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„Werden seine Vorschläge nicht annehmen“

Jürgen Wirth Anderlan steht zurzeit außerhalb des Verfassungsbogens, sagt SVP-Fraktionssprecher Harald Stauder. Eine Zusammenarbeit wird es auf absehbare Zeit nicht geben.
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Foto: SVP
  • SALTO: Herr Stauder, Jürgen Wirth Anderlan hat zwar gute Mine zu ihrer Aktion gemacht, man hat ihm aber angemerkt, dass ihn diese Kundgebung nicht unberührt gelassen hat. Ziel erreicht?

    Harald Stauder: Es war für uns wichtig als Parteien, welche die Zivilgesellschaften vertreten, ein Zeichen zu setzen. Es gibt zwei Alternativen: Man sagt nichts – und schweigen gilt in so einem Fall als Zustimmung. Auf der anderen Seite: Wenn man sich äußert, dann muss das Zeichen klar und deutlich sein. Wenn man bedenkt, dass zwei Drittel aller Abgeordneten vor dem Landhaus standen und ganz klar Stopp gesagt haben, dann ist das ein Zeichen der Gesellschaft: Achtung! Bis hierher und nicht weiter. 

     

    „Die Menschen erwarten von uns, dass wir Stellung beziehen.“

     

    Diese rote Linie darf nicht überschritten werden. Die Menschen erwarten von uns, dass wir Stellung beziehen. Ich bin in letzter Zeit immer wieder darauf angesprochen worden, ob wir im Landtag etwas zu den Äußerungen von Wirth Anderlan sagen. Meine Antwort war: Ja, wir werden etwas sagen. Es ist aber nicht sinnvoll, dass jede einzelne Partei sich unabhängig dazu äußert, sondern dass die Parteien gemeinsam Stellung beziehen. Das ist nämlich kein parteipolitisches Thema, sondern ein Thema des Landtages und der Demokratie. 

  • Drohung, Beleidigung, Abwertung, Nazi-faschistische Terminologie: Jürgen Wirth Anderlan und die Vorwürfe, die gegen ihn vorgebracht werden. Foto: Seehauserfoto
  • Zwei Drittel der Abgeordneten hat sich an dieser Aktion beteiligt, ein Drittel aber nicht. Selbst Mitglieder der Regierung haben Abstand davon genommen. Ausdruck einer ideologischen Spaltung?

    Es geht nicht sosehr um eine ideologische Spaltung. Wir haben mit unseren Regierungspartnern im Vorfeld darüber diskutiert. Die italienischen Regierungspartner waren der Meinung, dass die Angelegenheit im Plenum diskutiert werden sollte und nicht auf dem Platz vor dem Landhaus. Das ist ein anderer Zugang. Wir sprechen über die Aussagen eines Abgeordneten. Dieser sollte dann entsprechend im Plenum Stellung zu seinen Aussagen nehmen. Das kann – das ist aber rein spekulativ – auch damit zu tun haben, dass auf ebendiesem Platz gegen die Regierungspartner demonstriert wurde. Ich bin ebenfalls der Meinung, dass man im Plenum diskutieren kann. Es war aber ein wichtiges Zeichen auch für die Öffentlichkeit, deshalb haben wir die Linie vor dem Landtag gezogen und gesagt, dass so eine Sprache nicht in dieses Hohe Haus herein darf. Wir schützen uns symbolisch vor dieser Sprache und vor diesem Ungeist. 

  • Gemeinsame Aktion der SVP, Grünen, Team K, PD und Civica: Ziel der Aktion war es, dem Abgeordneten Jürgen Wirth Anderlan die Rote Linie aufzuzeigen. Foto: Seehauserfoto

    Es gibt die Meinung bzw. die Sorge, dass mit solchen Aktionen oder auch entsprechenden Stellungnahmen Wirth Anderlan unnötig viel Raum und Aufmerksamkeit gegeben wird – genau das ist es, was er will. 

