.
Ist man da andernorts kreativer als hier?
Südtirol kann hier sicherlich von anderen noch viel lernen. Im Gebäudekataster 2022 sind mehr als 300.000 Wohnungen gelistet. Dem gegenüber stehen laut ASTAT 237.000 Haushalte. Wir haben also nicht überall einen Mangel an Wohnraum. Leerstand und auch ungenutzte, bereits verbaute Flächen sind ein Problem. Wiedergewinnung spielt hier eine bedeutende Rolle. Es muss nicht überall neu gebaut werden, um den Grundwohnbedarf zu decken. Oftmals stehen Wohnungen ungenützt leer, weil das Geld für die Renovierung fehlt. Dazu gibt es auch ein spannendes Projekt aus Mailand. Dort haben sich zwei Genossenschaften zusammengeschlossen und einige Gebäude von der Gemeinde in Form einer langfristigen Leihe zur Verfügung gestellt bekommen. Die Wohnungen wurden erst saniert und anschließend vermietet. Damit sparten sich die Genossenschaften die enormen Baugrundkosten und gleichzeitig bekommt die Gemeinde nach 25 Jahren Wohnungen in einem guten Zustand zurück. Und in der Zwischenzeit wurde wertvoller, günstiger Wohnraum geschaffen mit einem Quadratmetermietpreis von rund 5 Euro. Für gewöhnlich kostet Wohnen in Mailand das Dreifache.
Neben den genossenschaftlichen Modellen sollte man sich auch die Möglichkeiten von gemeinnützigen Wohnbaugesellschaften näher anschauen, die auch in Österreich weit verbreitet sind. Die VOGEWOSI, eine gemeinnützige Wohnbaugesellschaft im Besitz des Landes Vorarlberg und einiger Gemeinden, hat in den vergangenen Jahren günstige, kleine Mietwohnungen in modularer Holzbauweise errichtet. Das Ganze nennt sich Wohnen500, weil die Mieten samt Nebenkosten 500 Euro betragen, also leistbar auch für ein kleines Einkommen sind. Es handelt sich dabei um keine „Baracken“, wie man vielleicht meinen würde, sondern um mehrgeschossige Gebäude oder Reihenhäuser in Massivholzbauweise. Die Bauzeiten sind dank vorgefertigter Teile sehr kurz, man bedient sich des Know-hows einheimischer Betriebe und eines nachhaltigen Baumaterials. So entstehen günstige standardisierte Wohnlösungen für Leute, die mit einer kleinen, einfachen Wohnung in Stadtnähe zufrieden sind. So etwas wäre auch bei uns überlegenswert.
Fehlen uns in Südtirol für solche Ideen der Mut oder die Kreativität?
Nun ja, es gibt auch hierzulande bereits kreative Ideen in diese Richtung. Die Cooperativa Sole arbeitet beispielsweise an einem Pilotprojekt für ein „solidarisches Kondominium“ oder ein „solidarisches Stadtviertel“ in Bozen., Das Angebot richtet sich unter anderen an Studierende, die eine günstige Mietmöglichkeit bekommen und im Gegenzug 30 Stunden gemeinnützige Arbeit pro Monat im Viertel leisten. Zugute kommt das älteren Personen bzw. Menschen mit sozioökonomischen Schwierigkeiten. Das Projekt wird auch professionell begleitet und wissenschaftlich untersucht.
Eine weitere interessante Idee versucht meines Wissens der Verein Arche umzusetzen. Besonders ältere Menschen wohnen oft, nachdem die Kinder ausgezogen sind und der Partner/die Partnerin verstorben ist, in überdimensionierten Wohnungen und leiden gleichzeitig an Einsamkeit. Ein Teil der Wohnung könnte für begrenzte Zeit an junge Menschen vermietet werden. Wenn die „Mischung“ stimmt, können in solchen Wohngemeinschaften alle Beteiligten gewinnen. Vergleichbare Projekte gab es auch schon in der Vergangenheit, die Nachfrage seitens Studierender war wohl nicht immer ausreichend.
In den letzten Jahren wurden in Südtirol viele Wohnungen dem regulären Mietmarkt zugunsten des touristischen Kurzzeitvermietens entzogen. Ist auch das eine Schraube, an der man drehen sollte?
Das ist richtig, es geht um über 5.000 Wohnungen, die in den letzten Jahren dem regulären Mietmarkt entzogen wurden und auf Plattformen wie AirBnB, booking.com usw. zu finden sind. Natürlich ist das eine Stellschraube und die Landesregierung arbeitet daran, diesen Markt stärker zu regulieren. Eine Möglichkeit ist die Anhebung des Steuersatzes auf Kurzzeitvermietung. Der fiel bei der Kurzzeitvermietung bisher sogar geringer aus als bei Langzeitvermietung an Ansässige. Hier wird sich sicherlich zukünftig etwas ändern. In manchen Städten gibt es auch Regulierungen durch Verbote und die Limitierung der Kurzzeitmiete auf eine gewisse Tagesanzahl, so beispielsweise in Salzburg und Wien. Viele Wohnungen stehen in Südtirol aber effektiv leer und hier steckt das womöglich größte Potenzial, das es in den nächsten Jahren auszuschöpfen gilt, damit Wohnen für alle in Südtirol leistbar bleibt bzw. wird. Mit Mut, Kreativität und öffentlicher Unterstützung können leistbares Wohnen, sozial durchmischte und lebenswerte Städte und Dörfer und ökologische Nachhaltigkeit in Einklang gebracht werden.