    Die Alternative wäre Stille und Schweigen. Wenn wir zu solchen Aussagen, die andere Menschen abwerten, die Ausdruck verbaler Gewalt sind, die andere Menschen bedrohen – man erinnere sich an die Äußerung Anderlans „In den Steinbruch ohne Gerichtsverfahren“ – schweigen, dann lassen wir eine Kommunikation einreißen, die wir nicht wollen. In so einem Fall muss die Zivilgesellschaft ganz klar und laut und deutlich Stopp sagen. Verbale Gewalt ist die Vorstufe von wirklicher Gewalt. Diese Erfahrung hat man im vorigen Jahrhundert machen müssen. Je früher die Zivilgesellschaft sagt „Hier ziehen wir eine rote Linie“, desto eher erhält man Aufmerksamkeit für die positive Sache. Nicht alle Politiker sind so und die große Mehrheit der Politik vertritt nach wie vor Werte. 

    Wirth Anderlan mag vieles sein, aber kein Nazi – die Gleichsetzung dieses Mannes stellt insbesondere für die Opfer des Nationalsozialismus eine Verharmlosung der millionenfachen Opfer dar, die durch Hitlers wahnsinnige Mörderbande umgekommen sind.

    Ich habe mit keinem Wort behauptet, dass Wirth Anderlan ein Nazi ist.

    Auf einem Schild, das bei der Aktion präsentiert wurde, war zu zu lesen: „Nazi-faschistische Terminologie“. Die Verbindung wird somit eindeutig hergestellt.

    Ja, die Verbindung sehe ich auch. Ich würde niemals Wirth Anderlan als Nazi bezeichnen – das ist eine Terminologie, die ich bei solchen Leuten nicht verwende. Er ist ohne Zweifel ein Provokateur und von diesen Provokationen lebt er sehr gut. Aber – was ihn mit dieser unseligen Ideologie verbindet ist das Abwertende. Wenn ich andere Menschen verbal abwerte und ins Lächerliche ziehe, dann bereite ich mit verbaler Gewalt den Boden vor, dass diese Menschen irgendwann auch tatsächlich Angriffen ausgesetzt sind. 

     

    „Er ist ohne Zweifel ein Provokateur und von diesen Provokationen lebt er sehr gut.“

     

    Wenn man Aussagen „Politiker sind Banditen“ und „Verbrecher, die ohne Gerichtsverfahren in den Steinbruch gehören“ hört, was denken dann die Menschen? Was macht man mit einem Verbrecher? Ein Verbrecher ist jemand, der bestraft gehört und wenn das System nicht bestraft – ich denke diesen Gedankengang nun weiter –, dann fühlen sich vielleicht einige Kleingeister dazu aufgerufen, selbst zu bestrafen. Da sehe ich die Gefahr. 

    Dass aus Worten Taten werden? 

    Ganz genau.   

     

    „Nur die Schreier und die Provokateure zu wählen, bringt nichts – kurzfristig vielleicht einen Lacher.“

     

    Nicht wenigen Kommentaren in den sozialen Foren ist zu entnehmen, dass Anderlan das ausgesprochen hat, was sich viele denken. Wie will die Partei der Mitte, welche die SVP sein möchte, mit diesem Teil der Bevölkerung umgehen? Wie ihn in die Mitte zurückholen?

    Mit Leistung und mit Taten. Wenn die Menschen sehen, dass Stimmen für bestimmte Mandatare nichts bringen – weil diese eben keine Leistung bringen und weil sie nicht halten, was sie versprochen haben. Wenn die Menschen erkennen, dass die wirklichen Taten und die Verbesserungen in der Gesellschaft von anderen Gruppierungen eingeleitet werden, dann werden sie früher oder später verstehen. Nur die Schreier und die Provokateure zu wählen, bringt nichts – kurzfristig vielleicht einen Lacher. Langfristig bringt es aber nur etwas, wenn man Parteien wählt, die solide arbeiten und die auch Leistung erbringen. Wenn ein Provokateur im Plenum einen Vorschlag bringt und alle nur den Kopf schütteln, dann nützt das dem Wähler ja auch nichts. Dann ist das eine verlorene Stimme, weil solche Menschen werden mit solchen Methoden nie etwas umsetzen. Sie schaden eher der Sache. 

    Wie werden Sie in Zukunft mit Anderlan umgehen? Ignorieren? Ausgrenzen? So wie in Deutschland geschehen mit der AfD?

    Das muss jede Fraktion für sich entscheiden. Im Moment steht für uns Jürgen Wirth Anderlan außerhalb des Verfassungsbogens. Wir werden seine Vorschläge sicherlich nicht annehmen. Wir erwarten uns eine konstruktive Politik und vor allem erwarten wir uns, dass man sich von bestimmten Aussagen distanziert und sich für bestimmte Aussagen auch entschuldigt. Wenn Menschen, mit denen man fünf Jahre im Sinne der Sache zusammenarbeiten sollte, bereits nach wenigen Monaten als Verbrecher und als „Gekaufte“ bezeichnet werden –, dann ist das keine Basis für eine Zusammenarbeit.  

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Sigmund Kripp Mi., 08.05.2024 - 19:49

VerfassungsBOGEN.
Das ist der Bogen (im Sinne des Halbrundes der Sitze in einem Parlament), der die Bandbreite der innerhalb der Verfassung stehenden Parteien bezeichnet.

Mi., 08.05.2024 - 19:49 Permalink
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Hartmuth Staffler Mi., 08.05.2024 - 20:35

Für die SVP ist der Verfassungsbogen wohl der Bogen, den sie mit ihrer roten Linie gemacht hat, um die rechtsextremen Koalitionspartner noch innerhalb der Linie zu haben.

Mi., 08.05.2024 - 20:35 Permalink
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Manfred Klotz Do., 09.05.2024 - 07:22

Antwort auf von Ludwig Thoma

Bei aller Ablehnung gegenüber FdI, Ihre Aussage stimmt nicht. Innerhalb des Verfassungsbogens befinden sich alle Parteien, die sich einer demokratischen Wahl stellen dürfen, weil sie nicht verboten sind (weil ihre Prinzipien nicht gegen das Grundgesetz verstoßen). Ist bezüglich FdI leider so.

Do., 09.05.2024 - 07:22 Permalink
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△rtim post Do., 09.05.2024 - 00:28

Es macht überhaupt keinen Sinn ernsthafte Diskussionen über Witzfiguren zu führen, die uns permanent vorführen, wie wir im Spiegel der Lächerlichkeit an der Verzerrung unserer eigenen Fähigkeiten mitwirken. Dies schließt ein, dass wir uns der Architektur von Komplexität widmen. Die Architektur der Komplexität ist das beste Antidot gegen das systemische Tandem, Dummheit und Gewalt.
Worum geht es in der Debatte über moderne Faschisten?
Wieso wird nun gerade JWA eine solch hohe Aufmerksamkeit und Plattform zuteil, während man in der Vergangenheit zu Äußerungen anderer, auch zu jenen von Meloni, welche die Zulassung der Folter bei Verhören oder die Endlösung des leidigen Südtirolproblems nach 100 Jahren durch die Austreibung der deutschsprachigen Einwohnerschaft per Fussmarsch über den Brenner forderte? Wieso gab/gibt es da beredtes Schweigen, Zustimmung und keinen gemeinsamen Konsens dagegen aufzutreten?

Do., 09.05.2024 - 00:28 Permalink
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Sigmund Kripp Do., 09.05.2024 - 07:30

Antwort auf von △rtim post

Es kommt Einer zum Anderen.
Orbán, Meloni, Le Pen und Konsorten bereiten das Feld für diese Zerstörer der Demokratie.
Wer hätte vor 5 Jahren gedacht, dass so viele rechtsextreme Abgeordnete im Südtiroler Landtag sitzen?
Und nachdem die SVP weiter am Abbauen ist, die anderen liberalen Kräfte aber auch nicht so recht vom Fleck kommen, könnte sich plötzlich eine noch weit rechtere Koalition als jetzt schon, ausgehen.
Meloni&Co. bereiten gerade den Boden für eine etwas autokratischere Verfassung vor.
Das geht immer so schleichend...Ungarn ist für mich das beste Beispiel, wie in 10 - 15 Jahren eine Demokratie ausgehebelt und eine autokratische de-facto Verfasstheit eingerichtet werden kann!
Die leere Lederhose hat in Wien Sachen gesagt, die vor 10 Jahren unvorstellbar waren! Selbst ein Haider lehnte sich nicht so unverhohlen an die NSDAP-Sprache an!

Do., 09.05.2024 - 07:30 Permalink
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Sepp.Bacher Do., 09.05.2024 - 14:56

Antwort auf von Stereo Typ

In der politischen Sprache scheint es nur entweder mitte-rechts oder rechts-extrem zu geben. Das ist dem Zwang, immer alles zu polarisieren und mit Superlativen zu versehen, geschuldet. Meiner Meinung nach sind die Fratelli und die Lega, sowie die Freiheitlichen mit rechts zu bezeichnen. Ob man die JWA und Südtiroler Freiheit zu den rechts-extremen zählen will, müsste man von Fall zu Fall bewerten.

Do., 09.05.2024 - 14:56 Permalink
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Sigmund Kripp Do., 09.05.2024 - 15:39

Antwort auf von Sepp.Bacher

Sicher gibt es immer Einzelne in diesen Gruppen, die als rechtsextrem bezeichnet werden können. Bei der Fraktion JWA allerdings stehen beide Abgeordnete zu den Sagern vor der FPÖ in Wien. Insofern ist diese Fraktion sicher als rechtsextrem zu bewerten.
Das rassistische Wahlplakat 2013 der STF tendiert auch dort hin.

Do., 09.05.2024 - 15:39 Permalink
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Manfred Klotz Do., 09.05.2024 - 07:32

Antwort auf von △rtim post

Der Braunauer Massenmörder hat seinen Aufstieg aus der Isolation im Gefängnis von Landsberg vorbereitet. Da dachte niemand, dass er eine Gefahr für die Demokratie werden könnte (besonders nachdem sein Putschversuch im Bürgerbräu-Keller jämmerlich scheiterte).
Übrigens zu den unsäglichen Sagern von Meloni, den Aufschrei gab es durchaus, ein Teil der Presse hat diesen nur gedämpft, weil deren Linie genau jene von Meloni war und ist. Und weil diese Presse auf die Beschränktheit ihrer Leser vertrauen kann. So wie JWA auf die seiner Wähler (wenigstens ein Teil davon). Die Gefahr liegt also nicht bei dem Einen, sondern bei seiner Gefolgschaft, sofern dieser Eine nicht daran gehindert wird, weiterhin die Bühne für seine Monologe zu missbrauchen. Daher ist es wichtig sich dazu zu äußern und sich damit zu befassen.

Do., 09.05.2024 - 07:32 Permalink
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Salto User
nobody Do., 09.05.2024 - 22:02

Auch die AfD wurde nicht totgekriegt. Wenn die SVP wirklich etwas gegen Rechtsextreme machen will, dann soll sie gefälligst ihre eigentlichen Aufgaben ernst nehmen. Figuren wie WA werden gewählt, weil sich die Bürger von der VP verarscht fühlen (auch zurecht, man denke nur an die katastrophale Situation in der Sanität).

Do., 09.05.2024 - 22:02 Permalink
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Manfred Klotz Fr., 10.05.2024 - 07:40

Antwort auf von nobody

Figuren wie JWA werden gewählt, weil es unter der Bevölkerung Wähler gibt, die eigentlich unfähig sind dieses demokratischste Instrument der Bürgerbeteiligung sinnvoll zu nutzen. Populisten finden ihre Klientel eigentlich immer in den Bevölkerungsschichten mit dem niedrigsten Bildungsgrad.

Fr., 10.05.2024 - 07:40 Permalink
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rotaderga Fr., 10.05.2024 - 09:00

Antwort auf von Manfred Klotz

"Populisten finden ihre Klientel eigentlich immer in den Bevölkerungsschichten mit dem niedrigsten Bildungsgrad"
Der wahre Reichtum in der Gesellschaft wird durch ehrlicher Hände Arbeit geschaffen.
Ihre Sprechweise der erniedrigenden Verallgemeinerung wurde schon vor hundert Jahren verwendet und Sie bedienen sich dieser weiter.
Oder wie mein Ur-Großvater zu sagen pflegte: Desto hächer die Titl um so unehrlicher die Leit....

Fr., 10.05.2024 - 09:00 Permalink
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Salto User
nobody Fr., 10.05.2024 - 23:52

Der Wähler hat immer Recht. Es darf eben jeder wählen. Fähige Politiker werden wiedergewählt. Es werden sogar unfähige Politiker wiedergewählt.

Fr., 10.05.2024 - 23:52 Permalink
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Sigmund Kripp Sa., 11.05.2024 - 10:22

Ich würde sagen, der Wähler hat immer das Recht, anzukreuzen was auf dem Stimmzettel steht.
Ob er dann Recht hatte mit seiner Wahl, steht auf einem anderen Blatt.
Siehe Wahlen in Deutschland 1933.

Sa., 11.05.2024 - 10:22 Permalink